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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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des vorigen Sommers einsah! Ich will wieder prophezeihen,
was ich in der Seele sehe, mit dem Geist, wie mit den Augen.
Wie Hamlet, wollen sie gern etwas Entsetzliches thun, wissen
aber nur noch nicht was. Dann kommen sie immer zusam-
men, und wie sie sich imponiren, erwarten sie diese Wirkung
auch auf die Welt; auch erwarten die Größern etwa Einfälle,
Witz, Gelehrsamkeit von den Kleinern, und die Kleinern Ge-
wicht und Exekution von den Großen. Für's Erste giebt's
Apparat, Aufschub, Auszeichnungen u. s. w. Das vor vier
Jahren gegebene Versprechen gewisser Einrichtungen ist ihnen
wie ein Kind erwachsen; mit Ansprüchen, Talenten, Kräften
und Rechten, an welche die meisten Eltern bei Taufe und ih-
ren Festen, und wenn das Kind noch lockige Härchen und
Phantasiekleider trägt, und ihrer Eitelkeit schmeichlen muß,
gar nicht denken. Nun wollen sie sich gegen solche Unbequem-
lichkeit noch nach ausdenken, was man für Gesammtmaßre-
geln zu nehmen hat. All dergleichen will Einer von den An-
dern erfahren. Sonst, bin ich überzeugt, führt sie nichts Be-
stimmtes
. Bestärkung in der alten Gesinnung und neuen
Besorgniß wird das Einzige sein, was ausgerichtet wird. Das
sieht mein Geist: laß dir das bischen Lesen seines Gesichts ge-
fallen! höchstens hab' ich Unrecht. --

Ich begreife ganz deine Gedankenrichtung, und Stim-
mung. Freilich bringt einen die Winzigkeit und Verwirrung
bis zu den höchsten Dimensionen und Punkten! Du glaubst
nicht, August, wie mir die Gesellschaft scheint! -- mit dem
Talent, was du mir für sie zugiebst --. Die man kennen lernt,
denken gar nicht: bekannte, ihnen zugekommene Phrasen ha-

des vorigen Sommers einſah! Ich will wieder prophezeihen,
was ich in der Seele ſehe, mit dem Geiſt, wie mit den Augen.
Wie Hamlet, wollen ſie gern etwas Entſetzliches thun, wiſſen
aber nur noch nicht was. Dann kommen ſie immer zuſam-
men, und wie ſie ſich imponiren, erwarten ſie dieſe Wirkung
auch auf die Welt; auch erwarten die Größern etwa Einfälle,
Witz, Gelehrſamkeit von den Kleinern, und die Kleinern Ge-
wicht und Exekution von den Großen. Für’s Erſte giebt’s
Apparat, Aufſchub, Auszeichnungen u. ſ. w. Das vor vier
Jahren gegebene Verſprechen gewiſſer Einrichtungen iſt ihnen
wie ein Kind erwachſen; mit Anſprüchen, Talenten, Kräften
und Rechten, an welche die meiſten Eltern bei Taufe und ih-
ren Feſten, und wenn das Kind noch lockige Härchen und
Phantaſiekleider trägt, und ihrer Eitelkeit ſchmeichlen muß,
gar nicht denken. Nun wollen ſie ſich gegen ſolche Unbequem-
lichkeit noch nach ausdenken, was man für Geſammtmaßre-
geln zu nehmen hat. All dergleichen will Einer von den An-
dern erfahren. Sonſt, bin ich überzeugt, führt ſie nichts Be-
ſtimmtes
. Beſtärkung in der alten Geſinnung und neuen
Beſorgniß wird das Einzige ſein, was ausgerichtet wird. Das
ſieht mein Geiſt: laß dir das bischen Leſen ſeines Geſichts ge-
fallen! höchſtens hab’ ich Unrecht. —

Ich begreife ganz deine Gedankenrichtung, und Stim-
mung. Freilich bringt einen die Winzigkeit und Verwirrung
bis zu den höchſten Dimenſionen und Punkten! Du glaubſt
nicht, Auguſt, wie mir die Geſellſchaft ſcheint! — mit dem
Talent, was du mir für ſie zugiebſt —. Die man kennen lernt,
denken gar nicht: bekannte, ihnen zugekommene Phraſen ha-

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[580/0588] des vorigen Sommers einſah! Ich will wieder prophezeihen, was ich in der Seele ſehe, mit dem Geiſt, wie mit den Augen. Wie Hamlet, wollen ſie gern etwas Entſetzliches thun, wiſſen aber nur noch nicht was. Dann kommen ſie immer zuſam- men, und wie ſie ſich imponiren, erwarten ſie dieſe Wirkung auch auf die Welt; auch erwarten die Größern etwa Einfälle, Witz, Gelehrſamkeit von den Kleinern, und die Kleinern Ge- wicht und Exekution von den Großen. Für’s Erſte giebt’s Apparat, Aufſchub, Auszeichnungen u. ſ. w. Das vor vier Jahren gegebene Verſprechen gewiſſer Einrichtungen iſt ihnen wie ein Kind erwachſen; mit Anſprüchen, Talenten, Kräften und Rechten, an welche die meiſten Eltern bei Taufe und ih- ren Feſten, und wenn das Kind noch lockige Härchen und Phantaſiekleider trägt, und ihrer Eitelkeit ſchmeichlen muß, gar nicht denken. Nun wollen ſie ſich gegen ſolche Unbequem- lichkeit noch nach ausdenken, was man für Geſammtmaßre- geln zu nehmen hat. All dergleichen will Einer von den An- dern erfahren. Sonſt, bin ich überzeugt, führt ſie nichts Be- ſtimmtes. Beſtärkung in der alten Geſinnung und neuen Beſorgniß wird das Einzige ſein, was ausgerichtet wird. Das ſieht mein Geiſt: laß dir das bischen Leſen ſeines Geſichts ge- fallen! höchſtens hab’ ich Unrecht. — Ich begreife ganz deine Gedankenrichtung, und Stim- mung. Freilich bringt einen die Winzigkeit und Verwirrung bis zu den höchſten Dimenſionen und Punkten! Du glaubſt nicht, Auguſt, wie mir die Geſellſchaft ſcheint! — mit dem Talent, was du mir für ſie zugiebſt —. Die man kennen lernt, denken gar nicht: bekannte, ihnen zugekommene Phraſen ha-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/588>, abgerufen am 28.03.2024.