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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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diesen Schornsteinen gegenüber, diesem regnigten Höfchen gegen-
über zu befinden, und euch zu schreiben; ich, die ich euch immer
spreche! Das hat mir aber auch niemand gesagt! Selbst die
Gegenden der Reise find' ich höchstens gleichgültig, und gar
nicht hübsch, dies Wort lass' ich nur höchstens von Berlin nach
Krossen gelten. Hier sitz' ich, und tausend Felder, Wälder, Dör-
fer und Pflaster sind zwischen uns, und die Sandkörner, und
all das Gelebe und Gewebe! Nicht ein Wort hab' ich unter-
wegs gedacht! Kurz, eine Reise gemacht! daß ich Mama'n
schon annoncirt habe, so reis' ich nicht zurück! Ein Huhn,
ein armes kleines Huhn ist doch ein kleines Ding, ißt lauter
kleine Körner in der größten Geschwindigkeit, aber es hat bei
Gott! kein Körnchen aufnehmen können, derweile der gräß-
liche Reisegesellschafter schwieg! aber ich bin auch bald ge-
storben! was die Welt von ihm sagt, ist zu wenig, ist
nichts! Diese Eigenliebe, Eigenanbetung, durch vier lange
Tage durch, hielt ich für unmöglich, und werde sie wieder für
unmöglich halten, sobald ich diesen Menschen werde verges-
sen haben! Diese alten Geschichten, von Mama auf's un-
begreiflichste unterstützt, von alten uninteressanten Menschen,
und Geschichten, die ich schon kenne, diese triviale entsetzliche
Moral -- "die Bestrafung folgt dem Laster; ich behaupte
es," par exemple dieses! -- dieses ewige Gerede, dieses
Nahsitzen, dieses Bewundern, daß er so wenig Schnupftücher
trotz des Schnupftabacks brauche, diese Gemeinheiten, dieses
Bepatschen aller Lebensmittel, die ich ihm nicht geschwind
genug aus den Händen reißen konnte, und also nur in den
Wirthshäusern, was ich mir allein konnte geben lassen, ge-

dieſen Schornſteinen gegenüber, dieſem regnigten Höfchen gegen-
über zu befinden, und euch zu ſchreiben; ich, die ich euch immer
ſpreche! Das hat mir aber auch niemand geſagt! Selbſt die
Gegenden der Reiſe find’ ich höchſtens gleichgültig, und gar
nicht hübſch, dies Wort laſſ’ ich nur höchſtens von Berlin nach
Kroſſen gelten. Hier ſitz’ ich, und tauſend Felder, Wälder, Dör-
fer und Pflaſter ſind zwiſchen uns, und die Sandkörner, und
all das Gelebe und Gewebe! Nicht ein Wort hab’ ich unter-
wegs gedacht! Kurz, eine Reiſe gemacht! daß ich Mama’n
ſchon annoncirt habe, ſo reiſ’ ich nicht zurück! Ein Huhn,
ein armes kleines Huhn iſt doch ein kleines Ding, ißt lauter
kleine Körner in der größten Geſchwindigkeit, aber es hat bei
Gott! kein Körnchen aufnehmen können, derweile der gräß-
liche Reiſegeſellſchafter ſchwieg! aber ich bin auch bald ge-
ſtorben! was die Welt von ihm ſagt, iſt zu wenig, iſt
nichts! Dieſe Eigenliebe, Eigenanbetung, durch vier lange
Tage durch, hielt ich für unmöglich, und werde ſie wieder für
unmöglich halten, ſobald ich dieſen Menſchen werde vergeſ-
ſen haben! Dieſe alten Geſchichten, von Mama auf’s un-
begreiflichſte unterſtützt, von alten unintereſſanten Menſchen,
und Geſchichten, die ich ſchon kenne, dieſe triviale entſetzliche
Moral — „die Beſtrafung folgt dem Laſter; ich behaupte
es,“ par exemple dieſes! — dieſes ewige Gerede, dieſes
Nahſitzen, dieſes Bewundern, daß er ſo wenig Schnupftücher
trotz des Schnupftabacks brauche, dieſe Gemeinheiten, dieſes
Bepatſchen aller Lebensmittel, die ich ihm nicht geſchwind
genug aus den Händen reißen konnte, und alſo nur in den
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[82/0096] dieſen Schornſteinen gegenüber, dieſem regnigten Höfchen gegen- über zu befinden, und euch zu ſchreiben; ich, die ich euch immer ſpreche! Das hat mir aber auch niemand geſagt! Selbſt die Gegenden der Reiſe find’ ich höchſtens gleichgültig, und gar nicht hübſch, dies Wort laſſ’ ich nur höchſtens von Berlin nach Kroſſen gelten. Hier ſitz’ ich, und tauſend Felder, Wälder, Dör- fer und Pflaſter ſind zwiſchen uns, und die Sandkörner, und all das Gelebe und Gewebe! Nicht ein Wort hab’ ich unter- wegs gedacht! Kurz, eine Reiſe gemacht! daß ich Mama’n ſchon annoncirt habe, ſo reiſ’ ich nicht zurück! Ein Huhn, ein armes kleines Huhn iſt doch ein kleines Ding, ißt lauter kleine Körner in der größten Geſchwindigkeit, aber es hat bei Gott! kein Körnchen aufnehmen können, derweile der gräß- liche Reiſegeſellſchafter ſchwieg! aber ich bin auch bald ge- ſtorben! was die Welt von ihm ſagt, iſt zu wenig, iſt nichts! Dieſe Eigenliebe, Eigenanbetung, durch vier lange Tage durch, hielt ich für unmöglich, und werde ſie wieder für unmöglich halten, ſobald ich dieſen Menſchen werde vergeſ- ſen haben! Dieſe alten Geſchichten, von Mama auf’s un- begreiflichſte unterſtützt, von alten unintereſſanten Menſchen, und Geſchichten, die ich ſchon kenne, dieſe triviale entſetzliche Moral — „die Beſtrafung folgt dem Laſter; ich behaupte es,“ par exemple dieſes! — dieſes ewige Gerede, dieſes Nahſitzen, dieſes Bewundern, daß er ſo wenig Schnupftücher trotz des Schnupftabacks brauche, dieſe Gemeinheiten, dieſes Bepatſchen aller Lebensmittel, die ich ihm nicht geſchwind genug aus den Händen reißen konnte, und alſo nur in den Wirthshäuſern, was ich mir allein konnte geben laſſen, ge-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/96>, abgerufen am 25.04.2024.