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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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vorgestellten Gott abschließen, so ist ebendieser ein solcher, dem seine
behauptete Trennung von der Welt Schranken gibt, welche ihn im Wider-
spruch mit der Absicht der Vorstellung in das Komische herüberziehen.
Das Komische ist schlechtweg pantheistisch und der Herr spricht in Göthes
Faust darum so leutselig mit Mephistopheles, weil er weiß, daß, sobald
er den Geist, der verneint, nicht anerkennen würde, ebendiese Aus-
schließung ihn selbst der Negativität, die er in sich bewegt, als Stoff
überliefern würde. Darum ist ihm von allen Geistern, die verneinen,
der Schalk (d. h. die Negativität, die sich in Komik selbst aufhebt, das
aiskhos anodunon) am wenigsten zur Last. Der Geist der Komik ist
also ganz Geist der Immanenz. Kann über jedem Lacher ein höherer
Lacher stehen, so ist es gleichgültig, wie weit man die Linie fortsetzt,
denn eben auf dem Punkte, wo irgend Einer über Andere und sich zu-
gleich lacht, da ist das Wesen des Lachens und blitzt das in sich schei-
nende Licht auf, das durch die ganze Kette läuft, da ist die Unendlich-
keit, sich selbst aufhebend zum endlichen Gegenstand und diese Endlichkeit
in der komischen Wahrnehmung selbst wieder aufhebend: da ist also diese
Selbstbeleuchtung der Endlichkeit, welche, wo sie nur Einen Stoff ergreift,
im Grunde allen Stoff ergreift. Man lacht, wo man irgend lacht,
nicht blos über ein Einzelnes, sondern über das ganze Verhältniß der
Idee zum Zufälligen des Seyns, und es ist zwar ein Unterschied, in
welche Tiefe und Breite dies wirklich verfolgt wird, aber das
Prinzip ist in jedem Lachen vorhanden. Der Gedanke also, es könnte
noch freiere Subjecte geben, die es selbst verlachen, kann das freie Sub-
ject, das sich selbst in dem belachenswerthen Weltwiderspruch miteinbe-
greift, nicht verlegen machen, denn diese thun nur dasselbe, was es
thut, und die Endlichkeit wie den Geist, der sie lachend sich gefallen
läßt, müssen sie in sich tragen, wie es selbst; sie sind also schon da,
sie lachen selbst mit ihm und aus ihm heraus. Daher ist die Bemerkung
über die komische Leiter in Heinrich IV im vorh. §. nun zu verändern.
Ueber Falstaff stehen zwar Andere, die auch über ihn lachen, aber diese
Andern sind nicht so komisch als er, wenigstens der Prinz lacht nur
über ihn, während er seine eigene Ausgelassenheit als Maske wieder ab-
zuwerfen den sittlichen Vorsatz hat. Falstaff ist die rechte Mitte in
jener Skala, denn er ist ganz Gegenstand und ganz Subject der Komik,
indem er, wo über ihn gelacht wird, immer ebenso mitlacht, wie er über
Andere lacht. Freilich läßt sich eine gebildetere Komik denken, aber eine
vollere hat die Welt nie gesehen. Gehen wir nun auf die universale

vorgeſtellten Gott abſchließen, ſo iſt ebendieſer ein ſolcher, dem ſeine
behauptete Trennung von der Welt Schranken gibt, welche ihn im Wider-
ſpruch mit der Abſicht der Vorſtellung in das Komiſche herüberziehen.
Das Komiſche iſt ſchlechtweg pantheiſtiſch und der Herr ſpricht in Göthes
Fauſt darum ſo leutſelig mit Mephiſtopheles, weil er weiß, daß, ſobald
er den Geiſt, der verneint, nicht anerkennen würde, ebendieſe Aus-
ſchließung ihn ſelbſt der Negativität, die er in ſich bewegt, als Stoff
überliefern würde. Darum iſt ihm von allen Geiſtern, die verneinen,
der Schalk (d. h. die Negativität, die ſich in Komik ſelbſt aufhebt, das
αἶσχος ἀνώδυνον) am wenigſten zur Laſt. Der Geiſt der Komik iſt
alſo ganz Geiſt der Immanenz. Kann über jedem Lacher ein höherer
Lacher ſtehen, ſo iſt es gleichgültig, wie weit man die Linie fortſetzt,
denn eben auf dem Punkte, wo irgend Einer über Andere und ſich zu-
gleich lacht, da iſt das Weſen des Lachens und blitzt das in ſich ſchei-
nende Licht auf, das durch die ganze Kette läuft, da iſt die Unendlich-
keit, ſich ſelbſt aufhebend zum endlichen Gegenſtand und dieſe Endlichkeit
in der komiſchen Wahrnehmung ſelbſt wieder aufhebend: da iſt alſo dieſe
Selbſtbeleuchtung der Endlichkeit, welche, wo ſie nur Einen Stoff ergreift,
im Grunde allen Stoff ergreift. Man lacht, wo man irgend lacht,
nicht blos über ein Einzelnes, ſondern über das ganze Verhältniß der
Idee zum Zufälligen des Seyns, und es iſt zwar ein Unterſchied, in
welche Tiefe und Breite dies wirklich verfolgt wird, aber das
Prinzip iſt in jedem Lachen vorhanden. Der Gedanke alſo, es könnte
noch freiere Subjecte geben, die es ſelbſt verlachen, kann das freie Sub-
ject, das ſich ſelbſt in dem belachenswerthen Weltwiderſpruch miteinbe-
greift, nicht verlegen machen, denn dieſe thun nur dasſelbe, was es
thut, und die Endlichkeit wie den Geiſt, der ſie lachend ſich gefallen
läßt, müſſen ſie in ſich tragen, wie es ſelbſt; ſie ſind alſo ſchon da,
ſie lachen ſelbſt mit ihm und aus ihm heraus. Daher iſt die Bemerkung
über die komiſche Leiter in Heinrich IV im vorh. §. nun zu verändern.
Ueber Falſtaff ſtehen zwar Andere, die auch über ihn lachen, aber dieſe
Andern ſind nicht ſo komiſch als er, wenigſtens der Prinz lacht nur
über ihn, während er ſeine eigene Ausgelaſſenheit als Maske wieder ab-
zuwerfen den ſittlichen Vorſatz hat. Falſtaff iſt die rechte Mitte in
jener Skala, denn er iſt ganz Gegenſtand und ganz Subject der Komik,
indem er, wo über ihn gelacht wird, immer ebenſo mitlacht, wie er über
Andere lacht. Freilich läßt ſich eine gebildetere Komik denken, aber eine
vollere hat die Welt nie geſehen. Gehen wir nun auf die univerſale

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[400/0414] vorgeſtellten Gott abſchließen, ſo iſt ebendieſer ein ſolcher, dem ſeine behauptete Trennung von der Welt Schranken gibt, welche ihn im Wider- ſpruch mit der Abſicht der Vorſtellung in das Komiſche herüberziehen. Das Komiſche iſt ſchlechtweg pantheiſtiſch und der Herr ſpricht in Göthes Fauſt darum ſo leutſelig mit Mephiſtopheles, weil er weiß, daß, ſobald er den Geiſt, der verneint, nicht anerkennen würde, ebendieſe Aus- ſchließung ihn ſelbſt der Negativität, die er in ſich bewegt, als Stoff überliefern würde. Darum iſt ihm von allen Geiſtern, die verneinen, der Schalk (d. h. die Negativität, die ſich in Komik ſelbſt aufhebt, das αἶσχος ἀνώδυνον) am wenigſten zur Laſt. Der Geiſt der Komik iſt alſo ganz Geiſt der Immanenz. Kann über jedem Lacher ein höherer Lacher ſtehen, ſo iſt es gleichgültig, wie weit man die Linie fortſetzt, denn eben auf dem Punkte, wo irgend Einer über Andere und ſich zu- gleich lacht, da iſt das Weſen des Lachens und blitzt das in ſich ſchei- nende Licht auf, das durch die ganze Kette läuft, da iſt die Unendlich- keit, ſich ſelbſt aufhebend zum endlichen Gegenſtand und dieſe Endlichkeit in der komiſchen Wahrnehmung ſelbſt wieder aufhebend: da iſt alſo dieſe Selbſtbeleuchtung der Endlichkeit, welche, wo ſie nur Einen Stoff ergreift, im Grunde allen Stoff ergreift. Man lacht, wo man irgend lacht, nicht blos über ein Einzelnes, ſondern über das ganze Verhältniß der Idee zum Zufälligen des Seyns, und es iſt zwar ein Unterſchied, in welche Tiefe und Breite dies wirklich verfolgt wird, aber das Prinzip iſt in jedem Lachen vorhanden. Der Gedanke alſo, es könnte noch freiere Subjecte geben, die es ſelbſt verlachen, kann das freie Sub- ject, das ſich ſelbſt in dem belachenswerthen Weltwiderſpruch miteinbe- greift, nicht verlegen machen, denn dieſe thun nur dasſelbe, was es thut, und die Endlichkeit wie den Geiſt, der ſie lachend ſich gefallen läßt, müſſen ſie in ſich tragen, wie es ſelbſt; ſie ſind alſo ſchon da, ſie lachen ſelbſt mit ihm und aus ihm heraus. Daher iſt die Bemerkung über die komiſche Leiter in Heinrich IV im vorh. §. nun zu verändern. Ueber Falſtaff ſtehen zwar Andere, die auch über ihn lachen, aber dieſe Andern ſind nicht ſo komiſch als er, wenigſtens der Prinz lacht nur über ihn, während er ſeine eigene Ausgelaſſenheit als Maske wieder ab- zuwerfen den ſittlichen Vorſatz hat. Falſtaff iſt die rechte Mitte in jener Skala, denn er iſt ganz Gegenſtand und ganz Subject der Komik, indem er, wo über ihn gelacht wird, immer ebenſo mitlacht, wie er über Andere lacht. Freilich läßt ſich eine gebildetere Komik denken, aber eine vollere hat die Welt nie geſehen. Gehen wir nun auf die univerſale

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/414>, abgerufen am 25.04.2024.