Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

gern: "Wer viel erwägt, sucht Gründe nicht zu wollen."
Lessing. Und das war mir das Wichtigste. Lieber L.! ich
klage Sie nicht an. Es ist bloß Geschichte und meine Ent-
schuldigung. Denn Geschichte, wie Sie sie erzählen können
und müssen, würdest du mir, Freundin, übel deuten müssen.
Dies Ganze that mir etwas weh: dies will ich nicht mehr
leiden, und da wollt' ich mich zwingen; und zwang mich.
Da sah es aus, als hätt' ich Launen, und als sei ich hart.
Dies benehme du L'n. Im Gegentheil! es weint alles in mir:
alles verwundet mich jetzt; und Thränen entquillen auch jetzt
den Augen. Ich bleibe nur noch wenige Wochen hier, was
sollte mir eine kurze und innige Bekanntschaft?! -- Ich
machte die Ausnahme für dich und ihn, und -- es ging
nicht; die Zeit, in der es vorgehen sollte, schenkt' er mir
nicht einmal. O! Gott so tief hat es mich nicht gekränkt:
ich schob ihn gleich zu den Andern; wo es nicht ging. Am
Ende hast du, oder vielmehr doch ich mich geirrt. Ich glaubte,
da er dich liebt, würde ihm mein Umgang der liebste sein.
So ließest du mich ihn erwarten. Er liebt dich: und deine
Familie ist ihm das Liebste, auch gut! Ich habe noch den
Fehler: wenn ich einen Edlen finde, so dichte ich ihm gleich
alle andern Geisteseigenschaften hin zu, die ich habe und
liebe; und da irrt man sich, die Menschen haben dann ge-
wöhnlich grad andere. Sag' ihm nur, er soll stolz sein, und
das lieben, was ihm muß mißfallen haben; das war grade
der Pack Liebe und Wohlwollen und gute Meinung, die so
auf ihn los fiel. Ich gedenke es jetzt nicht viel mehr so zu
machen: und ein Graf, und ein Mensch mehr Bekanntschaft,

gern: „Wer viel erwägt, ſucht Gründe nicht zu wollen.“
Leſſing. Und das war mir das Wichtigſte. Lieber L.! ich
klage Sie nicht an. Es iſt bloß Geſchichte und meine Ent-
ſchuldigung. Denn Geſchichte, wie Sie ſie erzählen können
und müſſen, würdeſt du mir, Freundin, übel deuten müſſen.
Dies Ganze that mir etwas weh: dies will ich nicht mehr
leiden, und da wollt’ ich mich zwingen; und zwang mich.
Da ſah es aus, als hätt’ ich Launen, und als ſei ich hart.
Dies benehme du L’n. Im Gegentheil! es weint alles in mir:
alles verwundet mich jetzt; und Thränen entquillen auch jetzt
den Augen. Ich bleibe nur noch wenige Wochen hier, was
ſollte mir eine kurze und innige Bekanntſchaft?! — Ich
machte die Ausnahme für dich und ihn, und — es ging
nicht; die Zeit, in der es vorgehen ſollte, ſchenkt’ er mir
nicht einmal. O! Gott ſo tief hat es mich nicht gekränkt:
ich ſchob ihn gleich zu den Andern; wo es nicht ging. Am
Ende haſt du, oder vielmehr doch ich mich geirrt. Ich glaubte,
da er dich liebt, würde ihm mein Umgang der liebſte ſein.
So ließeſt du mich ihn erwarten. Er liebt dich: und deine
Familie iſt ihm das Liebſte, auch gut! Ich habe noch den
Fehler: wenn ich einen Edlen finde, ſo dichte ich ihm gleich
alle andern Geiſteseigenſchaften hin zu, die ich habe und
liebe; und da irrt man ſich, die Menſchen haben dann ge-
wöhnlich grad andere. Sag’ ihm nur, er ſoll ſtolz ſein, und
das lieben, was ihm muß mißfallen haben; das war grade
der Pack Liebe und Wohlwollen und gute Meinung, die ſo
auf ihn los fiel. Ich gedenke es jetzt nicht viel mehr ſo zu
machen: und ein Graf, und ein Menſch mehr Bekanntſchaft,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0220" n="206"/>
gern</hi>: &#x201E;Wer viel erwägt, &#x017F;ucht Gründe nicht zu wollen.&#x201C;<lb/>
Le&#x017F;&#x017F;ing. Und das war mir das Wichtig&#x017F;te. Lieber L.! ich<lb/>
klage Sie nicht an. Es i&#x017F;t bloß Ge&#x017F;chichte und <hi rendition="#g">meine</hi> Ent-<lb/>
&#x017F;chuldigung. Denn Ge&#x017F;chichte, wie Sie &#x017F;ie erzählen können<lb/>
und mü&#x017F;&#x017F;en, würde&#x017F;t du mir, Freundin, übel deuten mü&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Dies Ganze that mir etwas weh: dies will ich nicht mehr<lb/><hi rendition="#g">leiden</hi>, und da wollt&#x2019; ich mich zwingen; und zwang mich.<lb/>
Da &#x017F;ah es aus, als hätt&#x2019; ich Launen, und als &#x017F;ei ich hart.<lb/>
Dies benehme du L&#x2019;n. Im Gegentheil! es weint alles in mir:<lb/>
alles verwundet mich jetzt; und Thränen entquillen auch jetzt<lb/>
den Augen. Ich bleibe nur noch wenige Wochen hier, was<lb/>
&#x017F;ollte mir eine kurze und innige Bekannt&#x017F;chaft?! &#x2014; Ich<lb/><hi rendition="#g">machte</hi> die Ausnahme für dich und ihn, und &#x2014; es ging<lb/>
nicht; die <hi rendition="#g">Zeit</hi>, in der es vorgehen &#x017F;ollte, &#x017F;chenkt&#x2019; er mir<lb/>
nicht einmal. O! Gott &#x017F;o <hi rendition="#g">tief</hi> hat es mich nicht gekränkt:<lb/>
ich &#x017F;chob ihn gleich zu den Andern; wo es <hi rendition="#g">nicht</hi> ging. Am<lb/>
Ende ha&#x017F;t du, oder vielmehr doch ich mich geirrt. Ich glaubte,<lb/>
da er <hi rendition="#g">dich</hi> liebt, würde ihm <hi rendition="#g">mein</hi> Umgang der lieb&#x017F;te &#x017F;ein.<lb/><hi rendition="#g">So</hi> ließe&#x017F;t du mich ihn erwarten. Er liebt <hi rendition="#g">dich</hi>: und deine<lb/>
Familie i&#x017F;t ihm das Lieb&#x017F;te, auch gut! Ich habe noch den<lb/>
Fehler: wenn ich einen Edlen finde, &#x017F;o dichte ich ihm gleich<lb/><hi rendition="#g">alle</hi> andern Gei&#x017F;teseigen&#x017F;chaften hin <hi rendition="#g">zu</hi>, die <hi rendition="#g">ich</hi> habe und<lb/><hi rendition="#g">liebe</hi>; und da irrt man &#x017F;ich, die Men&#x017F;chen haben dann ge-<lb/>
wöhnlich grad andere. Sag&#x2019; ihm nur, er &#x017F;oll &#x017F;tolz &#x017F;ein, und<lb/>
das lieben, was ihm muß mißfallen haben; das war grade<lb/>
der Pack Liebe und Wohlwollen und gute Meinung, die &#x017F;o<lb/>
auf ihn los fiel. Ich gedenke es jetzt nicht viel mehr &#x017F;o zu<lb/>
machen: und ein Graf, und ein Men&#x017F;ch mehr Bekannt&#x017F;chaft,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0220] gern: „Wer viel erwägt, ſucht Gründe nicht zu wollen.“ Leſſing. Und das war mir das Wichtigſte. Lieber L.! ich klage Sie nicht an. Es iſt bloß Geſchichte und meine Ent- ſchuldigung. Denn Geſchichte, wie Sie ſie erzählen können und müſſen, würdeſt du mir, Freundin, übel deuten müſſen. Dies Ganze that mir etwas weh: dies will ich nicht mehr leiden, und da wollt’ ich mich zwingen; und zwang mich. Da ſah es aus, als hätt’ ich Launen, und als ſei ich hart. Dies benehme du L’n. Im Gegentheil! es weint alles in mir: alles verwundet mich jetzt; und Thränen entquillen auch jetzt den Augen. Ich bleibe nur noch wenige Wochen hier, was ſollte mir eine kurze und innige Bekanntſchaft?! — Ich machte die Ausnahme für dich und ihn, und — es ging nicht; die Zeit, in der es vorgehen ſollte, ſchenkt’ er mir nicht einmal. O! Gott ſo tief hat es mich nicht gekränkt: ich ſchob ihn gleich zu den Andern; wo es nicht ging. Am Ende haſt du, oder vielmehr doch ich mich geirrt. Ich glaubte, da er dich liebt, würde ihm mein Umgang der liebſte ſein. So ließeſt du mich ihn erwarten. Er liebt dich: und deine Familie iſt ihm das Liebſte, auch gut! Ich habe noch den Fehler: wenn ich einen Edlen finde, ſo dichte ich ihm gleich alle andern Geiſteseigenſchaften hin zu, die ich habe und liebe; und da irrt man ſich, die Menſchen haben dann ge- wöhnlich grad andere. Sag’ ihm nur, er ſoll ſtolz ſein, und das lieben, was ihm muß mißfallen haben; das war grade der Pack Liebe und Wohlwollen und gute Meinung, die ſo auf ihn los fiel. Ich gedenke es jetzt nicht viel mehr ſo zu machen: und ein Graf, und ein Menſch mehr Bekanntſchaft,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/220
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/220>, abgerufen am 28.03.2024.