Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Bei Mad. F. fand ich Raimond. Der hatte von
einem Freund gesprochen, der sehr gut deklamirte, aber weder
Talma noch irgend einem nachmachte. Ich hatte ihn gebeten,
er möchte ihn bringen, und er brachte dann gestern Monsieur
Richard. Er sagte die Scenen, wo Othello vor dem Senat
erzählt, durch welche Künste er Desdemona bekommen habe.
Da mahlte er sie selbst ab, anstatt mit Entzücken, mit Selig-
keit: mit Unglauben und Nichtbegreifen; er machte ihr nach.
Falsch! Dies ist sehr französisch: jedoch auch deutsch. Dann
sagte er eine Scene, wo Achill von seiner Geburt spricht, und
was er thun will. Die sagte er wie ein Göttersohn! und schon
mit einer physischen Löwenkraft. -- Nun frug er nach Moliere,
und ich erschrak, wie er Tartüffe aufschlug. Zu bekannt!
dacht' ich: aber ich Esel dachte nur an den Gang, an den
Plan des Stücks. Er las denn also! -- Und ich lachte so,
wie bei der vollkommensten Vorstellung. Wie ich in Iffland
und Langhans in fünf Jahren nicht lachte. Diese Vollkom-
menheit ist aber selbst schon zum Lachen! Und Moliere, --
diese Sprache! -- die hatte ich wieder vergessen -- diese spru-
delnde Bewegung, dieser Witz, der gar keiner mehr ist; son-
dern Leben, die Sache! O! ich bitte dich, goutire den! oder
vielmehr, höre ihn von Franzosen, und du mußt es. Ich litt
wieder, denn ich gönnte mir es gar nicht! Ein wirkliches fran-
zösisches Spektakel. Großmutter, Mann, Frau, Jungfer, Tar-
tüffe, Bräutigam, alles spielte er; schreien vor Lachen mußte
man: und ohne krasses Nachmachen, ganz edle Nüancen, und
doch die ächteste Komödie! O! hätte ich einen Zeugen, dem du
glaubtest! hätte es nur Chamisso oder Neumann gehört! --

— Bei Mad. F. fand ich Raimond. Der hatte von
einem Freund geſprochen, der ſehr gut deklamirte, aber weder
Talma noch irgend einem nachmachte. Ich hatte ihn gebeten,
er möchte ihn bringen, und er brachte dann geſtern Monſieur
Richard. Er ſagte die Scenen, wo Othello vor dem Senat
erzählt, durch welche Künſte er Desdemona bekommen habe.
Da mahlte er ſie ſelbſt ab, anſtatt mit Entzücken, mit Selig-
keit: mit Unglauben und Nichtbegreifen; er machte ihr nach.
Falſch! Dies iſt ſehr franzöſiſch: jedoch auch deutſch. Dann
ſagte er eine Scene, wo Achill von ſeiner Geburt ſpricht, und
was er thun will. Die ſagte er wie ein Götterſohn! und ſchon
mit einer phyſiſchen Löwenkraft. — Nun frug er nach Moliere,
und ich erſchrak, wie er Tartüffe aufſchlug. Zu bekannt!
dacht’ ich: aber ich Eſel dachte nur an den Gang, an den
Plan des Stücks. Er las denn alſo! — Und ich lachte ſo,
wie bei der vollkommenſten Vorſtellung. Wie ich in Iffland
und Langhans in fünf Jahren nicht lachte. Dieſe Vollkom-
menheit iſt aber ſelbſt ſchon zum Lachen! Und Moliere, —
dieſe Sprache! — die hatte ich wieder vergeſſen — dieſe ſpru-
delnde Bewegung, dieſer Witz, der gar keiner mehr iſt; ſon-
dern Leben, die Sache! O! ich bitte dich, goutire den! oder
vielmehr, höre ihn von Franzoſen, und du mußt es. Ich litt
wieder, denn ich gönnte mir es gar nicht! Ein wirkliches fran-
zöſiſches Spektakel. Großmutter, Mann, Frau, Jungfer, Tar-
tüffe, Bräutigam, alles ſpielte er; ſchreien vor Lachen mußte
man: und ohne kraſſes Nachmachen, ganz edle Nüancen, und
doch die ächteſte Komödie! O! hätte ich einen Zeugen, dem du
glaubteſt! hätte es nur Chamiſſo oder Neumann gehört! —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0376" n="362"/>
          <p>&#x2014; Bei Mad. F. fand ich Raimond. Der hatte von<lb/>
einem Freund ge&#x017F;prochen, der &#x017F;ehr gut deklamirte, aber weder<lb/>
Talma noch irgend einem nachmachte. Ich hatte ihn gebeten,<lb/>
er möchte ihn bringen, und er brachte dann ge&#x017F;tern Mon&#x017F;ieur<lb/>
Richard. Er &#x017F;agte die Scenen, wo Othello vor dem Senat<lb/>
erzählt, durch welche Kün&#x017F;te er Desdemona bekommen habe.<lb/>
Da mahlte er <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> &#x017F;elb&#x017F;t ab, an&#x017F;tatt mit Entzücken, mit Selig-<lb/>
keit: mit Unglauben und Nichtbegreifen; er machte ihr nach.<lb/>
Fal&#x017F;ch! Dies i&#x017F;t &#x017F;ehr franzö&#x017F;i&#x017F;ch: jedoch auch deut&#x017F;ch. Dann<lb/>
&#x017F;agte er eine Scene, wo Achill von &#x017F;einer Geburt &#x017F;pricht, und<lb/>
was er thun will. Die &#x017F;agte er wie ein Götter&#x017F;ohn! und &#x017F;chon<lb/>
mit einer phy&#x017F;i&#x017F;chen Löwenkraft. &#x2014; Nun frug er nach Moliere,<lb/>
und ich er&#x017F;chrak, wie er Tartüffe auf&#x017F;chlug. Zu bekannt!<lb/>
dacht&#x2019; ich: aber ich E&#x017F;el dachte nur an den Gang, an den<lb/>
Plan des Stücks. Er las denn al&#x017F;o! &#x2014; Und ich lachte <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi>,<lb/>
wie bei der vollkommen&#x017F;ten Vor&#x017F;tellung. Wie ich in Iffland<lb/>
und Langhans in fünf Jahren nicht lachte. Die&#x017F;e Vollkom-<lb/>
menheit i&#x017F;t aber &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon zum Lachen! Und Moliere, &#x2014;<lb/>
die&#x017F;e Sprache! &#x2014; die hatte ich wieder verge&#x017F;&#x017F;en &#x2014; die&#x017F;e &#x017F;pru-<lb/>
delnde Bewegung, die&#x017F;er Witz, der gar keiner mehr i&#x017F;t; &#x017F;on-<lb/>
dern Leben, die Sache! O! ich bitte dich, goutire <hi rendition="#g">den</hi>! oder<lb/>
vielmehr, höre ihn von Franzo&#x017F;en, und du mußt es. Ich litt<lb/>
wieder, denn ich gönnte mir es gar nicht! Ein wirkliches fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;ches Spektakel. Großmutter, Mann, Frau, Jungfer, Tar-<lb/>
tüffe, Bräutigam, alles &#x017F;pielte er; &#x017F;chreien vor Lachen mußte<lb/>
man: und ohne kra&#x017F;&#x017F;es Nachmachen, ganz edle Nüancen, und<lb/>
doch die ächte&#x017F;te Komödie! O! hätte ich einen Zeugen, dem du<lb/>
glaubte&#x017F;t! hätte es nur Chami&#x017F;&#x017F;o oder Neumann gehört! &#x2014;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0376] — Bei Mad. F. fand ich Raimond. Der hatte von einem Freund geſprochen, der ſehr gut deklamirte, aber weder Talma noch irgend einem nachmachte. Ich hatte ihn gebeten, er möchte ihn bringen, und er brachte dann geſtern Monſieur Richard. Er ſagte die Scenen, wo Othello vor dem Senat erzählt, durch welche Künſte er Desdemona bekommen habe. Da mahlte er ſie ſelbſt ab, anſtatt mit Entzücken, mit Selig- keit: mit Unglauben und Nichtbegreifen; er machte ihr nach. Falſch! Dies iſt ſehr franzöſiſch: jedoch auch deutſch. Dann ſagte er eine Scene, wo Achill von ſeiner Geburt ſpricht, und was er thun will. Die ſagte er wie ein Götterſohn! und ſchon mit einer phyſiſchen Löwenkraft. — Nun frug er nach Moliere, und ich erſchrak, wie er Tartüffe aufſchlug. Zu bekannt! dacht’ ich: aber ich Eſel dachte nur an den Gang, an den Plan des Stücks. Er las denn alſo! — Und ich lachte ſo, wie bei der vollkommenſten Vorſtellung. Wie ich in Iffland und Langhans in fünf Jahren nicht lachte. Dieſe Vollkom- menheit iſt aber ſelbſt ſchon zum Lachen! Und Moliere, — dieſe Sprache! — die hatte ich wieder vergeſſen — dieſe ſpru- delnde Bewegung, dieſer Witz, der gar keiner mehr iſt; ſon- dern Leben, die Sache! O! ich bitte dich, goutire den! oder vielmehr, höre ihn von Franzoſen, und du mußt es. Ich litt wieder, denn ich gönnte mir es gar nicht! Ein wirkliches fran- zöſiſches Spektakel. Großmutter, Mann, Frau, Jungfer, Tar- tüffe, Bräutigam, alles ſpielte er; ſchreien vor Lachen mußte man: und ohne kraſſes Nachmachen, ganz edle Nüancen, und doch die ächteſte Komödie! O! hätte ich einen Zeugen, dem du glaubteſt! hätte es nur Chamiſſo oder Neumann gehört! —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/376
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/376>, abgerufen am 25.04.2024.