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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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dies Glück, daß ich einem Menschen so wichtig als dir gewor-
den bin, soll mir nicht umsonst begegnen, muthig und klug
will ich's ergreifen, was mir noch ein Gnadenblick der Götter
gönnt. Das Größte, der größte Bestandtheil zum Größten,
ist mir ja in dir, in deiner Liebe dargeboten; ich nehm' es an.
Wahr darf ich ganz mit dir sein, mich ganz zeigen, wie ich mich
mir nur selbst zeigen kann, und du liebst mich doch. Ich
habe den verständigsten Freund; und frei sollst auch du in
allen Dingen bei mir sein, und bleiben. Zusammenleben wol-
len wir aber. Und auch meinem Onkel zu sagen, wie ich von
dir denke, wie wir stehen, wie du von mir denkst, bin ich ge-
sonnen. (Dieser Brief kann nur wieder, was er enthält, kurz
berühren: ich kann noch nicht gut schreiben.) Donnerstag
vor acht Tagen bekam ich Nervenanfälle, wie ich sie nie hatte.
Zittern und Dröhnen im höchsten Grade: ich wurde gehal-
ten, sprach im Anfang unaufhörlich; von halb 10 ging's
an, um halb 4 Nachts lief Line zu Nettchen; Böhm, den ich
jetzt hasse, der Lüge wegen, wollt' ich durchaus nicht. Oft
konnt ich nicht sprechen, mein Gesicht grimassirte. Ich rief
nach dir: und in Augenblicken, wo mir Zunge und Gaumen
kalt wurden, und das Gehirn aufhören wollte, dacht' ich zu
sterben. Ohne Angst. Vorher in der Nervenangst hatte ich
gräßliche: aber noch nicht solche, wie ich schon genossen habe.
Als Line weg war, kam das Dröhnen auf's Äußerste! Die
Zunge wurde nach einiger Neigung zum Erbrechen -- welches
wohl an vierzehnmal geschah -- ganz kalt; Zittern und
Dröhnen hörten plötzlich auf; ich ward wie müde; glaubte,
so stirbt man, und sagte zu Dore: Grüß Varnhagen! weil

dies Glück, daß ich einem Menſchen ſo wichtig als dir gewor-
den bin, ſoll mir nicht umſonſt begegnen, muthig und klug
will ich’s ergreifen, was mir noch ein Gnadenblick der Götter
gönnt. Das Größte, der größte Beſtandtheil zum Größten,
iſt mir ja in dir, in deiner Liebe dargeboten; ich nehm’ es an.
Wahr darf ich ganz mit dir ſein, mich ganz zeigen, wie ich mich
mir nur ſelbſt zeigen kann, und du liebſt mich doch. Ich
habe den verſtändigſten Freund; und frei ſollſt auch du in
allen Dingen bei mir ſein, und bleiben. Zuſammenleben wol-
len wir aber. Und auch meinem Onkel zu ſagen, wie ich von
dir denke, wie wir ſtehen, wie du von mir denkſt, bin ich ge-
ſonnen. (Dieſer Brief kann nur wieder, was er enthält, kurz
berühren: ich kann noch nicht gut ſchreiben.) Donnerstag
vor acht Tagen bekam ich Nervenanfälle, wie ich ſie nie hatte.
Zittern und Dröhnen im höchſten Grade: ich wurde gehal-
ten, ſprach im Anfang unaufhörlich; von halb 10 ging’s
an, um halb 4 Nachts lief Line zu Nettchen; Böhm, den ich
jetzt haſſe, der Lüge wegen, wollt’ ich durchaus nicht. Oft
konnt ich nicht ſprechen, mein Geſicht grimaſſirte. Ich rief
nach dir: und in Augenblicken, wo mir Zunge und Gaumen
kalt wurden, und das Gehirn aufhören wollte, dacht’ ich zu
ſterben. Ohne Angſt. Vorher in der Nervenangſt hatte ich
gräßliche: aber noch nicht ſolche, wie ich ſchon genoſſen habe.
Als Line weg war, kam das Dröhnen auf’s Äußerſte! Die
Zunge wurde nach einiger Neigung zum Erbrechen — welches
wohl an vierzehnmal geſchah — ganz kalt; Zittern und
Dröhnen hörten plötzlich auf; ich ward wie müde; glaubte,
ſo ſtirbt man, und ſagte zu Dore: Grüß Varnhagen! weil

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[571/0585] dies Glück, daß ich einem Menſchen ſo wichtig als dir gewor- den bin, ſoll mir nicht umſonſt begegnen, muthig und klug will ich’s ergreifen, was mir noch ein Gnadenblick der Götter gönnt. Das Größte, der größte Beſtandtheil zum Größten, iſt mir ja in dir, in deiner Liebe dargeboten; ich nehm’ es an. Wahr darf ich ganz mit dir ſein, mich ganz zeigen, wie ich mich mir nur ſelbſt zeigen kann, und du liebſt mich doch. Ich habe den verſtändigſten Freund; und frei ſollſt auch du in allen Dingen bei mir ſein, und bleiben. Zuſammenleben wol- len wir aber. Und auch meinem Onkel zu ſagen, wie ich von dir denke, wie wir ſtehen, wie du von mir denkſt, bin ich ge- ſonnen. (Dieſer Brief kann nur wieder, was er enthält, kurz berühren: ich kann noch nicht gut ſchreiben.) Donnerstag vor acht Tagen bekam ich Nervenanfälle, wie ich ſie nie hatte. Zittern und Dröhnen im höchſten Grade: ich wurde gehal- ten, ſprach im Anfang unaufhörlich; von halb 10 ging’s an, um halb 4 Nachts lief Line zu Nettchen; Böhm, den ich jetzt haſſe, der Lüge wegen, wollt’ ich durchaus nicht. Oft konnt ich nicht ſprechen, mein Geſicht grimaſſirte. Ich rief nach dir: und in Augenblicken, wo mir Zunge und Gaumen kalt wurden, und das Gehirn aufhören wollte, dacht’ ich zu ſterben. Ohne Angſt. Vorher in der Nervenangſt hatte ich gräßliche: aber noch nicht ſolche, wie ich ſchon genoſſen habe. Als Line weg war, kam das Dröhnen auf’s Äußerſte! Die Zunge wurde nach einiger Neigung zum Erbrechen — welches wohl an vierzehnmal geſchah — ganz kalt; Zittern und Dröhnen hörten plötzlich auf; ich ward wie müde; glaubte, ſo ſtirbt man, und ſagte zu Dore: Grüß Varnhagen! weil

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/585>, abgerufen am 19.04.2024.