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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ich Ihnen von neuem zeigen, daß ich es wohl verdiene, so
von Ihnen bedacht und angeredet zu werden! Und diese Er-
kenntlichkeit wird Ihnen der wahrste wirklichste Dank sein.
Ich gratulire Ihnen aus dem theilnehmendsten, einsichtsvoll-
sten Herzen, daß Ihnen jene schöne Erscheinung begegnete;
und mir, daß Sie mir nach so langem Schweigen davon spre-
chen mußten. (Ich merke, daß ich noch nicht schreiben kann,
und hunderttausend bessere Briefe Ihnen während fünf Tagen
geschrieben habe, als dieser hier. Auch hat man mich hier mit
einem Besuch, und einem Brief und Einlage gestört. Jetzt
also -- wie zur Unzeit, hör' ich auf: doch nein! noch ein bis-
chen!) Könnt' ich Sie nur für verliebt halten! -- was Sie
mir verbieten -- von der Liebe kann man nichts Absurdes sa-
gen, sagt Chamfort; und so ist es auch wahr, daß sie die
tiefste Überzeugung ist. Ich freue mich also Ihres Glücks,
daß Sie ein Geschöpf von Angesicht zu Angesicht sahen, wel-
ches jeden Ihrer Blicke von neuem reizt, und die Überzeugung
in Ihnen zum Leben hervorruft, daß es ein reiner, lieber, ver-
stehender Engel ist. Je vollkommener das Geschöpf, je weni-
ger von unserm eignen Herzensglanz beschienen, je "freuden-
reicher", "ruhiger", je weniger "Verlangen" flößt es ein. Lie-
ben ist ein außerirdisches Verhältniß; eine Empfindung. Ein
Glück. Alles Übrige, was sich auf Besitz, außer dem Herzen,
bezieht, Verhältniß; schlecht, und peinigend. Ich tadle hier
niemand: ich bedaure uns Alle! Ich gönne Ihnen diese
helle Sonne im Leben, die das Graue, erstickend-tödtende,
verscheucht, und die zum Erstaunen weckenden Kinderfarben
wieder hervorruft; das Herz zum neuen Umschwung alles Le-

ich Ihnen von neuem zeigen, daß ich es wohl verdiene, ſo
von Ihnen bedacht und angeredet zu werden! Und dieſe Er-
kenntlichkeit wird Ihnen der wahrſte wirklichſte Dank ſein.
Ich gratulire Ihnen aus dem theilnehmendſten, einſichtsvoll-
ſten Herzen, daß Ihnen jene ſchöne Erſcheinung begegnete;
und mir, daß Sie mir nach ſo langem Schweigen davon ſpre-
chen mußten. (Ich merke, daß ich noch nicht ſchreiben kann,
und hunderttauſend beſſere Briefe Ihnen während fünf Tagen
geſchrieben habe, als dieſer hier. Auch hat man mich hier mit
einem Beſuch, und einem Brief und Einlage geſtört. Jetzt
alſo — wie zur Unzeit, hör’ ich auf: doch nein! noch ein bis-
chen!) Könnt’ ich Sie nur für verliebt halten! — was Sie
mir verbieten — von der Liebe kann man nichts Abſurdes ſa-
gen, ſagt Chamfort; und ſo iſt es auch wahr, daß ſie die
tiefſte Überzeugung iſt. Ich freue mich alſo Ihres Glücks,
daß Sie ein Geſchöpf von Angeſicht zu Angeſicht ſahen, wel-
ches jeden Ihrer Blicke von neuem reizt, und die Überzeugung
in Ihnen zum Leben hervorruft, daß es ein reiner, lieber, ver-
ſtehender Engel iſt. Je vollkommener das Geſchöpf, je weni-
ger von unſerm eignen Herzensglanz beſchienen, je „freuden-
reicher“, „ruhiger“, je weniger „Verlangen“ flößt es ein. Lie-
ben iſt ein außerirdiſches Verhältniß; eine Empfindung. Ein
Glück. Alles Übrige, was ſich auf Beſitz, außer dem Herzen,
bezieht, Verhältniß; ſchlecht, und peinigend. Ich tadle hier
niemand: ich bedaure uns Alle! Ich gönne Ihnen dieſe
helle Sonne im Leben, die das Graue, erſtickend-tödtende,
verſcheucht, und die zum Erſtaunen weckenden Kinderfarben
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[553/0567] ich Ihnen von neuem zeigen, daß ich es wohl verdiene, ſo von Ihnen bedacht und angeredet zu werden! Und dieſe Er- kenntlichkeit wird Ihnen der wahrſte wirklichſte Dank ſein. Ich gratulire Ihnen aus dem theilnehmendſten, einſichtsvoll- ſten Herzen, daß Ihnen jene ſchöne Erſcheinung begegnete; und mir, daß Sie mir nach ſo langem Schweigen davon ſpre- chen mußten. (Ich merke, daß ich noch nicht ſchreiben kann, und hunderttauſend beſſere Briefe Ihnen während fünf Tagen geſchrieben habe, als dieſer hier. Auch hat man mich hier mit einem Beſuch, und einem Brief und Einlage geſtört. Jetzt alſo — wie zur Unzeit, hör’ ich auf: doch nein! noch ein bis- chen!) Könnt’ ich Sie nur für verliebt halten! — was Sie mir verbieten — von der Liebe kann man nichts Abſurdes ſa- gen, ſagt Chamfort; und ſo iſt es auch wahr, daß ſie die tiefſte Überzeugung iſt. Ich freue mich alſo Ihres Glücks, daß Sie ein Geſchöpf von Angeſicht zu Angeſicht ſahen, wel- ches jeden Ihrer Blicke von neuem reizt, und die Überzeugung in Ihnen zum Leben hervorruft, daß es ein reiner, lieber, ver- ſtehender Engel iſt. Je vollkommener das Geſchöpf, je weni- ger von unſerm eignen Herzensglanz beſchienen, je „freuden- reicher“, „ruhiger“, je weniger „Verlangen“ flößt es ein. Lie- ben iſt ein außerirdiſches Verhältniß; eine Empfindung. Ein Glück. Alles Übrige, was ſich auf Beſitz, außer dem Herzen, bezieht, Verhältniß; ſchlecht, und peinigend. Ich tadle hier niemand: ich bedaure uns Alle! Ich gönne Ihnen dieſe helle Sonne im Leben, die das Graue, erſtickend-tödtende, verſcheucht, und die zum Erſtaunen weckenden Kinderfarben wieder hervorruft; das Herz zum neuen Umſchwung alles Le-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/567>, abgerufen am 25.04.2024.