Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sie Sie pflegen kann?! So lange haben Sie gemacht --
innen gelitten -- ich weiß wie -- und außen gearbeitet, ge-
spaßt und geschrieben, gelesen und gedichtet, bis Sie keine
Kräfte mehr haben, Ich stürbe gern. Erst gestern Nacht war
ich krank, und ungewohnt-krank, ich hoffte gleich: "Ach viel-
leicht ist dies der Tod." -- ich ward den Tag über besser,
und den Abend bekam ich Ihren Brief.

Wenn ich Sie verlöre, verlör' ich einen großen Theil von
mir selbst. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand
kennt außer Sie -- nennen kann ich sie nicht, nicht einmal
bezeichnen in diesem Augenblick -- und die muß erkannt wer-
den, sonst ist sie todt. Ich vermag gar nichts anders zu schrei-
ben, als kommen Sie. Kommen Sie. Und reisen Sie nur
in keinem Fall nach Schweden: denn nach Hamburg kann ich
doch noch kommen. Aber kommen Sie hierher, hierher!!!
Leben Sie wohl; mir ist so wüst und kränklich, daß ich weni-
ger als je, vernünftig und zweckmäßig zu sein vermag. Ich
glaube, ich habe gar keinen Kopf mehr. Über den Pachta-
Brief hab' ich nichts und will ich nicht antworten. Kommen
Sie hierher! nur hierher. -- Unsre Luft ist ganz gut für die
Brust, der Staub ist zu vermeiden. Kommen Sie, kommen
Sie. Ich wiederhole dies wie ich die Augen aufschlage. Sie
kommen. Sie lassen sich erbitten. Es giebt kein Müssen
von der Art.



ſie Sie pflegen kann?! So lange haben Sie gemacht —
innen gelitten — ich weiß wie — und außen gearbeitet, ge-
ſpaßt und geſchrieben, geleſen und gedichtet, bis Sie keine
Kräfte mehr haben, Ich ſtürbe gern. Erſt geſtern Nacht war
ich krank, und ungewohnt-krank, ich hoffte gleich: „Ach viel-
leicht iſt dies der Tod.“ — ich ward den Tag über beſſer,
und den Abend bekam ich Ihren Brief.

Wenn ich Sie verlöre, verlör’ ich einen großen Theil von
mir ſelbſt. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand
kennt außer Sie — nennen kann ich ſie nicht, nicht einmal
bezeichnen in dieſem Augenblick — und die muß erkannt wer-
den, ſonſt iſt ſie todt. Ich vermag gar nichts anders zu ſchrei-
ben, als kommen Sie. Kommen Sie. Und reiſen Sie nur
in keinem Fall nach Schweden: denn nach Hamburg kann ich
doch noch kommen. Aber kommen Sie hierher, hierher!!!
Leben Sie wohl; mir iſt ſo wüſt und kränklich, daß ich weni-
ger als je, vernünftig und zweckmäßig zu ſein vermag. Ich
glaube, ich habe gar keinen Kopf mehr. Über den Pachta-
Brief hab’ ich nichts und will ich nicht antworten. Kommen
Sie hierher! nur hierher. — Unſre Luft iſt ganz gut für die
Bruſt, der Staub iſt zu vermeiden. Kommen Sie, kommen
Sie. Ich wiederhole dies wie ich die Augen aufſchlage. Sie
kommen. Sie laſſen ſich erbitten. Es giebt kein Müſſen
von der Art.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0212" n="198"/><hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> Sie pflegen kann?! So lange haben Sie gemacht &#x2014;<lb/>
innen gelitten &#x2014; ich weiß <hi rendition="#g">wie</hi> &#x2014; und außen gearbeitet, ge-<lb/>
&#x017F;paßt und ge&#x017F;chrieben, gele&#x017F;en und gedichtet, bis Sie keine<lb/>
Kräfte mehr haben, <hi rendition="#g">Ich</hi> &#x017F;türbe gern. Er&#x017F;t ge&#x017F;tern Nacht war<lb/>
ich krank, und ungewohnt-krank, ich hoffte gleich: &#x201E;Ach viel-<lb/>
leicht i&#x017F;t <hi rendition="#g">dies</hi> der Tod.&#x201C; &#x2014; ich ward den Tag über be&#x017F;&#x017F;er,<lb/>
und den Abend bekam ich Ihren Brief.</p><lb/>
          <p>Wenn ich Sie verlöre, verlör&#x2019; ich einen großen Theil von<lb/>
mir &#x017F;elb&#x017F;t. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand<lb/>
kennt außer Sie &#x2014; nennen kann ich &#x017F;ie nicht, nicht einmal<lb/>
bezeichnen in die&#x017F;em Augenblick &#x2014; und die muß erkannt wer-<lb/>
den, &#x017F;on&#x017F;t i&#x017F;t &#x017F;ie todt. Ich vermag gar nichts anders zu &#x017F;chrei-<lb/>
ben, als kommen Sie. Kommen Sie. Und rei&#x017F;en Sie nur<lb/>
in keinem Fall nach Schweden: denn nach Hamburg kann ich<lb/>
doch noch kommen. Aber kommen Sie hierher, hierher!!!<lb/>
Leben Sie wohl; mir i&#x017F;t &#x017F;o wü&#x017F;t und kränklich, daß ich weni-<lb/>
ger als je, vernünftig und zweckmäßig zu &#x017F;ein vermag. Ich<lb/>
glaube, ich habe gar keinen Kopf mehr. Über den Pachta-<lb/>
Brief hab&#x2019; ich nichts und will ich nicht antworten. Kommen<lb/>
Sie hierher! nur hierher. &#x2014; Un&#x017F;re Luft i&#x017F;t ganz gut für die<lb/>
Bru&#x017F;t, der Staub i&#x017F;t zu vermeiden. Kommen Sie, kommen<lb/>
Sie. Ich wiederhole dies wie ich die Augen auf&#x017F;chlage. Sie<lb/>
kommen. Sie <hi rendition="#g">la&#x017F;&#x017F;en</hi> &#x017F;ich erbitten. Es giebt kein <hi rendition="#g">&#x017F;&#x017F;en</hi><lb/>
von der Art.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0212] ſie Sie pflegen kann?! So lange haben Sie gemacht — innen gelitten — ich weiß wie — und außen gearbeitet, ge- ſpaßt und geſchrieben, geleſen und gedichtet, bis Sie keine Kräfte mehr haben, Ich ſtürbe gern. Erſt geſtern Nacht war ich krank, und ungewohnt-krank, ich hoffte gleich: „Ach viel- leicht iſt dies der Tod.“ — ich ward den Tag über beſſer, und den Abend bekam ich Ihren Brief. Wenn ich Sie verlöre, verlör’ ich einen großen Theil von mir ſelbſt. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand kennt außer Sie — nennen kann ich ſie nicht, nicht einmal bezeichnen in dieſem Augenblick — und die muß erkannt wer- den, ſonſt iſt ſie todt. Ich vermag gar nichts anders zu ſchrei- ben, als kommen Sie. Kommen Sie. Und reiſen Sie nur in keinem Fall nach Schweden: denn nach Hamburg kann ich doch noch kommen. Aber kommen Sie hierher, hierher!!! Leben Sie wohl; mir iſt ſo wüſt und kränklich, daß ich weni- ger als je, vernünftig und zweckmäßig zu ſein vermag. Ich glaube, ich habe gar keinen Kopf mehr. Über den Pachta- Brief hab’ ich nichts und will ich nicht antworten. Kommen Sie hierher! nur hierher. — Unſre Luft iſt ganz gut für die Bruſt, der Staub iſt zu vermeiden. Kommen Sie, kommen Sie. Ich wiederhole dies wie ich die Augen aufſchlage. Sie kommen. Sie laſſen ſich erbitten. Es giebt kein Müſſen von der Art.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/212
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/212>, abgerufen am 28.03.2024.