Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

tig mein Leben, d. h. mein inneres Sein berichtete. Von Woche
zu Woche wollte ich Sie wieder anreden, obgleich mich Ihr
Schweigen weiter nicht wunderte, noch mein Brief eine direkte
Antwort erforderte; aber freundliche und unfreundliche Wellen
des Lebens verschlangen mit meiner Zeit die Ausführung mei-
nes Vorhabens, dessen Lebendigkeit manchmal bis zur Qual
in mir stieg. Nun aber bin ich nach vierzehn Tagen von
Leipzig zurückgekommen, wohin Unruhe und ein kleines nicht
zu Stande gekommenes Geschäft mich rief und stürzte; und
plötzlich erzählt mir ganz diskursiv der Baron B., der hier
durchreist, daß Lothario unumstößlich gewiß heirathet. Mein
Schreck war beinah dem gleich, als ich die noch verschleierte
Existenz von Leontine erfuhr -- B. dachte ich sei närrisch --
das ganz Unerwartete erhöhte ihn um die Hälfte: denn nie
konnte ich eine endlich wirkliche Ausführung eines so derben
Vorhabens von Lothario erwarten. Welchen Henkerschlag
hatte ich Cäcilien beizubringen, wenn sie es etwa nicht wußte!
Gestern kam sie zu mir, beklagte sich -- eine Wiederholung
von mehr als sechs Monaten -- über Vernachlässigung in
jeder Rücksicht; und nach langem Schmachten, Missen, und
Verlegenheit nach Geld, war endlich ohne ein Wort des Tro-
stes und der Freundschaft die nackte, kahle Pension für das
Kind angekommen; so beträgt sich, so stumm immer Lothario,
wenn er in Verlegenheit ist; dies bemerkte mir das Mädchen
von neuem. Wie erschrak ich von neuem! Und wie ein
Wundarzt mußt' ich mich nun entschließen, ihr den Mordschlag
beizubringen. Ich verschone Sie mit den Details! Wissen
Sie soviel: daß ihr Herz und seine Forderungen schon längst

mit

tig mein Leben, d. h. mein inneres Sein berichtete. Von Woche
zu Woche wollte ich Sie wieder anreden, obgleich mich Ihr
Schweigen weiter nicht wunderte, noch mein Brief eine direkte
Antwort erforderte; aber freundliche und unfreundliche Wellen
des Lebens verſchlangen mit meiner Zeit die Ausführung mei-
nes Vorhabens, deſſen Lebendigkeit manchmal bis zur Qual
in mir ſtieg. Nun aber bin ich nach vierzehn Tagen von
Leipzig zurückgekommen, wohin Unruhe und ein kleines nicht
zu Stande gekommenes Geſchäft mich rief und ſtürzte; und
plötzlich erzählt mir ganz diskurſiv der Baron B., der hier
durchreiſt, daß Lothario unumſtößlich gewiß heirathet. Mein
Schreck war beinah dem gleich, als ich die noch verſchleierte
Exiſtenz von Leontine erfuhr — B. dachte ich ſei närriſch —
das ganz Unerwartete erhöhte ihn um die Hälfte: denn nie
konnte ich eine endlich wirkliche Ausführung eines ſo derben
Vorhabens von Lothario erwarten. Welchen Henkerſchlag
hatte ich Cäcilien beizubringen, wenn ſie es etwa nicht wußte!
Geſtern kam ſie zu mir, beklagte ſich — eine Wiederholung
von mehr als ſechs Monaten — über Vernachläſſigung in
jeder Rückſicht; und nach langem Schmachten, Miſſen, und
Verlegenheit nach Geld, war endlich ohne ein Wort des Tro-
ſtes und der Freundſchaft die nackte, kahle Penſion für das
Kind angekommen; ſo beträgt ſich, ſo ſtumm immer Lothario,
wenn er in Verlegenheit iſt; dies bemerkte mir das Mädchen
von neuem. Wie erſchrak ich von neuem! Und wie ein
Wundarzt mußt’ ich mich nun entſchließen, ihr den Mordſchlag
beizubringen. Ich verſchone Sie mit den Details! Wiſſen
Sie ſoviel: daß ihr Herz und ſeine Forderungen ſchon längſt

mit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0366" n="352"/>
tig mein Leben, d. h. mein inneres Sein berichtete. Von Woche<lb/>
zu Woche wollte ich Sie wieder anreden, obgleich mich Ihr<lb/>
Schweigen weiter nicht wunderte, noch mein Brief eine direkte<lb/>
Antwort erforderte; aber freundliche und unfreundliche Wellen<lb/>
des Lebens ver&#x017F;chlangen mit meiner Zeit die Ausführung mei-<lb/>
nes Vorhabens, de&#x017F;&#x017F;en Lebendigkeit manchmal bis zur Qual<lb/>
in mir &#x017F;tieg. Nun aber bin ich nach vierzehn Tagen von<lb/>
Leipzig zurückgekommen, wohin Unruhe und ein kleines nicht<lb/>
zu Stande gekommenes Ge&#x017F;chäft mich rief und &#x017F;türzte; und<lb/>
plötzlich erzählt mir ganz diskur&#x017F;iv der Baron B., der hier<lb/>
durchrei&#x017F;t, daß Lothario unum&#x017F;tößlich gewiß heirathet. Mein<lb/>
Schreck war beinah dem gleich, als ich die noch ver&#x017F;chleierte<lb/>
Exi&#x017F;tenz von Leontine erfuhr &#x2014; B. dachte ich &#x017F;ei närri&#x017F;ch &#x2014;<lb/>
das ganz Unerwartete erhöhte ihn um die Hälfte: denn nie<lb/>
konnte ich eine endlich wirkliche Ausführung eines &#x017F;o derben<lb/>
Vorhabens von Lothario erwarten. Welchen Henker&#x017F;chlag<lb/>
hatte ich Cäcilien beizubringen, wenn &#x017F;ie es etwa nicht wußte!<lb/>
Ge&#x017F;tern kam &#x017F;ie zu mir, beklagte &#x017F;ich &#x2014; eine Wiederholung<lb/>
von mehr als &#x017F;echs Monaten &#x2014; über Vernachlä&#x017F;&#x017F;igung in<lb/>
jeder Rück&#x017F;icht; und nach langem Schmachten, Mi&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
Verlegenheit nach Geld, war endlich ohne ein Wort des Tro-<lb/>
&#x017F;tes und der Freund&#x017F;chaft die nackte, kahle Pen&#x017F;ion für das<lb/>
Kind angekommen; &#x017F;o beträgt &#x017F;ich, &#x017F;o &#x017F;tumm immer Lothario,<lb/>
wenn er in Verlegenheit i&#x017F;t; dies bemerkte mir das Mädchen<lb/>
von neuem. Wie er&#x017F;chrak ich von neuem! Und wie ein<lb/>
Wundarzt mußt&#x2019; ich mich nun ent&#x017F;chließen, ihr den Mord&#x017F;chlag<lb/>
beizubringen. Ich ver&#x017F;chone Sie mit den Details! Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie &#x017F;oviel: daß ihr Herz und &#x017F;eine Forderungen &#x017F;chon läng&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0366] tig mein Leben, d. h. mein inneres Sein berichtete. Von Woche zu Woche wollte ich Sie wieder anreden, obgleich mich Ihr Schweigen weiter nicht wunderte, noch mein Brief eine direkte Antwort erforderte; aber freundliche und unfreundliche Wellen des Lebens verſchlangen mit meiner Zeit die Ausführung mei- nes Vorhabens, deſſen Lebendigkeit manchmal bis zur Qual in mir ſtieg. Nun aber bin ich nach vierzehn Tagen von Leipzig zurückgekommen, wohin Unruhe und ein kleines nicht zu Stande gekommenes Geſchäft mich rief und ſtürzte; und plötzlich erzählt mir ganz diskurſiv der Baron B., der hier durchreiſt, daß Lothario unumſtößlich gewiß heirathet. Mein Schreck war beinah dem gleich, als ich die noch verſchleierte Exiſtenz von Leontine erfuhr — B. dachte ich ſei närriſch — das ganz Unerwartete erhöhte ihn um die Hälfte: denn nie konnte ich eine endlich wirkliche Ausführung eines ſo derben Vorhabens von Lothario erwarten. Welchen Henkerſchlag hatte ich Cäcilien beizubringen, wenn ſie es etwa nicht wußte! Geſtern kam ſie zu mir, beklagte ſich — eine Wiederholung von mehr als ſechs Monaten — über Vernachläſſigung in jeder Rückſicht; und nach langem Schmachten, Miſſen, und Verlegenheit nach Geld, war endlich ohne ein Wort des Tro- ſtes und der Freundſchaft die nackte, kahle Penſion für das Kind angekommen; ſo beträgt ſich, ſo ſtumm immer Lothario, wenn er in Verlegenheit iſt; dies bemerkte mir das Mädchen von neuem. Wie erſchrak ich von neuem! Und wie ein Wundarzt mußt’ ich mich nun entſchließen, ihr den Mordſchlag beizubringen. Ich verſchone Sie mit den Details! Wiſſen Sie ſoviel: daß ihr Herz und ſeine Forderungen ſchon längſt mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/366
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/366>, abgerufen am 25.04.2024.