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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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ist, je schneller findet sie sich in alles, worein sie sich finden
muß, das ist eine schöne Eigenschaft; und ein völlig liebens-
würdiges Geschöpf muß dabei noch Kourage und Selbststän-
digkeit dabei haben, um nicht auch jedesmal zu werden, was
sie scheinen muß, und auch nicht jedesmal zu scheinen, was
sie scheinen soll. So find' ich denn noch immer Prätension
und nicht Absicht (die ich auch ohne Noth nicht liebe), wie sie
Ihnen jetzt glauben machen will, in ihrem Betragen; sollte
sie nicht klug genug sein und Geschmack genug haben, daß,
wenn man ihr die Wahrheit an den Hals setzt, auch die ihre
aus sich zur einzigen anpassenden Gegenwehr hervorzusuchen,
und endlich Vergnügen dran zu finden, die Bürde von Lug
von sich zu werfen, obgleich sie die Last erst hernach fühlt,
die sie sich auflud. Freilich wollte sie repräsentiren, und mußte
sie repräsentiren, aber wollen, wo man nicht muß, gefällt mir
nicht; daher billige ich ihr Betragen gegen Fr., obgleich ich
muthiger und grader zu Werke ginge, und finde ihr Glück-
seligkeits-Prahlen weniger hübsch, weil ich glaube, daß sie's
gar nicht nöthig hatte: sie wird aber wohl immer so lebhaft
und Beifall zu lieben zu angewohnt sein, um sich diesen Trost
von Unbequemlichkeit und Zeitverlust je recht vom Halse zu
schaffen. Ich kann mir denken, daß sie jetzt sehr liebenswür-
dig, angenehm, und witzig, ist; kommt da noch eine Dosis
Aufrichtigkeit hinzu, so kann es hinreißen. Mich würde es
gewiß einnehmen und mir sehr gefallen, denn ich hab' sie lie-
benswürdig und hingebend gedacht, noch wie sie mich schätzte
und sonst nichts that; goutirt sie denn nicht, weiß sie nicht
alles? wo Kourage fehlt, hätt' ich sie: es thut mir also aller-

iſt, je ſchneller findet ſie ſich in alles, worein ſie ſich finden
muß, das iſt eine ſchöne Eigenſchaft; und ein völlig liebens-
würdiges Geſchöpf muß dabei noch Kourage und Selbſtſtän-
digkeit dabei haben, um nicht auch jedesmal zu werden, was
ſie ſcheinen muß, und auch nicht jedesmal zu ſcheinen, was
ſie ſcheinen ſoll. So find’ ich denn noch immer Prätenſion
und nicht Abſicht (die ich auch ohne Noth nicht liebe), wie ſie
Ihnen jetzt glauben machen will, in ihrem Betragen; ſollte
ſie nicht klug genug ſein und Geſchmack genug haben, daß,
wenn man ihr die Wahrheit an den Hals ſetzt, auch die ihre
aus ſich zur einzigen anpaſſenden Gegenwehr hervorzuſuchen,
und endlich Vergnügen dran zu finden, die Bürde von Lug
von ſich zu werfen, obgleich ſie die Laſt erſt hernach fühlt,
die ſie ſich auflud. Freilich wollte ſie repräſentiren, und mußte
ſie repräſentiren, aber wollen, wo man nicht muß, gefällt mir
nicht; daher billige ich ihr Betragen gegen Fr., obgleich ich
muthiger und grader zu Werke ginge, und finde ihr Glück-
ſeligkeits-Prahlen weniger hübſch, weil ich glaube, daß ſie’s
gar nicht nöthig hatte: ſie wird aber wohl immer ſo lebhaft
und Beifall zu lieben zu angewohnt ſein, um ſich dieſen Troſt
von Unbequemlichkeit und Zeitverluſt je recht vom Halſe zu
ſchaffen. Ich kann mir denken, daß ſie jetzt ſehr liebenswür-
dig, angenehm, und witzig, iſt; kommt da noch eine Doſis
Aufrichtigkeit hinzu, ſo kann es hinreißen. Mich würde es
gewiß einnehmen und mir ſehr gefallen, denn ich hab’ ſie lie-
benswürdig und hingebend gedacht, noch wie ſie mich ſchätzte
und ſonſt nichts that; goutirt ſie denn nicht, weiß ſie nicht
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[77/0091] iſt, je ſchneller findet ſie ſich in alles, worein ſie ſich finden muß, das iſt eine ſchöne Eigenſchaft; und ein völlig liebens- würdiges Geſchöpf muß dabei noch Kourage und Selbſtſtän- digkeit dabei haben, um nicht auch jedesmal zu werden, was ſie ſcheinen muß, und auch nicht jedesmal zu ſcheinen, was ſie ſcheinen ſoll. So find’ ich denn noch immer Prätenſion und nicht Abſicht (die ich auch ohne Noth nicht liebe), wie ſie Ihnen jetzt glauben machen will, in ihrem Betragen; ſollte ſie nicht klug genug ſein und Geſchmack genug haben, daß, wenn man ihr die Wahrheit an den Hals ſetzt, auch die ihre aus ſich zur einzigen anpaſſenden Gegenwehr hervorzuſuchen, und endlich Vergnügen dran zu finden, die Bürde von Lug von ſich zu werfen, obgleich ſie die Laſt erſt hernach fühlt, die ſie ſich auflud. Freilich wollte ſie repräſentiren, und mußte ſie repräſentiren, aber wollen, wo man nicht muß, gefällt mir nicht; daher billige ich ihr Betragen gegen Fr., obgleich ich muthiger und grader zu Werke ginge, und finde ihr Glück- ſeligkeits-Prahlen weniger hübſch, weil ich glaube, daß ſie’s gar nicht nöthig hatte: ſie wird aber wohl immer ſo lebhaft und Beifall zu lieben zu angewohnt ſein, um ſich dieſen Troſt von Unbequemlichkeit und Zeitverluſt je recht vom Halſe zu ſchaffen. Ich kann mir denken, daß ſie jetzt ſehr liebenswür- dig, angenehm, und witzig, iſt; kommt da noch eine Doſis Aufrichtigkeit hinzu, ſo kann es hinreißen. Mich würde es gewiß einnehmen und mir ſehr gefallen, denn ich hab’ ſie lie- benswürdig und hingebend gedacht, noch wie ſie mich ſchätzte und ſonſt nichts that; goutirt ſie denn nicht, weiß ſie nicht alles? wo Kourage fehlt, hätt’ ich ſie: es thut mir alſo aller-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/91>, abgerufen am 04.12.2024.