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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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möchte mich in einer glücklichen Stimmung treffen, drückt' ich die
Hand, die ich hielt, und zeigte mit Triumph der Freundin die Zei-
len. Niedlich bezeigt sich das Glück nicht gegen mich, aber groß;
denn übermorgen reist sie, weit, und auf unbestimmt. Auf's
Leben ist nichts bestimmt, als der Fund. Und so hoffe auch
du! "Die Nacht, sie muß sich erhellen." Und wenn sich
nichts ändert, so ändert sich unsere Stimmung. Es giebt ein
Verzweiflen, in welchem man nichts fordert; und es giebt
auch eine Liebestimmung -- möcht' ich's nennen -- in der man
auch nichts fordert. Ich kenne beides. Rosenblätter streut
einmal das Glück nicht vor einem, erlaubt es einem aber die
Augen zu öffnen, -- so eile man sich, das für viel zu erken-
nen, und sauge das Liebliche recht ein. Ist es recht lieblich,
so will man's nicht besitzen, man will es blühen sehen. Am
Ende sind alle unsre Thränen und herbsten Leiden doch nur
um den Besitz; und man kann nie etwas anders besitzen, als
die Fähigkeit zu genießen; die bringt freilich den Wunsch
des Besitzes ganz einfach mit sich: nun so wünsche doch, und
gieb dich zufrieden; mehr ist das Leben nicht. Tadlen kannst
du's wie du willst: ich tadle gewiß mit: hingegen ist's nicht
zum Bleiben eingerichtet, das beweist mir nicht allein der Tod,
sondern alles Unvollkommene, und unser schmerzhaftes, trei-
bendes Schwanken am meisten. Tadle das Leben; aber die
Schmerzen haben, haben noch das meiste. Mach dich bekannt
mit ihnen, es sind auch gute Freunde, und was flüstern sie
nicht alles; jede Freude. Vielleicht kennt man sie nur so.
Schreibe mir, meine Treue, wenn dich das tröstet. Ich nehme
jedes Wort auf. Weine, weine oft. Ich hab' auch geweint.

möchte mich in einer glücklichen Stimmung treffen, drückt’ ich die
Hand, die ich hielt, und zeigte mit Triumph der Freundin die Zei-
len. Niedlich bezeigt ſich das Glück nicht gegen mich, aber groß;
denn übermorgen reiſt ſie, weit, und auf unbeſtimmt. Auf’s
Leben iſt nichts beſtimmt, als der Fund. Und ſo hoffe auch
du! „Die Nacht, ſie muß ſich erhellen.“ Und wenn ſich
nichts ändert, ſo ändert ſich unſere Stimmung. Es giebt ein
Verzweiflen, in welchem man nichts fordert; und es giebt
auch eine Liebeſtimmung — möcht’ ich’s nennen — in der man
auch nichts fordert. Ich kenne beides. Roſenblätter ſtreut
einmal das Glück nicht vor einem, erlaubt es einem aber die
Augen zu öffnen, — ſo eile man ſich, das für viel zu erken-
nen, und ſauge das Liebliche recht ein. Iſt es recht lieblich,
ſo will man’s nicht beſitzen, man will es blühen ſehen. Am
Ende ſind alle unſre Thränen und herbſten Leiden doch nur
um den Beſitz; und man kann nie etwas anders beſitzen, als
die Fähigkeit zu genießen; die bringt freilich den Wunſch
des Beſitzes ganz einfach mit ſich: nun ſo wünſche doch, und
gieb dich zufrieden; mehr iſt das Leben nicht. Tadlen kannſt
du’s wie du willſt: ich tadle gewiß mit: hingegen iſt’s nicht
zum Bleiben eingerichtet, das beweiſt mir nicht allein der Tod,
ſondern alles Unvollkommene, und unſer ſchmerzhaftes, trei-
bendes Schwanken am meiſten. Tadle das Leben; aber die
Schmerzen haben, haben noch das meiſte. Mach dich bekannt
mit ihnen, es ſind auch gute Freunde, und was flüſtern ſie
nicht alles; jede Freude. Vielleicht kennt man ſie nur ſo.
Schreibe mir, meine Treue, wenn dich das tröſtet. Ich nehme
jedes Wort auf. Weine, weine oft. Ich hab’ auch geweint.

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[245/0259] möchte mich in einer glücklichen Stimmung treffen, drückt’ ich die Hand, die ich hielt, und zeigte mit Triumph der Freundin die Zei- len. Niedlich bezeigt ſich das Glück nicht gegen mich, aber groß; denn übermorgen reiſt ſie, weit, und auf unbeſtimmt. Auf’s Leben iſt nichts beſtimmt, als der Fund. Und ſo hoffe auch du! „Die Nacht, ſie muß ſich erhellen.“ Und wenn ſich nichts ändert, ſo ändert ſich unſere Stimmung. Es giebt ein Verzweiflen, in welchem man nichts fordert; und es giebt auch eine Liebeſtimmung — möcht’ ich’s nennen — in der man auch nichts fordert. Ich kenne beides. Roſenblätter ſtreut einmal das Glück nicht vor einem, erlaubt es einem aber die Augen zu öffnen, — ſo eile man ſich, das für viel zu erken- nen, und ſauge das Liebliche recht ein. Iſt es recht lieblich, ſo will man’s nicht beſitzen, man will es blühen ſehen. Am Ende ſind alle unſre Thränen und herbſten Leiden doch nur um den Beſitz; und man kann nie etwas anders beſitzen, als die Fähigkeit zu genießen; die bringt freilich den Wunſch des Beſitzes ganz einfach mit ſich: nun ſo wünſche doch, und gieb dich zufrieden; mehr iſt das Leben nicht. Tadlen kannſt du’s wie du willſt: ich tadle gewiß mit: hingegen iſt’s nicht zum Bleiben eingerichtet, das beweiſt mir nicht allein der Tod, ſondern alles Unvollkommene, und unſer ſchmerzhaftes, trei- bendes Schwanken am meiſten. Tadle das Leben; aber die Schmerzen haben, haben noch das meiſte. Mach dich bekannt mit ihnen, es ſind auch gute Freunde, und was flüſtern ſie nicht alles; jede Freude. Vielleicht kennt man ſie nur ſo. Schreibe mir, meine Treue, wenn dich das tröſtet. Ich nehme jedes Wort auf. Weine, weine oft. Ich hab’ auch geweint.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/259>, abgerufen am 24.04.2024.