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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.


Heute, jetzt, mein theurer Freund, grüße ich Sie nur. Ob-
gleich ich Ihnen viel zu schreiben habe, und hätte, und seit
den ganzen zwei Tagen in Gedanken geschrieben habe. Alles
richt' ich an Sie. Gestern Morgen war Nanny lange bei
mir, nachher Mad. Schleiermacher. Nachmittags Harscher,
mit dem ich in Bellevue war. Er blieb auch den Abend bei
mir. Erweichte sich nach seiner Art. Die Art besteht aber
doch darin, nichts zu fühlen was vor ihm ist: mich auch nicht.
Doch sagte er, ich thäte ihm wohl. Jetzt leb' ich fast nicht
vor Erschöpfung und Nervenirritation. Sehen Sie meine
Handschrift! Alle Tage werde ich schwächer; jedoch komme
ich oft in göttliche Zustände. Ich werde es versuchen, sie deut-
lich zu machen. Sehr komisch mußt' ich's finden, als mir Har-
scher sagte, sie kennen Wolffs. Und nun ich mit meinem gro-
ßen Brief! Er thut mir nicht leid. Ich besuchte Mad. Wolff
heute Morgen und Frau von Grotthuß: habe eine Menge
Sachen besorgt, und Mad. Bethmann bei mir gesehen. Nun
muß ich essen und ruhen, und Wolff in einem Lustspiele sehen.
Künftig den Bericht von diesem Spiel und dem Grotthuß'schen
Abend. Der Mann gefällt mir, und Morgen, wo ich mit
ihnen bei Mad. Bethmann bin, will ich ihm sehr die Kour
machen. Auch die Frau habe ich schon sehr getröstet, die von
Berlin dekontenancirt ist. "Mir wird wieder wohl, seit Sie
hier sind!" sagte sie mir diesen Morgen, und wollte mich
nicht weglassen. Ich bin wieder wie die Jungfrau! Ich,

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.


Heute, jetzt, mein theurer Freund, grüße ich Sie nur. Ob-
gleich ich Ihnen viel zu ſchreiben habe, und hätte, und ſeit
den ganzen zwei Tagen in Gedanken geſchrieben habe. Alles
richt’ ich an Sie. Geſtern Morgen war Nanny lange bei
mir, nachher Mad. Schleiermacher. Nachmittags Harſcher,
mit dem ich in Bellevue war. Er blieb auch den Abend bei
mir. Erweichte ſich nach ſeiner Art. Die Art beſteht aber
doch darin, nichts zu fühlen was vor ihm iſt: mich auch nicht.
Doch ſagte er, ich thäte ihm wohl. Jetzt leb’ ich faſt nicht
vor Erſchöpfung und Nervenirritation. Sehen Sie meine
Handſchrift! Alle Tage werde ich ſchwächer; jedoch komme
ich oft in göttliche Zuſtände. Ich werde es verſuchen, ſie deut-
lich zu machen. Sehr komiſch mußt’ ich’s finden, als mir Har-
ſcher ſagte, ſie kennen Wolffs. Und nun ich mit meinem gro-
ßen Brief! Er thut mir nicht leid. Ich beſuchte Mad. Wolff
heute Morgen und Frau von Grotthuß: habe eine Menge
Sachen beſorgt, und Mad. Bethmann bei mir geſehen. Nun
muß ich eſſen und ruhen, und Wolff in einem Luſtſpiele ſehen.
Künftig den Bericht von dieſem Spiel und dem Grotthuß’ſchen
Abend. Der Mann gefällt mir, und Morgen, wo ich mit
ihnen bei Mad. Bethmann bin, will ich ihm ſehr die Kour
machen. Auch die Frau habe ich ſchon ſehr getröſtet, die von
Berlin dekontenancirt iſt. „Mir wird wieder wohl, ſeit Sie
hier ſind!“ ſagte ſie mir dieſen Morgen, und wollte mich
nicht weglaſſen. Ich bin wieder wie die Jungfrau! Ich,

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[498/0512] An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf. Donnerstag Mittag um 3, den 9. Mai 1811. Heute, jetzt, mein theurer Freund, grüße ich Sie nur. Ob- gleich ich Ihnen viel zu ſchreiben habe, und hätte, und ſeit den ganzen zwei Tagen in Gedanken geſchrieben habe. Alles richt’ ich an Sie. Geſtern Morgen war Nanny lange bei mir, nachher Mad. Schleiermacher. Nachmittags Harſcher, mit dem ich in Bellevue war. Er blieb auch den Abend bei mir. Erweichte ſich nach ſeiner Art. Die Art beſteht aber doch darin, nichts zu fühlen was vor ihm iſt: mich auch nicht. Doch ſagte er, ich thäte ihm wohl. Jetzt leb’ ich faſt nicht vor Erſchöpfung und Nervenirritation. Sehen Sie meine Handſchrift! Alle Tage werde ich ſchwächer; jedoch komme ich oft in göttliche Zuſtände. Ich werde es verſuchen, ſie deut- lich zu machen. Sehr komiſch mußt’ ich’s finden, als mir Har- ſcher ſagte, ſie kennen Wolffs. Und nun ich mit meinem gro- ßen Brief! Er thut mir nicht leid. Ich beſuchte Mad. Wolff heute Morgen und Frau von Grotthuß: habe eine Menge Sachen beſorgt, und Mad. Bethmann bei mir geſehen. Nun muß ich eſſen und ruhen, und Wolff in einem Luſtſpiele ſehen. Künftig den Bericht von dieſem Spiel und dem Grotthuß’ſchen Abend. Der Mann gefällt mir, und Morgen, wo ich mit ihnen bei Mad. Bethmann bin, will ich ihm ſehr die Kour machen. Auch die Frau habe ich ſchon ſehr getröſtet, die von Berlin dekontenancirt iſt. „Mir wird wieder wohl, ſeit Sie hier ſind!“ ſagte ſie mir dieſen Morgen, und wollte mich nicht weglaſſen. Ich bin wieder wie die Jungfrau! Ich,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/512>, abgerufen am 28.03.2024.