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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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untheilbar und unzerstörbar überkommen ist, wie die sichtbare
Welt, in dessen Schooß wir flüchten, und dem wir ein tau-
sendfach entzündetes Herz gezwungen sind zuzutrauen, wovon
ein glimmendes Fünkchen auch unser Dasein ausmacht? Ein
großes Urherz worauf sich unseres bezieht.

Der Menschen Gedanken können weit schweifen; und sich
in engem Kreise, und in der Tiefe verwirren. Das wissen
auch Sie, aus Beobachtung und eigner Brust. Davon kann
man "lernen, die Mitmenschen nachsichtig, und sich selbst strenge
zu betrachten." Jedem ächten Menschen traue ich das zu;
man hat sich ja gar nicht, wenn man sich nicht streng faßt;
man hat keinen Andern, wenn man ihn nicht mit Liebe faßt.
Daß wir uns selbst lieben, dafür hat Gott gesorgt; wir kön-
nen uns nicht entkommen, sonst wichen wir von uns selbst.
Doch haben Sie Recht; man kann täglich nachhelfen an
Strenge gegen sich, und Nachsicht für Andere; im Kleinen
fehlt man doch! Gott segne Ihnen in aller Ewigkeit Ihr
Glück! die Offenbarung gefunden zu haben. Diese Gnade
ist dem Geschenk des Daseins zu vergleichen, und ist wie dies,
so positiv und wirklich, daß kein Wort mehr dazu paßt.
Dies Glück muß jeder, der einen Begriff davon haben, ein
Bedürfniß dazu fühlen kann, in tiefst-unterworfener Demuth
abwarten; und mit gedoppelter Kraft, das Große auch im
Dunklen ehren. Auch eine göttliche Aufgabe, für seine Men-
schen! Ich bringe Ihnen ein großes Opfer, Fouque! solche
Worte aus meiner Seele zu lassen; ich thue es, weil ich Ih-
nen nur durch solche zeigen kann, wie ehrlich ich es gefühlt
habe, welche hohe Gabe von Veneration Sie mir darbrach-

untheilbar und unzerſtörbar überkommen iſt, wie die ſichtbare
Welt, in deſſen Schooß wir flüchten, und dem wir ein tau-
ſendfach entzündetes Herz gezwungen ſind zuzutrauen, wovon
ein glimmendes Fünkchen auch unſer Daſein ausmacht? Ein
großes Urherz worauf ſich unſeres bezieht.

Der Menſchen Gedanken können weit ſchweifen; und ſich
in engem Kreiſe, und in der Tiefe verwirren. Das wiſſen
auch Sie, aus Beobachtung und eigner Bruſt. Davon kann
man „lernen, die Mitmenſchen nachſichtig, und ſich ſelbſt ſtrenge
zu betrachten.“ Jedem ächten Menſchen traue ich das zu;
man hat ſich ja gar nicht, wenn man ſich nicht ſtreng faßt;
man hat keinen Andern, wenn man ihn nicht mit Liebe faßt.
Daß wir uns ſelbſt lieben, dafür hat Gott geſorgt; wir kön-
nen uns nicht entkommen, ſonſt wichen wir von uns ſelbſt.
Doch haben Sie Recht; man kann täglich nachhelfen an
Strenge gegen ſich, und Nachſicht für Andere; im Kleinen
fehlt man doch! Gott ſegne Ihnen in aller Ewigkeit Ihr
Glück! die Offenbarung gefunden zu haben. Dieſe Gnade
iſt dem Geſchenk des Daſeins zu vergleichen, und iſt wie dies,
ſo poſitiv und wirklich, daß kein Wort mehr dazu paßt.
Dies Glück muß jeder, der einen Begriff davon haben, ein
Bedürfniß dazu fühlen kann, in tiefſt-unterworfener Demuth
abwarten; und mit gedoppelter Kraft, das Große auch im
Dunklen ehren. Auch eine göttliche Aufgabe, für ſeine Men-
ſchen! Ich bringe Ihnen ein großes Opfer, Fouqué! ſolche
Worte aus meiner Seele zu laſſen; ich thue es, weil ich Ih-
nen nur durch ſolche zeigen kann, wie ehrlich ich es gefühlt
habe, welche hohe Gabe von Veneration Sie mir darbrach-

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[583/0597] untheilbar und unzerſtörbar überkommen iſt, wie die ſichtbare Welt, in deſſen Schooß wir flüchten, und dem wir ein tau- ſendfach entzündetes Herz gezwungen ſind zuzutrauen, wovon ein glimmendes Fünkchen auch unſer Daſein ausmacht? Ein großes Urherz worauf ſich unſeres bezieht. Der Menſchen Gedanken können weit ſchweifen; und ſich in engem Kreiſe, und in der Tiefe verwirren. Das wiſſen auch Sie, aus Beobachtung und eigner Bruſt. Davon kann man „lernen, die Mitmenſchen nachſichtig, und ſich ſelbſt ſtrenge zu betrachten.“ Jedem ächten Menſchen traue ich das zu; man hat ſich ja gar nicht, wenn man ſich nicht ſtreng faßt; man hat keinen Andern, wenn man ihn nicht mit Liebe faßt. Daß wir uns ſelbſt lieben, dafür hat Gott geſorgt; wir kön- nen uns nicht entkommen, ſonſt wichen wir von uns ſelbſt. Doch haben Sie Recht; man kann täglich nachhelfen an Strenge gegen ſich, und Nachſicht für Andere; im Kleinen fehlt man doch! Gott ſegne Ihnen in aller Ewigkeit Ihr Glück! die Offenbarung gefunden zu haben. Dieſe Gnade iſt dem Geſchenk des Daſeins zu vergleichen, und iſt wie dies, ſo poſitiv und wirklich, daß kein Wort mehr dazu paßt. Dies Glück muß jeder, der einen Begriff davon haben, ein Bedürfniß dazu fühlen kann, in tiefſt-unterworfener Demuth abwarten; und mit gedoppelter Kraft, das Große auch im Dunklen ehren. Auch eine göttliche Aufgabe, für ſeine Men- ſchen! Ich bringe Ihnen ein großes Opfer, Fouqué! ſolche Worte aus meiner Seele zu laſſen; ich thue es, weil ich Ih- nen nur durch ſolche zeigen kann, wie ehrlich ich es gefühlt habe, welche hohe Gabe von Veneration Sie mir darbrach-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/597>, abgerufen am 28.03.2024.