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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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wir gestern, und Tasso vorher; wie die Iphigenie ist! Nun
gontire ich sie erst recht. Millionenmal hab' ich an Sie
dabei denken müssen, alles was ich auswendig wußte, wußte
ich von Ihnen, ("Frei athmen macht das Leben nicht allein"
u. s. w.) und dabei dacht' ich wieder, wenn er das wüßte,
müßte er sich doch freuen. Herr von Burgsdorf las sie mir,
wenn Sie Mariane sehen, fragen Sie sorgfältig, ob er
in Leipzig ist, und gehen Sie grad zu ihm, oder an ihn heran;
sagen Sie: ich bin Veit, wenn Mariane nicht a portee ist
Sie zu präsentiren: er will Sie auch kennen. Es wird Sie
nie gereuen, und immer freuen. Auch von Markus oder Rös-
chen können Sie sich vorstellen lassen, oder -- sind die unbe-
hülflich, unwillig, oder ungeschickt -- sich ihn bloß zeigen
lassen. Mama kennt ihn auch, Feu auch. Alle zum Zeigen,
und Ausfragen. Sie wissen, ich kann sehr umständlich sein,
quoique je manque quelquefois de me trouver mal d'une Um-
ständlichkeit. Wie gern käm' ich nach Leipzig! Unabhängig
davon, daß ich die Idee habe, daß Goethe wohl dahin geht;
und was heißt hier unabhängig! Kann man gewisse Dinge
trennen? Aber ich bin arm; ich hasse diese Ohnmacht! und
doch "übt sie meine Geduld, wie ein Freund." Morgen früh
reis' ich zur Gräfin Pachta nach Prag. Ich mache, zum er-
stenmal, einen von den Streichen, die Sie mir immer wün-
schen
; und vielleicht, billigten Sie diesen doch nicht. Aber
ich will auch nichts von Billigkeit wissen, sie hat mich zum
Grabe gereift, soll mich aber mit meinem Willen nicht be-
graben helfen. Ich bin -- wie ich war, lieber Veit, nur aus-
gebildeter, wenn Sie wollen. Ja ich habe viel gewonnen

wir geſtern, und Taſſo vorher; wie die Iphigenie iſt! Nun
gontire ich ſie erſt recht. Millionenmal hab’ ich an Sie
dabei denken müſſen, alles was ich auswendig wußte, wußte
ich von Ihnen, („Frei athmen macht das Leben nicht allein“
u. ſ. w.) und dabei dacht’ ich wieder, wenn er das wüßte,
müßte er ſich doch freuen. Herr von Burgsdorf las ſie mir,
wenn Sie Mariane ſehen, fragen Sie ſorgfältig, ob er
in Leipzig iſt, und gehen Sie grad zu ihm, oder an ihn heran;
ſagen Sie: ich bin Veit, wenn Mariane nicht à portée iſt
Sie zu präſentiren: er will Sie auch kennen. Es wird Sie
nie gereuen, und immer freuen. Auch von Markus oder Rös-
chen können Sie ſich vorſtellen laſſen, oder — ſind die unbe-
hülflich, unwillig, oder ungeſchickt — ſich ihn bloß zeigen
laſſen. Mama kennt ihn auch, Feu auch. Alle zum Zeigen,
und Ausfragen. Sie wiſſen, ich kann ſehr umſtändlich ſein,
quoique je manque quelquefois de me trouver mal d’une Um-
ſtändlichkeit. Wie gern käm’ ich nach Leipzig! Unabhängig
davon, daß ich die Idee habe, daß Goethe wohl dahin geht;
und was heißt hier unabhängig! Kann man gewiſſe Dinge
trennen? Aber ich bin arm; ich haſſe dieſe Ohnmacht! und
doch „übt ſie meine Geduld, wie ein Freund.“ Morgen früh
reiſ’ ich zur Gräfin Pachta nach Prag. Ich mache, zum er-
ſtenmal, einen von den Streichen, die Sie mir immer wün-
ſchen
; und vielleicht, billigten Sie dieſen doch nicht. Aber
ich will auch nichts von Billigkeit wiſſen, ſie hat mich zum
Grabe gereift, ſoll mich aber mit meinem Willen nicht be-
graben helfen. Ich bin — wie ich war, lieber Veit, nur aus-
gebildeter, wenn Sie wollen. Ja ich habe viel gewonnen

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[165/0179] wir geſtern, und Taſſo vorher; wie die Iphigenie iſt! Nun gontire ich ſie erſt recht. Millionenmal hab’ ich an Sie dabei denken müſſen, alles was ich auswendig wußte, wußte ich von Ihnen, („Frei athmen macht das Leben nicht allein“ u. ſ. w.) und dabei dacht’ ich wieder, wenn er das wüßte, müßte er ſich doch freuen. Herr von Burgsdorf las ſie mir, wenn Sie Mariane ſehen, fragen Sie ſorgfältig, ob er in Leipzig iſt, und gehen Sie grad zu ihm, oder an ihn heran; ſagen Sie: ich bin Veit, wenn Mariane nicht à portée iſt Sie zu präſentiren: er will Sie auch kennen. Es wird Sie nie gereuen, und immer freuen. Auch von Markus oder Rös- chen können Sie ſich vorſtellen laſſen, oder — ſind die unbe- hülflich, unwillig, oder ungeſchickt — ſich ihn bloß zeigen laſſen. Mama kennt ihn auch, Feu auch. Alle zum Zeigen, und Ausfragen. Sie wiſſen, ich kann ſehr umſtändlich ſein, quoique je manque quelquefois de me trouver mal d’une Um- ſtändlichkeit. Wie gern käm’ ich nach Leipzig! Unabhängig davon, daß ich die Idee habe, daß Goethe wohl dahin geht; und was heißt hier unabhängig! Kann man gewiſſe Dinge trennen? Aber ich bin arm; ich haſſe dieſe Ohnmacht! und doch „übt ſie meine Geduld, wie ein Freund.“ Morgen früh reiſ’ ich zur Gräfin Pachta nach Prag. Ich mache, zum er- ſtenmal, einen von den Streichen, die Sie mir immer wün- ſchen; und vielleicht, billigten Sie dieſen doch nicht. Aber ich will auch nichts von Billigkeit wiſſen, ſie hat mich zum Grabe gereift, ſoll mich aber mit meinem Willen nicht be- graben helfen. Ich bin — wie ich war, lieber Veit, nur aus- gebildeter, wenn Sie wollen. Ja ich habe viel gewonnen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/179>, abgerufen am 19.04.2024.