Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

zur freiesten Lustigkeit, ohne Groll und Zorn; und wie ich
gewöhnlich ganz von meinem Schicksale abgewandt bin.
Neue Kräfte, neuer Muth, neues Sehen, ein frisches unper-
sönliches Herz, ein gesunder Kopf, ein recht geistiger Geist,
die helfen sehr. Und Sie; Sie helfen mir auch; Sie machen
es mir wahr und wirklich, was ich liebe: was ich in mir
liebe. Sie vergewissern es mir, daß ich kein Träumender al-
lein hier bin! -- Um von einer schönen Frau zu sprechen!
Frau von B. ist eine. Aber glauben Sie's? Ich sah sie nur
von ferne, und mied sie; die Mutter war auch da, und diese,
eine überaus gute Frau, mied ich so, daß ich Umwege machte,
und auf einem Ball am einen Ende des Saals blieb, bloß
weil sie auf dem andern waren; und bloß -- weil ich die
tödtend nichtigen Dinge nicht sagen wollte, ohne Endzweck,
Plan und Lust; und ganz besonders, weil diese Mutter einen
gemeinen freundlichen Mann -- gewesener preußischer Offizier
-- hat; den floh ich eigentlich, und alle die Menschen, und
weil man so sehr um sie her war, um die Schöne. Wenn
sie etwas von der Natur -- von "Grünes" -- weiß, so ist
das sehr viel. Doch glaub' ich's; warum nicht!?

Sie haben mir gestern einen göttlichen Brief geschrieben;
ich weiß nicht welche Mischung von unbezwinglicher, aber
eben bezwungener Rührung, ja, Erschütterung, zwischen
jedes auch noch so gleichgültige Wort gedrungen ist! So
stark, so ernst, so thränenreich klang mir noch kein Brief von
Ihnen! und so aus Einem Stück! Sie glauben nicht, wie
es mich schmeichelt, daß Sie mich des Französischen wegen
loben; weil ich es gar zu gern wüßte! und all meines, ich

zur freieſten Luſtigkeit, ohne Groll und Zorn; und wie ich
gewöhnlich ganz von meinem Schickſale abgewandt bin.
Neue Kräfte, neuer Muth, neues Sehen, ein friſches unper-
ſönliches Herz, ein geſunder Kopf, ein recht geiſtiger Geiſt,
die helfen ſehr. Und Sie; Sie helfen mir auch; Sie machen
es mir wahr und wirklich, was ich liebe: was ich in mir
liebe. Sie vergewiſſern es mir, daß ich kein Träumender al-
lein hier bin! — Um von einer ſchönen Frau zu ſprechen!
Frau von B. iſt eine. Aber glauben Sie’s? Ich ſah ſie nur
von ferne, und mied ſie; die Mutter war auch da, und dieſe,
eine überaus gute Frau, mied ich ſo, daß ich Umwege machte,
und auf einem Ball am einen Ende des Saals blieb, bloß
weil ſie auf dem andern waren; und bloß — weil ich die
tödtend nichtigen Dinge nicht ſagen wollte, ohne Endzweck,
Plan und Luſt; und ganz beſonders, weil dieſe Mutter einen
gemeinen freundlichen Mann — geweſener preußiſcher Offizier
— hat; den floh ich eigentlich, und alle die Menſchen, und
weil man ſo ſehr um ſie her war, um die Schöne. Wenn
ſie etwas von der Natur — von „Grünes“ — weiß, ſo iſt
das ſehr viel. Doch glaub’ ich’s; warum nicht!?

Sie haben mir geſtern einen göttlichen Brief geſchrieben;
ich weiß nicht welche Miſchung von unbezwinglicher, aber
eben bezwungener Rührung, ja, Erſchütterung, zwiſchen
jedes auch noch ſo gleichgültige Wort gedrungen iſt! So
ſtark, ſo ernſt, ſo thränenreich klang mir noch kein Brief von
Ihnen! und ſo aus Einem Stück! Sie glauben nicht, wie
es mich ſchmeichelt, daß Sie mich des Franzöſiſchen wegen
loben; weil ich es gar zu gern wüßte! und all meines, ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0564" n="550"/>
zur freie&#x017F;ten Lu&#x017F;tigkeit, ohne Groll und Zorn; und wie ich<lb/><hi rendition="#g">gewöhnlich</hi> ganz von meinem Schick&#x017F;ale abgewandt bin.<lb/>
Neue Kräfte, neuer Muth, neues Sehen, ein fri&#x017F;ches unper-<lb/>
&#x017F;önliches Herz, ein <hi rendition="#g">ge&#x017F;under</hi> Kopf, ein recht gei&#x017F;tiger Gei&#x017F;t,<lb/>
die helfen &#x017F;ehr. Und Sie; Sie helfen mir auch; Sie machen<lb/>
es mir wahr und wirklich, was ich liebe: was ich in mir<lb/>
liebe. Sie vergewi&#x017F;&#x017F;ern es mir, daß ich kein Träumender al-<lb/>
lein hier bin! &#x2014; Um von einer &#x017F;chönen Frau zu &#x017F;prechen!<lb/>
Frau von B. i&#x017F;t eine. Aber glauben Sie&#x2019;s? Ich &#x017F;ah &#x017F;ie nur<lb/>
von ferne, und mied &#x017F;ie; die Mutter war auch da, und die&#x017F;e,<lb/>
eine überaus gute Frau, mied ich &#x017F;o, daß ich Umwege machte,<lb/>
und auf einem Ball am einen Ende des Saals blieb, bloß<lb/>
weil &#x017F;ie auf dem andern waren; und bloß &#x2014; weil ich die<lb/>
tödtend nichtigen Dinge nicht &#x017F;agen wollte, ohne Endzweck,<lb/>
Plan und Lu&#x017F;t; und ganz be&#x017F;onders, weil die&#x017F;e Mutter einen<lb/>
gemeinen freundlichen Mann &#x2014; gewe&#x017F;ener preußi&#x017F;cher Offizier<lb/>
&#x2014; hat; den floh ich eigentlich, und alle die Men&#x017F;chen, und<lb/>
weil man &#x017F;o &#x017F;ehr um &#x017F;ie her war, um die Schöne. Wenn<lb/>
&#x017F;ie etwas von der Natur &#x2014; von &#x201E;Grünes&#x201C; &#x2014; weiß, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
das &#x017F;ehr viel. Doch glaub&#x2019; ich&#x2019;s; warum nicht!?</p><lb/>
            <p>Sie haben mir ge&#x017F;tern einen göttlichen Brief ge&#x017F;chrieben;<lb/>
ich weiß nicht welche Mi&#x017F;chung von unbezwinglicher, aber<lb/><hi rendition="#g">eben bezwungener</hi> Rührung, ja, Er&#x017F;chütterung, zwi&#x017F;chen<lb/>
jedes auch noch &#x017F;o gleichgültige Wort gedrungen i&#x017F;t! So<lb/>
&#x017F;tark, &#x017F;o ern&#x017F;t, &#x017F;o thränenreich klang mir noch kein Brief von<lb/>
Ihnen! und &#x017F;o aus Einem Stück! Sie glauben nicht, wie<lb/>
es mich &#x017F;chmeichelt, daß Sie mich des Franzö&#x017F;i&#x017F;chen wegen<lb/>
loben; weil ich es gar zu gern wüßte! und all meines, ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[550/0564] zur freieſten Luſtigkeit, ohne Groll und Zorn; und wie ich gewöhnlich ganz von meinem Schickſale abgewandt bin. Neue Kräfte, neuer Muth, neues Sehen, ein friſches unper- ſönliches Herz, ein geſunder Kopf, ein recht geiſtiger Geiſt, die helfen ſehr. Und Sie; Sie helfen mir auch; Sie machen es mir wahr und wirklich, was ich liebe: was ich in mir liebe. Sie vergewiſſern es mir, daß ich kein Träumender al- lein hier bin! — Um von einer ſchönen Frau zu ſprechen! Frau von B. iſt eine. Aber glauben Sie’s? Ich ſah ſie nur von ferne, und mied ſie; die Mutter war auch da, und dieſe, eine überaus gute Frau, mied ich ſo, daß ich Umwege machte, und auf einem Ball am einen Ende des Saals blieb, bloß weil ſie auf dem andern waren; und bloß — weil ich die tödtend nichtigen Dinge nicht ſagen wollte, ohne Endzweck, Plan und Luſt; und ganz beſonders, weil dieſe Mutter einen gemeinen freundlichen Mann — geweſener preußiſcher Offizier — hat; den floh ich eigentlich, und alle die Menſchen, und weil man ſo ſehr um ſie her war, um die Schöne. Wenn ſie etwas von der Natur — von „Grünes“ — weiß, ſo iſt das ſehr viel. Doch glaub’ ich’s; warum nicht!? Sie haben mir geſtern einen göttlichen Brief geſchrieben; ich weiß nicht welche Miſchung von unbezwinglicher, aber eben bezwungener Rührung, ja, Erſchütterung, zwiſchen jedes auch noch ſo gleichgültige Wort gedrungen iſt! So ſtark, ſo ernſt, ſo thränenreich klang mir noch kein Brief von Ihnen! und ſo aus Einem Stück! Sie glauben nicht, wie es mich ſchmeichelt, daß Sie mich des Franzöſiſchen wegen loben; weil ich es gar zu gern wüßte! und all meines, ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/564
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/564>, abgerufen am 20.04.2024.