Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

thue nichts, als vom Fenster nach meinem Brief laufen; und
weinen. Von weitem nach der Mohrenstraße marschiren jetzt
welche. So viel Pelze und Damen glaub' ich sind in der
Welt nicht. -- Nun habe ich welche gesehn, ein Trupp ging
hier vorbei; sie sahen gut aus. Wie Franzosen; sehr gut:
und wie aus dem Krieg; und doch wohlbehalten. -- -- Ich
komme von Mama! Ich habe mich geirrt, Freikomödie ist
nicht; aber die Ränge sind in Beschlag genommen. Lies doch
die Zeitungen, da steht alles drin. Adieu! -- --

Die Stelle aus Heinse von dem Schweizertanz in Unter-
walden: der ihn zwei Stunden inniglich ergötzt hat: "Ihr
Tanz ist das ernsthafteste, feierlichste Zittern der Lust in allen
Wesen, das bis zur Angst geht, besonders bei den Manns-
leuten. Alle ihre Bewegungen und Tritte und Schwenkun-
gen sind sehr freiwillig, und hangen viel von jedem ab. Das
Jauchzen dazwischen, das einem wiehernden Gegirre gleicht,
macht es vollkommen zu einem erlaubten öffentlichen Vorspiel
von Hochzeit." -- "Wiehernden Gegirre", ist das nicht wie
in einem Portrait? Untersteht sich ein Mahler, fällt es ihm
ein, in einem ersonnenen Gesichte solche Disparate anzubrin-
gen, wie sie in der Natur wohl da sind, für die, welche sie
sehen? So schön mahlt er auch Lavater: ich habe nie eine Zeile
von ihm gelesen, und bin überzeugt von der Ähnlichkeit.



An Varnhagen, in Tübingen.

-- -- Siehst du, daß du ein andres Leben haben mußt,
und nicht in öder, gesellschaftloser Stadt ein Bücherleben süh-

thue nichts, als vom Fenſter nach meinem Brief laufen; und
weinen. Von weitem nach der Mohrenſtraße marſchiren jetzt
welche. So viel Pelze und Damen glaub’ ich ſind in der
Welt nicht. — Nun habe ich welche geſehn, ein Trupp ging
hier vorbei; ſie ſahen gut aus. Wie Franzoſen; ſehr gut:
und wie aus dem Krieg; und doch wohlbehalten. — — Ich
komme von Mama! Ich habe mich geirrt, Freikomödie iſt
nicht; aber die Ränge ſind in Beſchlag genommen. Lies doch
die Zeitungen, da ſteht alles drin. Adieu! — —

Die Stelle aus Heinſe von dem Schweizertanz in Unter-
walden: der ihn zwei Stunden inniglich ergötzt hat: „Ihr
Tanz iſt das ernſthafteſte, feierlichſte Zittern der Luſt in allen
Weſen, das bis zur Angſt geht, beſonders bei den Manns-
leuten. Alle ihre Bewegungen und Tritte und Schwenkun-
gen ſind ſehr freiwillig, und hangen viel von jedem ab. Das
Jauchzen dazwiſchen, das einem wiehernden Gegirre gleicht,
macht es vollkommen zu einem erlaubten öffentlichen Vorſpiel
von Hochzeit.“ — „Wiehernden Gegirre“, iſt das nicht wie
in einem Portrait? Unterſteht ſich ein Mahler, fällt es ihm
ein, in einem erſonnenen Geſichte ſolche Disparate anzubrin-
gen, wie ſie in der Natur wohl da ſind, für die, welche ſie
ſehen? So ſchön mahlt er auch Lavater: ich habe nie eine Zeile
von ihm geleſen, und bin überzeugt von der Ähnlichkeit.



An Varnhagen, in Tübingen.

— — Siehſt du, daß du ein andres Leben haben mußt,
und nicht in öder, geſellſchaftloſer Stadt ein Bücherleben ſüh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0393" n="379"/>
thue nichts, als vom Fen&#x017F;ter nach meinem Brief laufen; und<lb/>
weinen. Von weitem nach der Mohren&#x017F;traße mar&#x017F;chiren jetzt<lb/>
welche. So viel Pelze und Damen glaub&#x2019; ich &#x017F;ind in der<lb/>
Welt nicht. &#x2014; Nun habe ich welche ge&#x017F;ehn, ein Trupp ging<lb/>
hier vorbei; &#x017F;ie &#x017F;ahen gut aus. Wie Franzo&#x017F;en; &#x017F;ehr gut:<lb/>
und wie aus dem Krieg; und doch wohlbehalten. &#x2014; &#x2014; Ich<lb/>
komme von Mama! Ich habe mich geirrt, Freikomödie i&#x017F;t<lb/>
nicht; aber die Ränge &#x017F;ind in Be&#x017F;chlag genommen. Lies doch<lb/>
die Zeitungen, da &#x017F;teht alles drin. Adieu! &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
            <p>Die Stelle aus Hein&#x017F;e von dem Schweizertanz in Unter-<lb/>
walden: der ihn zwei Stunden inniglich ergötzt hat: &#x201E;Ihr<lb/>
Tanz i&#x017F;t das ern&#x017F;thafte&#x017F;te, feierlich&#x017F;te Zittern der Lu&#x017F;t in allen<lb/>
We&#x017F;en, das bis zur Ang&#x017F;t geht, be&#x017F;onders bei den Manns-<lb/>
leuten. Alle ihre Bewegungen und Tritte und Schwenkun-<lb/>
gen &#x017F;ind &#x017F;ehr freiwillig, und hangen viel von jedem ab. Das<lb/>
Jauchzen dazwi&#x017F;chen, das einem wiehernden Gegirre gleicht,<lb/>
macht es vollkommen zu einem erlaubten öffentlichen Vor&#x017F;piel<lb/>
von Hochzeit.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Wiehernden Gegirre&#x201C;, i&#x017F;t das nicht wie<lb/>
in einem Portrait? Unter&#x017F;teht &#x017F;ich ein Mahler, fällt es ihm<lb/>
ein, in einem er&#x017F;onnenen Ge&#x017F;ichte &#x017F;olche Disparate anzubrin-<lb/>
gen, wie &#x017F;ie in der Natur wohl da &#x017F;ind, für die, welche &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ehen? So &#x017F;chön mahlt er auch Lavater: ich habe nie eine Zeile<lb/>
von ihm gele&#x017F;en, und bin überzeugt von der Ähnlichkeit.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Tübingen.</head><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Berlin, Mittwoch den 13. December 1808. Vormittag.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; &#x2014; Sieh&#x017F;t du, daß du ein andres Leben haben mußt,<lb/>
und nicht in öder, ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlo&#x017F;er Stadt ein Bücherleben &#x017F;üh-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0393] thue nichts, als vom Fenſter nach meinem Brief laufen; und weinen. Von weitem nach der Mohrenſtraße marſchiren jetzt welche. So viel Pelze und Damen glaub’ ich ſind in der Welt nicht. — Nun habe ich welche geſehn, ein Trupp ging hier vorbei; ſie ſahen gut aus. Wie Franzoſen; ſehr gut: und wie aus dem Krieg; und doch wohlbehalten. — — Ich komme von Mama! Ich habe mich geirrt, Freikomödie iſt nicht; aber die Ränge ſind in Beſchlag genommen. Lies doch die Zeitungen, da ſteht alles drin. Adieu! — — Die Stelle aus Heinſe von dem Schweizertanz in Unter- walden: der ihn zwei Stunden inniglich ergötzt hat: „Ihr Tanz iſt das ernſthafteſte, feierlichſte Zittern der Luſt in allen Weſen, das bis zur Angſt geht, beſonders bei den Manns- leuten. Alle ihre Bewegungen und Tritte und Schwenkun- gen ſind ſehr freiwillig, und hangen viel von jedem ab. Das Jauchzen dazwiſchen, das einem wiehernden Gegirre gleicht, macht es vollkommen zu einem erlaubten öffentlichen Vorſpiel von Hochzeit.“ — „Wiehernden Gegirre“, iſt das nicht wie in einem Portrait? Unterſteht ſich ein Mahler, fällt es ihm ein, in einem erſonnenen Geſichte ſolche Disparate anzubrin- gen, wie ſie in der Natur wohl da ſind, für die, welche ſie ſehen? So ſchön mahlt er auch Lavater: ich habe nie eine Zeile von ihm geleſen, und bin überzeugt von der Ähnlichkeit. An Varnhagen, in Tübingen. Berlin, Mittwoch den 13. December 1808. Vormittag. — — Siehſt du, daß du ein andres Leben haben mußt, und nicht in öder, geſellſchaftloſer Stadt ein Bücherleben ſüh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/393
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/393>, abgerufen am 28.03.2024.