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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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mir sonst etwas begegnet. Die Gräfin Pachta ist nicht hier,
sie besuchte mich aber in Karlsbad, und sprach viel von Ih-
nen. Die Bernard aus Breslau ist aber hier, und mit der
Liman bin ich hier; und dann ist Herr von Burgsdorf --
ich kann mein Freund sagen, und hoffen, daß ich es werth
bin -- hier, ein Märker von Berlin. Das ist der helle Punkt
in meiner hiesigen Existenz. Nicht grad der, den Schiller
meint, aber der helle Punkt auf einem Gegenstand, der den
andern Schatten und Lichtern ihre Richtung bedeutet. Haben
Sie meinen Brief bekommen, den ich Ihnen vor meiner Ab-
reise schrieb? Werden Sie mir schreiben? Wie ist Ihnen denn
jetzt, was machen Sie denn diesen Sommer? Hören Sie nichts
von Latrobe? Sie sollten doch. Ich wollt' Ihnen schon lange
schreiben, aber ich war immer zu schwach, krank, und ange-
griffen. Sein Sie also mit diesem Brief, wie er auch ist, zu-
frieden. Denn Sie können es sein. Sie glauben mir doch
noch? Entschuldigung soll dies nicht sein: denn Sie hätten
mir wohl schreiben können, aber auch nicht Anklage. Viel-
leicht liegt sogar zu Hause ein Brief von Ihnen. Adieu!
Bis ich nicht sterbe, verändere ich mich doch nicht. Und doch
bin ich sehr verändert. Meister muß ja nun bald kommen.
Wie les' ich hier den Tasso! mit Burgsdorf; wie find' ich
mich hier nach und nach, und Goethe. Adieu. Ich will doch
meinen Namen schreiben; vielleicht erkennen Sie den Brief
nicht. Es ist Spaß.

R. L.

(R. Robert ist meine Addresse.)




I. 11

mir ſonſt etwas begegnet. Die Gräfin Pachta iſt nicht hier,
ſie beſuchte mich aber in Karlsbad, und ſprach viel von Ih-
nen. Die Bernard aus Breslau iſt aber hier, und mit der
Liman bin ich hier; und dann iſt Herr von Burgsdorf —
ich kann mein Freund ſagen, und hoffen, daß ich es werth
bin — hier, ein Märker von Berlin. Das iſt der helle Punkt
in meiner hieſigen Exiſtenz. Nicht grad der, den Schiller
meint, aber der helle Punkt auf einem Gegenſtand, der den
andern Schatten und Lichtern ihre Richtung bedeutet. Haben
Sie meinen Brief bekommen, den ich Ihnen vor meiner Ab-
reiſe ſchrieb? Werden Sie mir ſchreiben? Wie iſt Ihnen denn
jetzt, was machen Sie denn dieſen Sommer? Hören Sie nichts
von Latrobe? Sie ſollten doch. Ich wollt’ Ihnen ſchon lange
ſchreiben, aber ich war immer zu ſchwach, krank, und ange-
griffen. Sein Sie alſo mit dieſem Brief, wie er auch iſt, zu-
frieden. Denn Sie können es ſein. Sie glauben mir doch
noch? Entſchuldigung ſoll dies nicht ſein: denn Sie hätten
mir wohl ſchreiben können, aber auch nicht Anklage. Viel-
leicht liegt ſogar zu Hauſe ein Brief von Ihnen. Adieu!
Bis ich nicht ſterbe, verändere ich mich doch nicht. Und doch
bin ich ſehr verändert. Meiſter muß ja nun bald kommen.
Wie leſ’ ich hier den Taſſo! mit Burgsdorf; wie find’ ich
mich hier nach und nach, und Goethe. Adieu. Ich will doch
meinen Namen ſchreiben; vielleicht erkennen Sie den Brief
nicht. Es iſt Spaß.

R. L.

(R. Robert iſt meine Addreſſe.)




I. 11
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[161/0175] mir ſonſt etwas begegnet. Die Gräfin Pachta iſt nicht hier, ſie beſuchte mich aber in Karlsbad, und ſprach viel von Ih- nen. Die Bernard aus Breslau iſt aber hier, und mit der Liman bin ich hier; und dann iſt Herr von Burgsdorf — ich kann mein Freund ſagen, und hoffen, daß ich es werth bin — hier, ein Märker von Berlin. Das iſt der helle Punkt in meiner hieſigen Exiſtenz. Nicht grad der, den Schiller meint, aber der helle Punkt auf einem Gegenſtand, der den andern Schatten und Lichtern ihre Richtung bedeutet. Haben Sie meinen Brief bekommen, den ich Ihnen vor meiner Ab- reiſe ſchrieb? Werden Sie mir ſchreiben? Wie iſt Ihnen denn jetzt, was machen Sie denn dieſen Sommer? Hören Sie nichts von Latrobe? Sie ſollten doch. Ich wollt’ Ihnen ſchon lange ſchreiben, aber ich war immer zu ſchwach, krank, und ange- griffen. Sein Sie alſo mit dieſem Brief, wie er auch iſt, zu- frieden. Denn Sie können es ſein. Sie glauben mir doch noch? Entſchuldigung ſoll dies nicht ſein: denn Sie hätten mir wohl ſchreiben können, aber auch nicht Anklage. Viel- leicht liegt ſogar zu Hauſe ein Brief von Ihnen. Adieu! Bis ich nicht ſterbe, verändere ich mich doch nicht. Und doch bin ich ſehr verändert. Meiſter muß ja nun bald kommen. Wie leſ’ ich hier den Taſſo! mit Burgsdorf; wie find’ ich mich hier nach und nach, und Goethe. Adieu. Ich will doch meinen Namen ſchreiben; vielleicht erkennen Sie den Brief nicht. Es iſt Spaß. R. L. (R. Robert iſt meine Addreſſe.) I. 11

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/175>, abgerufen am 29.03.2024.