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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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muß vom Himmel die Gabe haben, Zustände zu fassen, und
auszudrücken, das letztere ist eine rohere, äußerlichere und all-
gemeinere; wenn er dann nicht thut, was er nicht darf, --
und diese prohibirenden Gesetze aus allen Gegenden des Rechen-
schaft gebenden Geistes zusammen hat, -- und sich freies Spiel
läßt, so werden wir Gutes haben. Unsere jetzigen Akteurs
aber, wissen von keinem Stück, keinem Dichter, keiner Stim-
mung, keinem menschlichen Zustand; und ennuyiren mich bis
zur Nervenkrispation. Auch Hr. Wolff nahm jedes Wort,
wie unsere Stich's, einzeln; und bekam nie die Rolle zusam-
men. Seine Stimme ist nicht schlecht, noch unangenehm, (das
R spricht er scharf, also tragisch), aber sie ist sich nicht gleich,
und drückt nie jemand aus, der aus einem Punkt der Seele
heraus lebt; sondern nur einen Menschen, der bald von einer,
bald von einer andern großen Idee, oder von solchen Men-
schen, erfaßt sein kann: folglich kann er nichts Bewunderns-
werthes, nichts Verehrungswerthes -- einen solchen Menschen
nämlich -- darstellen: gewiß mancherlei romantisch Anziehen-
des, Bemitleidwerthes; wenn er nach Karakteren, und nicht
nach Worten spielen wird. Ich habe eine Ahndung, daß er
Lieder, u. dgl., in tollen Reimen und Versen, gut sagen kann.
Wie das Parzenlied; welche von Schiller: und sehr vieles
von Shakespear. Wo er vague bleiben kann, und anklingen
an ganz phantastische allgemeine Zustände der außermenschli-
chen Dinge, und auch solchen phantastischen Gemüthszuständen,
kann er wohl sehr gut sein; das glaub' ich, durch seine Au-
gen, die man im dritten Range sieht, durch ein adliches Ge-
müthswesen, welches ihn sogar während des schlechten Spiels

muß vom Himmel die Gabe haben, Zuſtände zu faſſen, und
auszudrücken, das letztere iſt eine rohere, äußerlichere und all-
gemeinere; wenn er dann nicht thut, was er nicht darf, —
und dieſe prohibirenden Geſetze aus allen Gegenden des Rechen-
ſchaft gebenden Geiſtes zuſammen hat, — und ſich freies Spiel
läßt, ſo werden wir Gutes haben. Unſere jetzigen Akteurs
aber, wiſſen von keinem Stück, keinem Dichter, keiner Stim-
mung, keinem menſchlichen Zuſtand; und ennuyiren mich bis
zur Nervenkriſpation. Auch Hr. Wolff nahm jedes Wort,
wie unſere Stich’s, einzeln; und bekam nie die Rolle zuſam-
men. Seine Stimme iſt nicht ſchlecht, noch unangenehm, (das
R ſpricht er ſcharf, alſo tragiſch), aber ſie iſt ſich nicht gleich,
und drückt nie jemand aus, der aus einem Punkt der Seele
heraus lebt; ſondern nur einen Menſchen, der bald von einer,
bald von einer andern großen Idee, oder von ſolchen Men-
ſchen, erfaßt ſein kann: folglich kann er nichts Bewunderns-
werthes, nichts Verehrungswerthes — einen ſolchen Menſchen
nämlich — darſtellen: gewiß mancherlei romantiſch Anziehen-
des, Bemitleidwerthes; wenn er nach Karakteren, und nicht
nach Worten ſpielen wird. Ich habe eine Ahndung, daß er
Lieder, u. dgl., in tollen Reimen und Verſen, gut ſagen kann.
Wie das Parzenlied; welche von Schiller: und ſehr vieles
von Shakeſpear. Wo er vague bleiben kann, und anklingen
an ganz phantaſtiſche allgemeine Zuſtände der außermenſchli-
chen Dinge, und auch ſolchen phantaſtiſchen Gemüthszuſtänden,
kann er wohl ſehr gut ſein; das glaub’ ich, durch ſeine Au-
gen, die man im dritten Range ſieht, durch ein adliches Ge-
müthsweſen, welches ihn ſogar während des ſchlechten Spiels

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[495/0509] muß vom Himmel die Gabe haben, Zuſtände zu faſſen, und auszudrücken, das letztere iſt eine rohere, äußerlichere und all- gemeinere; wenn er dann nicht thut, was er nicht darf, — und dieſe prohibirenden Geſetze aus allen Gegenden des Rechen- ſchaft gebenden Geiſtes zuſammen hat, — und ſich freies Spiel läßt, ſo werden wir Gutes haben. Unſere jetzigen Akteurs aber, wiſſen von keinem Stück, keinem Dichter, keiner Stim- mung, keinem menſchlichen Zuſtand; und ennuyiren mich bis zur Nervenkriſpation. Auch Hr. Wolff nahm jedes Wort, wie unſere Stich’s, einzeln; und bekam nie die Rolle zuſam- men. Seine Stimme iſt nicht ſchlecht, noch unangenehm, (das R ſpricht er ſcharf, alſo tragiſch), aber ſie iſt ſich nicht gleich, und drückt nie jemand aus, der aus einem Punkt der Seele heraus lebt; ſondern nur einen Menſchen, der bald von einer, bald von einer andern großen Idee, oder von ſolchen Men- ſchen, erfaßt ſein kann: folglich kann er nichts Bewunderns- werthes, nichts Verehrungswerthes — einen ſolchen Menſchen nämlich — darſtellen: gewiß mancherlei romantiſch Anziehen- des, Bemitleidwerthes; wenn er nach Karakteren, und nicht nach Worten ſpielen wird. Ich habe eine Ahndung, daß er Lieder, u. dgl., in tollen Reimen und Verſen, gut ſagen kann. Wie das Parzenlied; welche von Schiller: und ſehr vieles von Shakeſpear. Wo er vague bleiben kann, und anklingen an ganz phantaſtiſche allgemeine Zuſtände der außermenſchli- chen Dinge, und auch ſolchen phantaſtiſchen Gemüthszuſtänden, kann er wohl ſehr gut ſein; das glaub’ ich, durch ſeine Au- gen, die man im dritten Range ſieht, durch ein adliches Ge- müthsweſen, welches ihn ſogar während des ſchlechten Spiels

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/509>, abgerufen am 24.04.2024.