Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

es dir fehlen. Unser Zustand muß dir nur nicht lebhaft genug
mehr sein; denk dir, wenn Klage an Papa kommt, ob nicht
alles Leiden auf Mama zurückkommt: "Nun hat er uns
alles verschüttet, ich habe es wohl vorher gesagt, zu allem
lass' ich mich überreden, du bist an allem schuld;" siehst du,
auf Mama kommt alle Schuld; und noch unzählige Sachen,
die du dir nicht denken kannst -- die du dir denken mußt.
Bedenk' nur uns, was wir leiden müssen: du kannst es nicht
fassen, denn ich kann es nachher immer nicht nach der Reihe
denken; und du willst dich nicht ein bischen schicken. Du
wirst auch sagen, Mama hat mich hergesprengt (denn ich
kenne deine rasche Art zu denken); wie war es zuletzt bei
uns? Du weißt es selbst. Ihre Herzensmeinung war gewiß
dabei gut; und hat sie doch gefehlt,? so mußt du es, mußt
du es gut machen, durch eine kurze Geduld wieder gut machen.
Unsre Mutter ist schwach, sie hat viel gelitten, muß noch viel
leiden, stürbe sie uns, so wäre dem Verstand nach gewiß der
Tod auch für uns das Beste, ich wenigstens würde ihn wäh-
len. -- Laß dich nicht von meinem Brief ängstigen, du weißt
ich bin etwas ängstlich. Ich beschwöre dich, brauch nur deine
Vernunft. Fehlet es dir an etwas, mach mich zu deiner Ver-
trauten, Geld oder alles andre in der Art sollst du haben.
Wir können überhaupt glücklich leben, wenn wir hinkommen,
und du uns auch Freude machst. Du hast ein gutes Herz --
du hast das meinige ganz gesehen; und kannst auch glau-
ben, daß ich dich liebe.

Grüß die Gad, Betty und Zadig; mit der Gad hast du
Recht, ich werde ihr schreiben: mach die Gad und Betty be-

es dir fehlen. Unſer Zuſtand muß dir nur nicht lebhaft genug
mehr ſein; denk dir, wenn Klage an Papa kommt, ob nicht
alles Leiden auf Mama zurückkommt: „Nun hat er uns
alles verſchüttet, ich habe es wohl vorher geſagt, zu allem
laſſ’ ich mich überreden, du biſt an allem ſchuld;“ ſiehſt du,
auf Mama kommt alle Schuld; und noch unzählige Sachen,
die du dir nicht denken kannſt — die du dir denken mußt.
Bedenk’ nur uns, was wir leiden müſſen: du kannſt es nicht
faſſen, denn ich kann es nachher immer nicht nach der Reihe
denken; und du willſt dich nicht ein bischen ſchicken. Du
wirſt auch ſagen, Mama hat mich hergeſprengt (denn ich
kenne deine raſche Art zu denken); wie war es zuletzt bei
uns? Du weißt es ſelbſt. Ihre Herzensmeinung war gewiß
dabei gut; und hat ſie doch gefehlt,? ſo mußt du es, mußt
du es gut machen, durch eine kurze Geduld wieder gut machen.
Unſre Mutter iſt ſchwach, ſie hat viel gelitten, muß noch viel
leiden, ſtürbe ſie uns, ſo wäre dem Verſtand nach gewiß der
Tod auch für uns das Beſte, ich wenigſtens würde ihn wäh-
len. — Laß dich nicht von meinem Brief ängſtigen, du weißt
ich bin etwas ängſtlich. Ich beſchwöre dich, brauch nur deine
Vernunft. Fehlet es dir an etwas, mach mich zu deiner Ver-
trauten, Geld oder alles andre in der Art ſollſt du haben.
Wir können überhaupt glücklich leben, wenn wir hinkommen,
und du uns auch Freude machſt. Du haſt ein gutes Herz —
du haſt das meinige ganz geſehen; und kannſt auch glau-
ben, daß ich dich liebe.

Grüß die Gad, Betty und Zadig; mit der Gad haſt du
Recht, ich werde ihr ſchreiben: mach die Gad und Betty be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="52"/>
es dir fehlen. Un&#x017F;er Zu&#x017F;tand muß dir nur nicht lebhaft genug<lb/>
mehr &#x017F;ein; denk dir, wenn Klage an Papa kommt, ob nicht<lb/>
alles Leiden auf Mama zurückkommt: &#x201E;Nun hat er uns<lb/>
alles ver&#x017F;chüttet, ich habe es wohl vorher ge&#x017F;agt, zu allem<lb/>
la&#x017F;&#x017F;&#x2019; ich mich überreden, du bi&#x017F;t an allem &#x017F;chuld;&#x201C; &#x017F;ieh&#x017F;t du,<lb/>
auf Mama kommt alle Schuld; und noch unzählige Sachen,<lb/>
die du dir nicht denken kann&#x017F;t &#x2014; die du dir denken mußt.<lb/>
Bedenk&#x2019; nur uns, was wir leiden mü&#x017F;&#x017F;en: du kann&#x017F;t es nicht<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, denn ich kann es nachher immer nicht nach der Reihe<lb/>
denken; und du will&#x017F;t dich nicht ein bischen &#x017F;chicken. Du<lb/>
wir&#x017F;t auch &#x017F;agen, Mama hat mich herge&#x017F;prengt (denn ich<lb/>
kenne deine ra&#x017F;che Art zu denken); wie war es zuletzt bei<lb/>
uns? Du weißt es &#x017F;elb&#x017F;t. Ihre Herzensmeinung war gewiß<lb/>
dabei gut; und hat &#x017F;ie doch gefehlt,? &#x017F;o mußt du es, mußt<lb/>
du es gut machen, durch eine kurze Geduld wieder gut machen.<lb/>
Un&#x017F;re Mutter i&#x017F;t &#x017F;chwach, &#x017F;ie hat viel gelitten, muß noch viel<lb/>
leiden, &#x017F;türbe &#x017F;ie uns, &#x017F;o wäre dem Ver&#x017F;tand nach gewiß der<lb/>
Tod auch für uns das Be&#x017F;te, ich wenig&#x017F;tens würde ihn wäh-<lb/>
len. &#x2014; Laß dich nicht von meinem Brief äng&#x017F;tigen, du weißt<lb/>
ich bin etwas äng&#x017F;tlich. Ich be&#x017F;chwöre dich, brauch nur deine<lb/>
Vernunft. Fehlet es dir an etwas, mach mich zu deiner Ver-<lb/>
trauten, Geld oder alles andre in der Art &#x017F;oll&#x017F;t du haben.<lb/>
Wir können überhaupt glücklich leben, wenn wir hinkommen,<lb/>
und du uns auch Freude mach&#x017F;t. Du ha&#x017F;t ein gutes Herz &#x2014;<lb/>
du ha&#x017F;t das meinige ganz ge&#x017F;ehen; und kann&#x017F;t auch glau-<lb/>
ben, daß ich dich liebe.</p><lb/>
          <p>Grüß die Gad, Betty und Zadig; mit der Gad ha&#x017F;t du<lb/>
Recht, ich werde ihr &#x017F;chreiben: mach die Gad und Betty be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0066] es dir fehlen. Unſer Zuſtand muß dir nur nicht lebhaft genug mehr ſein; denk dir, wenn Klage an Papa kommt, ob nicht alles Leiden auf Mama zurückkommt: „Nun hat er uns alles verſchüttet, ich habe es wohl vorher geſagt, zu allem laſſ’ ich mich überreden, du biſt an allem ſchuld;“ ſiehſt du, auf Mama kommt alle Schuld; und noch unzählige Sachen, die du dir nicht denken kannſt — die du dir denken mußt. Bedenk’ nur uns, was wir leiden müſſen: du kannſt es nicht faſſen, denn ich kann es nachher immer nicht nach der Reihe denken; und du willſt dich nicht ein bischen ſchicken. Du wirſt auch ſagen, Mama hat mich hergeſprengt (denn ich kenne deine raſche Art zu denken); wie war es zuletzt bei uns? Du weißt es ſelbſt. Ihre Herzensmeinung war gewiß dabei gut; und hat ſie doch gefehlt,? ſo mußt du es, mußt du es gut machen, durch eine kurze Geduld wieder gut machen. Unſre Mutter iſt ſchwach, ſie hat viel gelitten, muß noch viel leiden, ſtürbe ſie uns, ſo wäre dem Verſtand nach gewiß der Tod auch für uns das Beſte, ich wenigſtens würde ihn wäh- len. — Laß dich nicht von meinem Brief ängſtigen, du weißt ich bin etwas ängſtlich. Ich beſchwöre dich, brauch nur deine Vernunft. Fehlet es dir an etwas, mach mich zu deiner Ver- trauten, Geld oder alles andre in der Art ſollſt du haben. Wir können überhaupt glücklich leben, wenn wir hinkommen, und du uns auch Freude machſt. Du haſt ein gutes Herz — du haſt das meinige ganz geſehen; und kannſt auch glau- ben, daß ich dich liebe. Grüß die Gad, Betty und Zadig; mit der Gad haſt du Recht, ich werde ihr ſchreiben: mach die Gad und Betty be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/66
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/66>, abgerufen am 20.04.2024.