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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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An Frau von F., in Berlin.


Es ist 9 Uhr Morgens; ich bin gewaschen, angezogen,
habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen bestimmten Ort gebracht;
kurz, bin wie ein Wohnender -- ich schreibe nicht wie zu
Hause, denn da war's nicht gut --; ich schlief schlecht, weil
ich diese Nacht noch auf Betten ruhen sollte, auf solchem trock-
nen Wasser aber nicht schlafen kann, für's erste noch im Kom-
toir gebettet war, weil mein Zimmer -- man erwartete uns
noch nicht -- gescheuert war. -- Auch kennen Sie das sehr
gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends
kamen wir gestern an. Nach einer halben Stunde kam mein
Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man
gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht
plump vor lauter Plattheit ist, sehr amüsant: wie kann Kotze-
bue bei so vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce-
nenfolge, und Effekt, so wenig feines Urtheil, genannt Ge-
schmack, haben! Gespielt wurde es meisterhaft! Hier
muß man la comedie allemande sehen; -- wir verstehen unter
Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans etc.
-- Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß
[Brede], sagten affektirte Verse göttlich! Noch zwei Frauen
spielten sehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De-
tails. Wie bilden sich unsre Gendarmenmärktler etwas ein! --
und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger
Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie so wenig spie-
len sie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältnissen

An Frau von F., in Berlin.


Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen,
habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht;
kurz, bin wie ein Wohnender — ich ſchreibe nicht wie zu
Hauſe, denn da war’s nicht gut —; ich ſchlief ſchlecht, weil
ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte, auf ſolchem trock-
nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom-
toir gebettet war, weil mein Zimmer — man erwartete uns
noch nicht — geſcheuert war. — Auch kennen Sie das ſehr
gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends
kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein
Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man
gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht
plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze-
bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce-
nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge-
ſchmack, haben! Geſpielt wurde es meiſterhaft! Hier
muß man la comédie allemande ſehen; — wir verſtehen unter
Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc.
— Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß
[Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch zwei Frauen
ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De-
tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! —
und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger
Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie-
len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen

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[350/0364] An Frau von F., in Berlin. Leipzig, Sonnabend den 24. September 1808. Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen, habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht; kurz, bin wie ein Wohnender — ich ſchreibe nicht wie zu Hauſe, denn da war’s nicht gut —; ich ſchlief ſchlecht, weil ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte, auf ſolchem trock- nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom- toir gebettet war, weil mein Zimmer — man erwartete uns noch nicht — geſcheuert war. — Auch kennen Sie das ſehr gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze- bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce- nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge- ſchmack, haben! Geſpielt wurde es meiſterhaft! Hier muß man la comédie allemande ſehen; — wir verſtehen unter Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc. — Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß [Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch zwei Frauen ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De- tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! — und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie- len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/364>, abgerufen am 24.04.2024.