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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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lieber so recht völlig an die Schönheit denken bleiben. Ihr
Billet bekam ich heute Morgen, wie die Baranius bei mei-
ner Schwägerin war, aber Sie kamen nicht, und hätten tau-
sendmal mehr Vergnügen gehabt, als das Billet. Nein, wie
sie schön war! noch hab' ich Kopfschmerzen davon, so paradox
das klingt; es war das kleine Zimmer, und unser ganzes
Haus und Mad. Liman und Scholz und ich und meine
Mutter drängten sich ihr nah, ich am nächsten, und achtete
Hitze und gelinde Kopfschmerzen nicht, aber das Plaisir zu
sehr, und das vermehrte sie bis halb zwei Uhr, daß sie ging.
Und da reden die dummen Menschen noch lange schlecht
davon, als wenn dies Drängen nicht eben so natürlich, als
das Luftschöpfen wäre, und anders thut sie doch nichts, als
sie läßt sich drängen. Sie verstehen's nur gar nicht, Ehre
verdient so etwas, opfern müßten sie; und bei dem Reden
drängen sie, und bei dem Drängen reden sie. Die Schiefge-
zauberten, uns zur Last Verkehrten! Mich sollen sie nicht
wegkriegen. Sie war so schön! und erzählte so was Schönes,
wozu man nicht dumm sein kann, und wohl Gefühl haben
muß; und die hübsche Art! Wenn ich Sie sehe, will ich's
Ihnen wieder erzählen. Meine Mutter sagte ihr, daß sie
schön sei, sie bat sie nämlich mit Tournüre, einen großen Hut-
strich raufzuschlagen! und andren Menschen verdenkt man
das. Wenn ich nur ein Haus allein ausmachte, es sollte
gewiß ein neck'sches sein, nichts als Schönes sollte man drin
sehen; und fragen Sie noch, ob Sie eine geschmackvolle Ge-
sellschaft drin fänden! Schonen Sie sich nur, und kommen
Sie derweile in mein passables, wo manchmal was drin

lieber ſo recht völlig an die Schönheit denken bleiben. Ihr
Billet bekam ich heute Morgen, wie die Baranius bei mei-
ner Schwägerin war, aber Sie kamen nicht, und hätten tau-
ſendmal mehr Vergnügen gehabt, als das Billet. Nein, wie
ſie ſchön war! noch hab’ ich Kopfſchmerzen davon, ſo paradox
das klingt; es war das kleine Zimmer, und unſer ganzes
Haus und Mad. Liman und Scholz und ich und meine
Mutter drängten ſich ihr nah, ich am nächſten, und achtete
Hitze und gelinde Kopfſchmerzen nicht, aber das Plaiſir zu
ſehr, und das vermehrte ſie bis halb zwei Uhr, daß ſie ging.
Und da reden die dummen Menſchen noch lange ſchlecht
davon, als wenn dies Drängen nicht eben ſo natürlich, als
das Luftſchöpfen wäre, und anders thut ſie doch nichts, als
ſie läßt ſich drängen. Sie verſtehen’s nur gar nicht, Ehre
verdient ſo etwas, opfern müßten ſie; und bei dem Reden
drängen ſie, und bei dem Drängen reden ſie. Die Schiefge-
zauberten, uns zur Laſt Verkehrten! Mich ſollen ſie nicht
wegkriegen. Sie war ſo ſchön! und erzählte ſo was Schönes,
wozu man nicht dumm ſein kann, und wohl Gefühl haben
muß; und die hübſche Art! Wenn ich Sie ſehe, will ich’s
Ihnen wieder erzählen. Meine Mutter ſagte ihr, daß ſie
ſchön ſei, ſie bat ſie nämlich mit Tournüre, einen großen Hut-
ſtrich raufzuſchlagen! und andren Menſchen verdenkt man
das. Wenn ich nur ein Haus allein ausmachte, es ſollte
gewiß ein neck’ſches ſein, nichts als Schönes ſollte man drin
ſehen; und fragen Sie noch, ob Sie eine geſchmackvolle Ge-
ſellſchaft drin fänden! Schonen Sie ſich nur, und kommen
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[62/0076] lieber ſo recht völlig an die Schönheit denken bleiben. Ihr Billet bekam ich heute Morgen, wie die Baranius bei mei- ner Schwägerin war, aber Sie kamen nicht, und hätten tau- ſendmal mehr Vergnügen gehabt, als das Billet. Nein, wie ſie ſchön war! noch hab’ ich Kopfſchmerzen davon, ſo paradox das klingt; es war das kleine Zimmer, und unſer ganzes Haus und Mad. Liman und Scholz und ich und meine Mutter drängten ſich ihr nah, ich am nächſten, und achtete Hitze und gelinde Kopfſchmerzen nicht, aber das Plaiſir zu ſehr, und das vermehrte ſie bis halb zwei Uhr, daß ſie ging. Und da reden die dummen Menſchen noch lange ſchlecht davon, als wenn dies Drängen nicht eben ſo natürlich, als das Luftſchöpfen wäre, und anders thut ſie doch nichts, als ſie läßt ſich drängen. Sie verſtehen’s nur gar nicht, Ehre verdient ſo etwas, opfern müßten ſie; und bei dem Reden drängen ſie, und bei dem Drängen reden ſie. Die Schiefge- zauberten, uns zur Laſt Verkehrten! Mich ſollen ſie nicht wegkriegen. Sie war ſo ſchön! und erzählte ſo was Schönes, wozu man nicht dumm ſein kann, und wohl Gefühl haben muß; und die hübſche Art! Wenn ich Sie ſehe, will ich’s Ihnen wieder erzählen. Meine Mutter ſagte ihr, daß ſie ſchön ſei, ſie bat ſie nämlich mit Tournüre, einen großen Hut- ſtrich raufzuſchlagen! und andren Menſchen verdenkt man das. Wenn ich nur ein Haus allein ausmachte, es ſollte gewiß ein neck’ſches ſein, nichts als Schönes ſollte man drin ſehen; und fragen Sie noch, ob Sie eine geſchmackvolle Ge- ſellſchaft drin fänden! Schonen Sie ſich nur, und kommen Sie derweile in mein paſſables, wo manchmal was drin

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/76>, abgerufen am 19.04.2024.