Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lesen. Ich kann nicht errathen, von wem es ist: aber un-
möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil,
wenn man in eine Wissenschaft gedrungen ist, und mit den
meisten Litteratoren der Zeit streitet -- sie also kennt -- nichts
dergleichen zu Papiere setzen kann. Ich las also den meister-
haft geschriebenen Roman weiter, studirte Franzosen und Fran-
zösisch. Dachte noch Einmal viel über Gesellschaft, Erziehung:
den Unplan derselben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des
grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na-
tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der
Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf's Neue!! Schrieb
manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen
nicht vergessen hatte; spielte ein wenig von Righini: schrieb
das: höre 11 rufen; warte auf Mondschein, will ein bischen
gehen um zu schlafen. --




-- Bruno krepirt mich sehr: den Tag hätte ich in jedem
Fall, bei mir -- wenn auch mit andern Büchern -- zuge-
bracht. An Spaziren ist nicht zu denken. Außer wenn etwa
warmer Mond käme.

Ich glaube, Sie loben mich aus Eifersucht nicht! Ich
habe mein heutiges Betragen himmlisch gefunden! bei Vor-
satz
so viel Natur zu behalten, ist eine Haltung, die ich
anbete. -- Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun-
derung zu mir? Den bittern Tadel sehen zu lassen, bin
ich zu weichlich: und zu verwundet. "Le coeur foule" --

sagte

leſen. Ich kann nicht errathen, von wem es iſt: aber un-
möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil,
wenn man in eine Wiſſenſchaft gedrungen iſt, und mit den
meiſten Litteratoren der Zeit ſtreitet — ſie alſo kennt — nichts
dergleichen zu Papiere ſetzen kann. Ich las alſo den meiſter-
haft geſchriebenen Roman weiter, ſtudirte Franzoſen und Fran-
zöſiſch. Dachte noch Einmal viel über Geſellſchaft, Erziehung:
den Unplan derſelben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des
grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na-
tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der
Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf’s Neue!! Schrieb
manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen
nicht vergeſſen hatte; ſpielte ein wenig von Righini: ſchrieb
das: höre 11 rufen; warte auf Mondſchein, will ein bischen
gehen um zu ſchlafen. —




— Bruno krepirt mich ſehr: den Tag hätte ich in jedem
Fall, bei mir — wenn auch mit andern Büchern — zuge-
bracht. An Spaziren iſt nicht zu denken. Außer wenn etwa
warmer Mond käme.

Ich glaube, Sie loben mich aus Eiferſucht nicht! Ich
habe mein heutiges Betragen himmliſch gefunden! bei Vor-
ſatz
ſo viel Natur zu behalten, iſt eine Haltung, die ich
anbete. — Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun-
derung zu mir? Den bittern Tadel ſehen zu laſſen, bin
ich zu weichlich: und zu verwundet. „Le coeur foulé”

ſagte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0318" n="304"/>
le&#x017F;en. Ich kann nicht errathen, von wem es i&#x017F;t: aber un-<lb/>
möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil,<lb/>
wenn man in <hi rendition="#g">eine</hi> Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gedrungen i&#x017F;t, und mit den<lb/>
mei&#x017F;ten Litteratoren der Zeit &#x017F;treitet &#x2014; &#x017F;ie al&#x017F;o kennt &#x2014; nichts<lb/>
dergleichen zu Papiere &#x017F;etzen kann. Ich las al&#x017F;o den mei&#x017F;ter-<lb/>
haft ge&#x017F;chriebenen Roman weiter, &#x017F;tudirte Franzo&#x017F;en und Fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;ch. Dachte noch Einmal viel über Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, Erziehung:<lb/>
den <hi rendition="#g">Un</hi>plan der&#x017F;elben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des<lb/>
grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na-<lb/>
tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der<lb/>
Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf&#x2019;s Neue!! Schrieb<lb/>
manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen<lb/>
nicht verge&#x017F;&#x017F;en hatte; &#x017F;pielte ein wenig von Righini: &#x017F;chrieb<lb/>
das: höre 11 rufen; warte auf Mond&#x017F;chein, will ein bischen<lb/>
gehen um zu &#x017F;chlafen. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Freitag, den 4. Oktober 1806.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Bruno krepirt mich &#x017F;ehr: den Tag hätte ich in jedem<lb/>
Fall, bei mir &#x2014; wenn auch mit andern Büchern &#x2014; zuge-<lb/>
bracht. An Spaziren i&#x017F;t nicht zu denken. Außer wenn etwa<lb/>
warmer Mond käme.</p><lb/>
            <p>Ich glaube, Sie <hi rendition="#g">loben</hi> mich aus <hi rendition="#g">Eifer&#x017F;ucht</hi> nicht! Ich<lb/>
habe mein heutiges Betragen <hi rendition="#g">himmli&#x017F;ch</hi> gefunden! bei <hi rendition="#g">Vor-<lb/>
&#x017F;atz</hi> &#x017F;o viel <hi rendition="#g">Natur</hi> zu behalten, i&#x017F;t eine Haltung, die ich<lb/>
anbete. &#x2014; Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun-<lb/>
derung zu mir? Den <hi rendition="#g">bittern Tadel</hi> &#x017F;ehen zu la&#x017F;&#x017F;en, bin<lb/>
ich zu weichlich: und zu verwundet. <hi rendition="#aq">&#x201E;Le coeur foulé&#x201D;</hi> &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;agte</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0318] leſen. Ich kann nicht errathen, von wem es iſt: aber un- möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil, wenn man in eine Wiſſenſchaft gedrungen iſt, und mit den meiſten Litteratoren der Zeit ſtreitet — ſie alſo kennt — nichts dergleichen zu Papiere ſetzen kann. Ich las alſo den meiſter- haft geſchriebenen Roman weiter, ſtudirte Franzoſen und Fran- zöſiſch. Dachte noch Einmal viel über Geſellſchaft, Erziehung: den Unplan derſelben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na- tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf’s Neue!! Schrieb manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen nicht vergeſſen hatte; ſpielte ein wenig von Righini: ſchrieb das: höre 11 rufen; warte auf Mondſchein, will ein bischen gehen um zu ſchlafen. — Freitag, den 4. Oktober 1806. — Bruno krepirt mich ſehr: den Tag hätte ich in jedem Fall, bei mir — wenn auch mit andern Büchern — zuge- bracht. An Spaziren iſt nicht zu denken. Außer wenn etwa warmer Mond käme. Ich glaube, Sie loben mich aus Eiferſucht nicht! Ich habe mein heutiges Betragen himmliſch gefunden! bei Vor- ſatz ſo viel Natur zu behalten, iſt eine Haltung, die ich anbete. — Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun- derung zu mir? Den bittern Tadel ſehen zu laſſen, bin ich zu weichlich: und zu verwundet. „Le coeur foulé” — ſagte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/318
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/318>, abgerufen am 19.04.2024.