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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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so offen schien mir noch die Welt! Jetzt weiß ich, es wer-
den nur Dienstage und Mittwoche; und in denen will ich
alles richten und schlichten! Und jedes beleidigt mich; nicht
weil es von diesem oder jenem kommt, sondern weil ich zu
viel beleidigt bin. "Le coeur foule." Wahrhaftig ich hätte
anders gemacht sein sollen zu dem, was ich vorstelle. -- Die-
sen halt' ich für einen Trostbrief; herbe Klagen verscheuchen
unsre eignen, ins tiefe Herz: und hülfreich werden wir dem
Andern, und können wir auch nicht helfen, so ist es Diversion
und macht verstutzt!

Heute Abend bleib' ich zu Hause; ich will den Husten
nicht böse machen, soll ich mich davon auch noch plagen las-
sen, und mir Wochen rauben! Sie sollen aber ungefähr wis-
sen, was ich mache. Der Graf Tilly hat mir geschrieben, er
wolle zu mir kommen; er spricht ungeheuer gut. Das zeig'
ich Ihnen einmal durch seine Briefe. Er inkommodirt mich
nicht, sagt mir alles, ich bin ihm ein Sprechsaal, er mir eine
Art von Lebenaufführer; das hat etwas von Freundschaft,
ohne daß auch der geringste Akkord vorzukommen braucht,
und es ist tausendmal besser, als vieles Verfehlte. Dabei hat
er die größte Lebensart, und bei dem unerzogenen Krob, wel-
ches man hier überall sieht, ist das ein wahrer Wiesenflor,
ein Sopha, eine Gondel für die Seele. Ich finde, die selbst
so derb und ungeübt-hart scheint, daß unsre Gesellschaften so
grob als unsre Stücke sind. Mir ein wahres ununterbro-
chenes
Leiden. Ich will Ihnen das kleine Billet abschreiben,
welches mir Tilly heute schickte. "Que je sache, chere petite,
si vous passez la soiree chez vous? Il me semble qu'il y a

ſo offen ſchien mir noch die Welt! Jetzt weiß ich, es wer-
den nur Dienstage und Mittwoche; und in denen will ich
alles richten und ſchlichten! Und jedes beleidigt mich; nicht
weil es von dieſem oder jenem kommt, ſondern weil ich zu
viel beleidigt bin. „Le coeur foulé.” Wahrhaftig ich hätte
anders gemacht ſein ſollen zu dem, was ich vorſtelle. — Die-
ſen halt’ ich für einen Troſtbrief; herbe Klagen verſcheuchen
unſre eignen, ins tiefe Herz: und hülfreich werden wir dem
Andern, und können wir auch nicht helfen, ſo iſt es Diverſion
und macht verſtutzt!

Heute Abend bleib’ ich zu Hauſe; ich will den Huſten
nicht böſe machen, ſoll ich mich davon auch noch plagen laſ-
ſen, und mir Wochen rauben! Sie ſollen aber ungefähr wiſ-
ſen, was ich mache. Der Graf Tilly hat mir geſchrieben, er
wolle zu mir kommen; er ſpricht ungeheuer gut. Das zeig’
ich Ihnen einmal durch ſeine Briefe. Er inkommodirt mich
nicht, ſagt mir alles, ich bin ihm ein Sprechſaal, er mir eine
Art von Lebenaufführer; das hat etwas von Freundſchaft,
ohne daß auch der geringſte Akkord vorzukommen braucht,
und es iſt tauſendmal beſſer, als vieles Verfehlte. Dabei hat
er die größte Lebensart, und bei dem unerzogenen Krob, wel-
ches man hier überall ſieht, iſt das ein wahrer Wieſenflor,
ein Sopha, eine Gondel für die Seele. Ich finde, die ſelbſt
ſo derb und ungeübt-hart ſcheint, daß unſre Geſellſchaften ſo
grob als unſre Stücke ſind. Mir ein wahres ununterbro-
chenes
Leiden. Ich will Ihnen das kleine Billet abſchreiben,
welches mir Tilly heute ſchickte. „Que je sache, chère petite,
si vous passez la soirée chez vous? Il me semble qu’il y a

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[287/0301] ſo offen ſchien mir noch die Welt! Jetzt weiß ich, es wer- den nur Dienstage und Mittwoche; und in denen will ich alles richten und ſchlichten! Und jedes beleidigt mich; nicht weil es von dieſem oder jenem kommt, ſondern weil ich zu viel beleidigt bin. „Le coeur foulé.” Wahrhaftig ich hätte anders gemacht ſein ſollen zu dem, was ich vorſtelle. — Die- ſen halt’ ich für einen Troſtbrief; herbe Klagen verſcheuchen unſre eignen, ins tiefe Herz: und hülfreich werden wir dem Andern, und können wir auch nicht helfen, ſo iſt es Diverſion und macht verſtutzt! Heute Abend bleib’ ich zu Hauſe; ich will den Huſten nicht böſe machen, ſoll ich mich davon auch noch plagen laſ- ſen, und mir Wochen rauben! Sie ſollen aber ungefähr wiſ- ſen, was ich mache. Der Graf Tilly hat mir geſchrieben, er wolle zu mir kommen; er ſpricht ungeheuer gut. Das zeig’ ich Ihnen einmal durch ſeine Briefe. Er inkommodirt mich nicht, ſagt mir alles, ich bin ihm ein Sprechſaal, er mir eine Art von Lebenaufführer; das hat etwas von Freundſchaft, ohne daß auch der geringſte Akkord vorzukommen braucht, und es iſt tauſendmal beſſer, als vieles Verfehlte. Dabei hat er die größte Lebensart, und bei dem unerzogenen Krob, wel- ches man hier überall ſieht, iſt das ein wahrer Wieſenflor, ein Sopha, eine Gondel für die Seele. Ich finde, die ſelbſt ſo derb und ungeübt-hart ſcheint, daß unſre Geſellſchaften ſo grob als unſre Stücke ſind. Mir ein wahres ununterbro- chenes Leiden. Ich will Ihnen das kleine Billet abſchreiben, welches mir Tilly heute ſchickte. „Que je sache, chère petite, si vous passez la soirée chez vous? Il me semble qu’il y a

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/301>, abgerufen am 28.03.2024.