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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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vermuthet; und eh' ich erfahren hatte, daß es wirklich ein
Welscher geschrieben, glaubte ich ein Deutscher hätte es dort
gethan, und ein anderer habe es übersetzt. Vaterlandsliebe,
und verliebte Liebe, spielen da solche abgeschmackte leidende
Rollen, heben sich gegenseitig auf, aber nicht empor, daß
einem so matt wird, als dem Jacopo -- schon der Name! --
selbst. Einem Vater werden da drei bis vier Personen geopfert,
der nicht drei Sous werth ist, und den der Verfasser noch
loben zu müssen glaubt. Kurz, ein sehr schlechtes und schlecht
konzipirtes, unangenehmes Buch. Da aber die häßliche Ge-
schichte wahr sein soll, so stirbt doch Einer so natürlich am
Ende, daß der Tod mir mich selbst zu packen schien; und da
dacht' ich an die Lieben mit Sehnsucht! --

-- Mir sagt's heute, und heute wie ein Augure, mein
krankes, geängstigtes Herz. Ja, es ist krank. -- Verzeihe
meine Angst meiner verstrickten Seele! -- alles schlägt mir
fehl, alles in der Welt, außer du. Und der Winter, meine
wirkliche -- und auch außen wirklich gewordene -- Einsam-
keit, mein feines Nervenspiel -- ach, so wie es mich erhöht,
und erhellt, kann es mich sehr elend, in gräuelvolle Abgründe
stürzen machen. Meinem Geist, meiner Einbildungskraft ist
alles möglich, ach! und meine Erfahrung widerspricht ihnen
in nichts. Das bischen von den Menschen angenommene phy-
sische Möglichkeit, ist mir auch nichts. Laß dich nicht traurig
machen! Aber wenn Dolche auf mich gezückt wären, Kano-
nen ihre Rachen gegen mich blökten, ich würde hinfallen, aber
nicht anders sprechen können. Das Ungewisse tödtet mich.
Ich muß Freiheit haben und Gewißheit. So war ich immer;

vermuthet; und eh’ ich erfahren hatte, daß es wirklich ein
Welſcher geſchrieben, glaubte ich ein Deutſcher hätte es dort
gethan, und ein anderer habe es überſetzt. Vaterlandsliebe,
und verliebte Liebe, ſpielen da ſolche abgeſchmackte leidende
Rollen, heben ſich gegenſeitig auf, aber nicht empor, daß
einem ſo matt wird, als dem Jacopo — ſchon der Name! —
ſelbſt. Einem Vater werden da drei bis vier Perſonen geopfert,
der nicht drei Sous werth iſt, und den der Verfaſſer noch
loben zu müſſen glaubt. Kurz, ein ſehr ſchlechtes und ſchlecht
konzipirtes, unangenehmes Buch. Da aber die häßliche Ge-
ſchichte wahr ſein ſoll, ſo ſtirbt doch Einer ſo natürlich am
Ende, daß der Tod mir mich ſelbſt zu packen ſchien; und da
dacht’ ich an die Lieben mit Sehnſucht! —

— Mir ſagt’s heute, und heute wie ein Augure, mein
krankes, geängſtigtes Herz. Ja, es iſt krank. — Verzeihe
meine Angſt meiner verſtrickten Seele! — alles ſchlägt mir
fehl, alles in der Welt, außer du. Und der Winter, meine
wirkliche — und auch außen wirklich gewordene — Einſam-
keit, mein feines Nervenſpiel — ach, ſo wie es mich erhöht,
und erhellt, kann es mich ſehr elend, in gräuelvolle Abgründe
ſtürzen machen. Meinem Geiſt, meiner Einbildungskraft iſt
alles möglich, ach! und meine Erfahrung widerſpricht ihnen
in nichts. Das bischen von den Menſchen angenommene phy-
ſiſche Möglichkeit, iſt mir auch nichts. Laß dich nicht traurig
machen! Aber wenn Dolche auf mich gezückt wären, Kano-
nen ihre Rachen gegen mich blökten, ich würde hinfallen, aber
nicht anders ſprechen können. Das Ungewiſſe tödtet mich.
Ich muß Freiheit haben und Gewißheit. So war ich immer;

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[382/0396] vermuthet; und eh’ ich erfahren hatte, daß es wirklich ein Welſcher geſchrieben, glaubte ich ein Deutſcher hätte es dort gethan, und ein anderer habe es überſetzt. Vaterlandsliebe, und verliebte Liebe, ſpielen da ſolche abgeſchmackte leidende Rollen, heben ſich gegenſeitig auf, aber nicht empor, daß einem ſo matt wird, als dem Jacopo — ſchon der Name! — ſelbſt. Einem Vater werden da drei bis vier Perſonen geopfert, der nicht drei Sous werth iſt, und den der Verfaſſer noch loben zu müſſen glaubt. Kurz, ein ſehr ſchlechtes und ſchlecht konzipirtes, unangenehmes Buch. Da aber die häßliche Ge- ſchichte wahr ſein ſoll, ſo ſtirbt doch Einer ſo natürlich am Ende, daß der Tod mir mich ſelbſt zu packen ſchien; und da dacht’ ich an die Lieben mit Sehnſucht! — — Mir ſagt’s heute, und heute wie ein Augure, mein krankes, geängſtigtes Herz. Ja, es iſt krank. — Verzeihe meine Angſt meiner verſtrickten Seele! — alles ſchlägt mir fehl, alles in der Welt, außer du. Und der Winter, meine wirkliche — und auch außen wirklich gewordene — Einſam- keit, mein feines Nervenſpiel — ach, ſo wie es mich erhöht, und erhellt, kann es mich ſehr elend, in gräuelvolle Abgründe ſtürzen machen. Meinem Geiſt, meiner Einbildungskraft iſt alles möglich, ach! und meine Erfahrung widerſpricht ihnen in nichts. Das bischen von den Menſchen angenommene phy- ſiſche Möglichkeit, iſt mir auch nichts. Laß dich nicht traurig machen! Aber wenn Dolche auf mich gezückt wären, Kano- nen ihre Rachen gegen mich blökten, ich würde hinfallen, aber nicht anders ſprechen können. Das Ungewiſſe tödtet mich. Ich muß Freiheit haben und Gewißheit. So war ich immer;

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/396>, abgerufen am 18.04.2024.