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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Wirkung des Komischen einen rein sinnlichen Genuß, indem er das
Lachen als eine der Gesundheit zuträgliche Bewegung schildert. Diese
Bewegung soll aber doch die Wirkung "eines Spiels der Vorstellungen"
seyn, und dadurch geräth Kant in Widerspruch mit seiner eigenen
physiologischen Ansicht, denn dieses Spiel ist ja Formbewegung des Geistes,
die einen Gehalt im Sinne blosen Stoffs zwar verflüchtigt, aber nur um
sich durch diese Verflüchtigung den wahren Gehalt, das Gefühl der reinen
Freiheit, zu geben. Dies ist jedoch das Letzte; zuerst sind die einzelnen
Momente dieser ganzen Gemüthsbewegung zu verfolgen. Die Enttäu-
schung nun, die mit der Auflösung des erhabenen Scheins eintritt, dop-
pelt stark, weil sie in Form eines plötzlichen Rucks einbricht, scheint selbst
ein Schmerzgefühl und zwar ein positives, weil an die Stelle des Erhabenen
für den ersten Augenblick ein Häßliches tritt. Gegen die Unlust, die das
Häßliche erregt, war die Unlust aus dem Erhabenen noch eine Lust; denn
diese ist mit der Aussicht verbunden, zu dem Erhabenen sich selbst zu er-
heben (§. 140), jene aber ist Widerwille der völligen Abstoßung durch
das Gegentheil des Schönen.

2. Aus dem Häßlichen wird aber, wie gründlich nachgewiesen ist,
ein berechtigtes unendlich Kleines; die sinnliche Natur und mit ihr die
des Subjects, wird in ihr volles Recht eingesetzt. Gegen dieses Lust-
gefühl ist auch dasjenige, das auf die Unlust aus dem Erhabenen folgt,
noch Unlust; denn um das letztere zu genießen, muß ich entsagen. Ich meinte
auch im Komischen, wie es mit dem Andringen eines Erhabenen begann,
entsagen zu müssen; meine Werktagsstimmung, meine Behaglichkeit, meine
Bedürfnisse, kleinen Liebhabereien, mein Appetit, meine Suppe und mein
Braten sollten verächtlich seyn. Aber nun ist es anders; ich bin zu Hause
in der Welt, es ist mir wohl, und zwar ganz, ohne Opfer; ich darf
mir's schmecken lassen. Zunächst ist dies, ganz abstract oder von seiner
negativen Seite, ein Gefühl der reinsten Erholung; es ist mir eine Last
abgenommen. Es ist ein wesentlicher Theil der wahren Erklärung des
Komischen, daß wir es segnen müssen, weil ohne seine Hilfe das ganz
Gemeine, mit dem wir behaftet sind, unerträglich wäre. Das Komische
ist schon in diesem Sinn wahrhaft ein Balsam, ein guter Engel. Kant
übertrifft seine geringe Schätzung des Komischen selbst, wenn er bemerkt:
"Voltaire sagte, der Himmel habe uns zum Gegengewichte gegen die
vielen Mühseligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und
den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können". Auch
Solger spricht diese Seite treffend aus und nennt es um dieser be-

Wirkung des Komiſchen einen rein ſinnlichen Genuß, indem er das
Lachen als eine der Geſundheit zuträgliche Bewegung ſchildert. Dieſe
Bewegung ſoll aber doch die Wirkung „eines Spiels der Vorſtellungen“
ſeyn, und dadurch geräth Kant in Widerſpruch mit ſeiner eigenen
phyſiologiſchen Anſicht, denn dieſes Spiel iſt ja Formbewegung des Geiſtes,
die einen Gehalt im Sinne bloſen Stoffs zwar verflüchtigt, aber nur um
ſich durch dieſe Verflüchtigung den wahren Gehalt, das Gefühl der reinen
Freiheit, zu geben. Dies iſt jedoch das Letzte; zuerſt ſind die einzelnen
Momente dieſer ganzen Gemüthsbewegung zu verfolgen. Die Enttäu-
ſchung nun, die mit der Auflöſung des erhabenen Scheins eintritt, dop-
pelt ſtark, weil ſie in Form eines plötzlichen Rucks einbricht, ſcheint ſelbſt
ein Schmerzgefühl und zwar ein poſitives, weil an die Stelle des Erhabenen
für den erſten Augenblick ein Häßliches tritt. Gegen die Unluſt, die das
Häßliche erregt, war die Unluſt aus dem Erhabenen noch eine Luſt; denn
dieſe iſt mit der Ausſicht verbunden, zu dem Erhabenen ſich ſelbſt zu er-
heben (§. 140), jene aber iſt Widerwille der völligen Abſtoßung durch
das Gegentheil des Schönen.

2. Aus dem Häßlichen wird aber, wie gründlich nachgewieſen iſt,
ein berechtigtes unendlich Kleines; die ſinnliche Natur und mit ihr die
des Subjects, wird in ihr volles Recht eingeſetzt. Gegen dieſes Luſt-
gefühl iſt auch dasjenige, das auf die Unluſt aus dem Erhabenen folgt,
noch Unluſt; denn um das letztere zu genießen, muß ich entſagen. Ich meinte
auch im Komiſchen, wie es mit dem Andringen eines Erhabenen begann,
entſagen zu müſſen; meine Werktagsſtimmung, meine Behaglichkeit, meine
Bedürfniſſe, kleinen Liebhabereien, mein Appetit, meine Suppe und mein
Braten ſollten verächtlich ſeyn. Aber nun iſt es anders; ich bin zu Hauſe
in der Welt, es iſt mir wohl, und zwar ganz, ohne Opfer; ich darf
mir’s ſchmecken laſſen. Zunächſt iſt dies, ganz abſtract oder von ſeiner
negativen Seite, ein Gefühl der reinſten Erholung; es iſt mir eine Laſt
abgenommen. Es iſt ein weſentlicher Theil der wahren Erklärung des
Komiſchen, daß wir es ſegnen müſſen, weil ohne ſeine Hilfe das ganz
Gemeine, mit dem wir behaftet ſind, unerträglich wäre. Das Komiſche
iſt ſchon in dieſem Sinn wahrhaft ein Balſam, ein guter Engel. Kant
übertrifft ſeine geringe Schätzung des Komiſchen ſelbſt, wenn er bemerkt:
Voltaire ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewichte gegen die
vielen Mühſeligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und
den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können“. Auch
Solger ſpricht dieſe Seite treffend aus und nennt es um dieſer be-

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[475/0489] Wirkung des Komiſchen einen rein ſinnlichen Genuß, indem er das Lachen als eine der Geſundheit zuträgliche Bewegung ſchildert. Dieſe Bewegung ſoll aber doch die Wirkung „eines Spiels der Vorſtellungen“ ſeyn, und dadurch geräth Kant in Widerſpruch mit ſeiner eigenen phyſiologiſchen Anſicht, denn dieſes Spiel iſt ja Formbewegung des Geiſtes, die einen Gehalt im Sinne bloſen Stoffs zwar verflüchtigt, aber nur um ſich durch dieſe Verflüchtigung den wahren Gehalt, das Gefühl der reinen Freiheit, zu geben. Dies iſt jedoch das Letzte; zuerſt ſind die einzelnen Momente dieſer ganzen Gemüthsbewegung zu verfolgen. Die Enttäu- ſchung nun, die mit der Auflöſung des erhabenen Scheins eintritt, dop- pelt ſtark, weil ſie in Form eines plötzlichen Rucks einbricht, ſcheint ſelbſt ein Schmerzgefühl und zwar ein poſitives, weil an die Stelle des Erhabenen für den erſten Augenblick ein Häßliches tritt. Gegen die Unluſt, die das Häßliche erregt, war die Unluſt aus dem Erhabenen noch eine Luſt; denn dieſe iſt mit der Ausſicht verbunden, zu dem Erhabenen ſich ſelbſt zu er- heben (§. 140), jene aber iſt Widerwille der völligen Abſtoßung durch das Gegentheil des Schönen. 2. Aus dem Häßlichen wird aber, wie gründlich nachgewieſen iſt, ein berechtigtes unendlich Kleines; die ſinnliche Natur und mit ihr die des Subjects, wird in ihr volles Recht eingeſetzt. Gegen dieſes Luſt- gefühl iſt auch dasjenige, das auf die Unluſt aus dem Erhabenen folgt, noch Unluſt; denn um das letztere zu genießen, muß ich entſagen. Ich meinte auch im Komiſchen, wie es mit dem Andringen eines Erhabenen begann, entſagen zu müſſen; meine Werktagsſtimmung, meine Behaglichkeit, meine Bedürfniſſe, kleinen Liebhabereien, mein Appetit, meine Suppe und mein Braten ſollten verächtlich ſeyn. Aber nun iſt es anders; ich bin zu Hauſe in der Welt, es iſt mir wohl, und zwar ganz, ohne Opfer; ich darf mir’s ſchmecken laſſen. Zunächſt iſt dies, ganz abſtract oder von ſeiner negativen Seite, ein Gefühl der reinſten Erholung; es iſt mir eine Laſt abgenommen. Es iſt ein weſentlicher Theil der wahren Erklärung des Komiſchen, daß wir es ſegnen müſſen, weil ohne ſeine Hilfe das ganz Gemeine, mit dem wir behaftet ſind, unerträglich wäre. Das Komiſche iſt ſchon in dieſem Sinn wahrhaft ein Balſam, ein guter Engel. Kant übertrifft ſeine geringe Schätzung des Komiſchen ſelbſt, wenn er bemerkt: „Voltaire ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewichte gegen die vielen Mühſeligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können“. Auch Solger ſpricht dieſe Seite treffend aus und nennt es um dieſer be-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/489>, abgerufen am 20.04.2024.