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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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nicht mehr angeht. Hieraus ergibt sich eine Einrichtung, wonach in allen
den Zweigen, welche eine exact schulmäßige Behandlung bedingen, die
Schüler gemeinschaftlichen Classen-Unterricht genießen, dagegen für den
ästhetischen Theil der Technik in Baukunst, Bildhauerei, Malerei (und
Kupferstich) Ateliers gegründet werden, worin praktische Künstler einen
Kreis von Schülern selbstständig leiten. In Düsseldorf ist dieß mit dem
glücklichsten Erfolge geschehen, in Antwerpen und München verordnet und
eingeleitet, doch noch nicht vollständig ins Werk gesetzt. Die wechselseitige
Anregung der zahlreichen Schüler solcher Ateliers ist nicht der geringste
Vortheil dieser Einrichtung. Sollte sich diese Einrichtung im Großen den-
noch praktisch nicht bewähren, sondern der Beamtengeist lähmend auch in sie
eindringen, so käme es darauf an, die zu Paris bestehende Einrichtung,
wo neben der Akademie einzelne Künstler Ateliers auf ihre Rechuung
errichten, Modell u. s. w. beischaffen, ihre Schüler, welche daneben für
die exacten Fächer den Unterricht der Akademie benützen, zweimal wöchent-
lich besuchen und ihre Arbeiten corrigiren, in verbesserter Form herzustellen;
denn hier ist das Verhältniß ein zu wenig vertrautes, der Meister sieht
zu wenig nach den Schülern und es ist daher eine Verwilderung einge-
rißen, welche Delaroche nöthigte, sein Atelier zu schließen (Kugler a. a. O.
S. 18). Daß nun bei dieser Verbindung des akademischen und des persön-
lichen Prinzips in dem Theile der Künstlerbildung, der unter letzteres ge-
stellt wäre, die bestimmte Persönlichkeit des Künstlers einen nicht viel weniger
bindenden und einseitigen Einfluß äußern würde, als in der alterthümlichen
Erziehungsform (§. 521), ist natürlich und unvermeidlich, dagegen ist aber
auch das freie Fortbildungsmittel des Wanderns in erweitertem Maaße
dem Schüler der jetzigen Zeit zugänglich, da der Staat große Summen für
Reisestipendien aussetzt. Die Studienreise ist dem Künstler unerläßlich,
insbesondere dem nordischen die Reise nach Italien, wogegen dem südlichen
Künstler zur Ergänzung dessen, was ihm die Heimath in Fülle darbietet,
die Anschauung der nordischen Kunst als Schutzmittel gegen seine Neigung
zum Sinnlichen und individualitätslos Allgemeinen zu rathen ist.


nicht mehr angeht. Hieraus ergibt ſich eine Einrichtung, wonach in allen
den Zweigen, welche eine exact ſchulmäßige Behandlung bedingen, die
Schüler gemeinſchaftlichen Claſſen-Unterricht genießen, dagegen für den
äſthetiſchen Theil der Technik in Baukunſt, Bildhauerei, Malerei (und
Kupferſtich) Ateliers gegründet werden, worin praktiſche Künſtler einen
Kreis von Schülern ſelbſtſtändig leiten. In Düſſeldorf iſt dieß mit dem
glücklichſten Erfolge geſchehen, in Antwerpen und München verordnet und
eingeleitet, doch noch nicht vollſtändig ins Werk geſetzt. Die wechſelſeitige
Anregung der zahlreichen Schüler ſolcher Ateliers iſt nicht der geringſte
Vortheil dieſer Einrichtung. Sollte ſich dieſe Einrichtung im Großen den-
noch praktiſch nicht bewähren, ſondern der Beamtengeiſt lähmend auch in ſie
eindringen, ſo käme es darauf an, die zu Paris beſtehende Einrichtung,
wo neben der Akademie einzelne Künſtler Ateliers auf ihre Rechuung
errichten, Modell u. ſ. w. beiſchaffen, ihre Schüler, welche daneben für
die exacten Fächer den Unterricht der Akademie benützen, zweimal wöchent-
lich beſuchen und ihre Arbeiten corrigiren, in verbeſſerter Form herzuſtellen;
denn hier iſt das Verhältniß ein zu wenig vertrautes, der Meiſter ſieht
zu wenig nach den Schülern und es iſt daher eine Verwilderung einge-
rißen, welche Delaroche nöthigte, ſein Atelier zu ſchließen (Kugler a. a. O.
S. 18). Daß nun bei dieſer Verbindung des akademiſchen und des perſön-
lichen Prinzips in dem Theile der Künſtlerbildung, der unter letzteres ge-
ſtellt wäre, die beſtimmte Perſönlichkeit des Künſtlers einen nicht viel weniger
bindenden und einſeitigen Einfluß äußern würde, als in der alterthümlichen
Erziehungsform (§. 521), iſt natürlich und unvermeidlich, dagegen iſt aber
auch das freie Fortbildungsmittel des Wanderns in erweitertem Maaße
dem Schüler der jetzigen Zeit zugänglich, da der Staat große Summen für
Reiſeſtipendien ausſetzt. Die Studienreiſe iſt dem Künſtler unerläßlich,
insbeſondere dem nordiſchen die Reiſe nach Italien, wogegen dem ſüdlichen
Künſtler zur Ergänzung deſſen, was ihm die Heimath in Fülle darbietet,
die Anſchauung der nordiſchen Kunſt als Schutzmittel gegen ſeine Neigung
zum Sinnlichen und individualitätslos Allgemeinen zu rathen iſt.


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[111/0123] nicht mehr angeht. Hieraus ergibt ſich eine Einrichtung, wonach in allen den Zweigen, welche eine exact ſchulmäßige Behandlung bedingen, die Schüler gemeinſchaftlichen Claſſen-Unterricht genießen, dagegen für den äſthetiſchen Theil der Technik in Baukunſt, Bildhauerei, Malerei (und Kupferſtich) Ateliers gegründet werden, worin praktiſche Künſtler einen Kreis von Schülern ſelbſtſtändig leiten. In Düſſeldorf iſt dieß mit dem glücklichſten Erfolge geſchehen, in Antwerpen und München verordnet und eingeleitet, doch noch nicht vollſtändig ins Werk geſetzt. Die wechſelſeitige Anregung der zahlreichen Schüler ſolcher Ateliers iſt nicht der geringſte Vortheil dieſer Einrichtung. Sollte ſich dieſe Einrichtung im Großen den- noch praktiſch nicht bewähren, ſondern der Beamtengeiſt lähmend auch in ſie eindringen, ſo käme es darauf an, die zu Paris beſtehende Einrichtung, wo neben der Akademie einzelne Künſtler Ateliers auf ihre Rechuung errichten, Modell u. ſ. w. beiſchaffen, ihre Schüler, welche daneben für die exacten Fächer den Unterricht der Akademie benützen, zweimal wöchent- lich beſuchen und ihre Arbeiten corrigiren, in verbeſſerter Form herzuſtellen; denn hier iſt das Verhältniß ein zu wenig vertrautes, der Meiſter ſieht zu wenig nach den Schülern und es iſt daher eine Verwilderung einge- rißen, welche Delaroche nöthigte, ſein Atelier zu ſchließen (Kugler a. a. O. S. 18). Daß nun bei dieſer Verbindung des akademiſchen und des perſön- lichen Prinzips in dem Theile der Künſtlerbildung, der unter letzteres ge- ſtellt wäre, die beſtimmte Perſönlichkeit des Künſtlers einen nicht viel weniger bindenden und einſeitigen Einfluß äußern würde, als in der alterthümlichen Erziehungsform (§. 521), iſt natürlich und unvermeidlich, dagegen iſt aber auch das freie Fortbildungsmittel des Wanderns in erweitertem Maaße dem Schüler der jetzigen Zeit zugänglich, da der Staat große Summen für Reiſeſtipendien ausſetzt. Die Studienreiſe iſt dem Künſtler unerläßlich, insbeſondere dem nordiſchen die Reiſe nach Italien, wogegen dem ſüdlichen Künſtler zur Ergänzung deſſen, was ihm die Heimath in Fülle darbietet, die Anſchauung der nordiſchen Kunſt als Schutzmittel gegen ſeine Neigung zum Sinnlichen und individualitätslos Allgemeinen zu rathen iſt.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/123>, abgerufen am 28.03.2024.