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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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in Ausnahmefällen gänzlich durch eine Schwimmhaut verbunden oder
ringsum mit häutigen Lappen gesäumt, meist aber entweder ganz frei
oder nur die äußeren an ihrem Grunde mit unbedeutender Haut zu-
sammengeheftet. In der Entwicklung der vierten Zehe herrscht eine
sehr große Verschiedenheit, indem sie bald ganz fehlt, bald eine ziem-
liche Länge besitzt, gewöhnlich aber doch nur rudimentär ist, oder zu-
weilen einen Sporn trägt. Die meisten Vögel dieser Ordnung halten
sich an flachen Ufern der Gewässer, an Sümpfen und morastigen Ge-
genden auf, wo sie mit langen Schritten umherwaten und ihre aus
Würmern, Insekten und Wasserthieren bestehende Nahrung suchen;
viele haben die Gewohnheit, stundenlang auf einem Beine mit einge-
zogenem Halse still zu stehen; die meisten flüchten sich in Gefahr,
indem sie sich ihren Flügeln anvertrauen, einige indeß sind äußerst
schnelle Läufer und fliegen nur selten, so daß man sie mit Hunden
hetzen kann. Die meisten sind Strich- oder Zugvögel, die im Som-
mer an ihren nordischen Wohnorten brüten, im Winter aber in wär-
mere Gegenden ziehen; sie leben meist paarweise, vereinigen sich aber
gern zu größeren Gesellschaften. Wir unterscheiden folgende Familien:

Die Familie der Wasserhühner (Macrodactylia) hat einen

[Abbildung] Fig. 1268.

Der Jacana (Parra chirurgus).

kurzen Schnabel, der nur selten
länger als der Kopf ist, aber
gewöhnlich die Form eines spitzen
Keiles besitzt, der stark von der
Seite zusammengedrückt ist. An
der Seite des Oberschnabels findet
sich meist eine Längsrinne oder auch
nur eine Vertiefung, in welcher die
durchgehenden Nasenlöcher liegen.
Der Hals ist verhältnißmäßig kurz,
dick, die Flügel nicht sehr entwickelt, die Beine kurz, aber dick und
kräftig und der Unterschenkel entweder ganz oder zum größten Theile
befiedert, so daß der ganze Habitus des Vogels ziemlich dem eines
Hühnervogels gleicht. Die Zehen sind lang, kräftig, mit scharfen
Nägeln versehen, die Hinterzehe gehörig ausgebildet und oft mit einem
starken Sporn bewaffnet, der zuweilen selbst unverhältnißmäßig lang
und dünn ist. Der Flügel ist bei einigen Gattungen an der Armecke
mit einem starken spitzen Dorne bewaffnet, die Zehen bei anderen in

in Ausnahmefällen gänzlich durch eine Schwimmhaut verbunden oder
ringsum mit häutigen Lappen geſäumt, meiſt aber entweder ganz frei
oder nur die äußeren an ihrem Grunde mit unbedeutender Haut zu-
ſammengeheftet. In der Entwicklung der vierten Zehe herrſcht eine
ſehr große Verſchiedenheit, indem ſie bald ganz fehlt, bald eine ziem-
liche Länge beſitzt, gewöhnlich aber doch nur rudimentär iſt, oder zu-
weilen einen Sporn trägt. Die meiſten Vögel dieſer Ordnung halten
ſich an flachen Ufern der Gewäſſer, an Sümpfen und moraſtigen Ge-
genden auf, wo ſie mit langen Schritten umherwaten und ihre aus
Würmern, Inſekten und Waſſerthieren beſtehende Nahrung ſuchen;
viele haben die Gewohnheit, ſtundenlang auf einem Beine mit einge-
zogenem Halſe ſtill zu ſtehen; die meiſten flüchten ſich in Gefahr,
indem ſie ſich ihren Flügeln anvertrauen, einige indeß ſind äußerſt
ſchnelle Läufer und fliegen nur ſelten, ſo daß man ſie mit Hunden
hetzen kann. Die meiſten ſind Strich- oder Zugvögel, die im Som-
mer an ihren nordiſchen Wohnorten brüten, im Winter aber in wär-
mere Gegenden ziehen; ſie leben meiſt paarweiſe, vereinigen ſich aber
gern zu größeren Geſellſchaften. Wir unterſcheiden folgende Familien:

Die Familie der Waſſerhühner (Macrodactylia) hat einen

[Abbildung] Fig. 1268.

Der Jaçana (Parra chirurgus).

kurzen Schnabel, der nur ſelten
länger als der Kopf iſt, aber
gewöhnlich die Form eines ſpitzen
Keiles beſitzt, der ſtark von der
Seite zuſammengedrückt iſt. An
der Seite des Oberſchnabels findet
ſich meiſt eine Längsrinne oder auch
nur eine Vertiefung, in welcher die
durchgehenden Naſenlöcher liegen.
Der Hals iſt verhältnißmäßig kurz,
dick, die Flügel nicht ſehr entwickelt, die Beine kurz, aber dick und
kräftig und der Unterſchenkel entweder ganz oder zum größten Theile
befiedert, ſo daß der ganze Habitus des Vogels ziemlich dem eines
Hühnervogels gleicht. Die Zehen ſind lang, kräftig, mit ſcharfen
Nägeln verſehen, die Hinterzehe gehörig ausgebildet und oft mit einem
ſtarken Sporn bewaffnet, der zuweilen ſelbſt unverhältnißmäßig lang
und dünn iſt. Der Flügel iſt bei einigen Gattungen an der Armecke
mit einem ſtarken ſpitzen Dorne bewaffnet, die Zehen bei anderen in

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[366/0372] in Ausnahmefällen gänzlich durch eine Schwimmhaut verbunden oder ringsum mit häutigen Lappen geſäumt, meiſt aber entweder ganz frei oder nur die äußeren an ihrem Grunde mit unbedeutender Haut zu- ſammengeheftet. In der Entwicklung der vierten Zehe herrſcht eine ſehr große Verſchiedenheit, indem ſie bald ganz fehlt, bald eine ziem- liche Länge beſitzt, gewöhnlich aber doch nur rudimentär iſt, oder zu- weilen einen Sporn trägt. Die meiſten Vögel dieſer Ordnung halten ſich an flachen Ufern der Gewäſſer, an Sümpfen und moraſtigen Ge- genden auf, wo ſie mit langen Schritten umherwaten und ihre aus Würmern, Inſekten und Waſſerthieren beſtehende Nahrung ſuchen; viele haben die Gewohnheit, ſtundenlang auf einem Beine mit einge- zogenem Halſe ſtill zu ſtehen; die meiſten flüchten ſich in Gefahr, indem ſie ſich ihren Flügeln anvertrauen, einige indeß ſind äußerſt ſchnelle Läufer und fliegen nur ſelten, ſo daß man ſie mit Hunden hetzen kann. Die meiſten ſind Strich- oder Zugvögel, die im Som- mer an ihren nordiſchen Wohnorten brüten, im Winter aber in wär- mere Gegenden ziehen; ſie leben meiſt paarweiſe, vereinigen ſich aber gern zu größeren Geſellſchaften. Wir unterſcheiden folgende Familien: Die Familie der Waſſerhühner (Macrodactylia) hat einen [Abbildung Fig. 1268. Der Jaçana (Parra chirurgus).] kurzen Schnabel, der nur ſelten länger als der Kopf iſt, aber gewöhnlich die Form eines ſpitzen Keiles beſitzt, der ſtark von der Seite zuſammengedrückt iſt. An der Seite des Oberſchnabels findet ſich meiſt eine Längsrinne oder auch nur eine Vertiefung, in welcher die durchgehenden Naſenlöcher liegen. Der Hals iſt verhältnißmäßig kurz, dick, die Flügel nicht ſehr entwickelt, die Beine kurz, aber dick und kräftig und der Unterſchenkel entweder ganz oder zum größten Theile befiedert, ſo daß der ganze Habitus des Vogels ziemlich dem eines Hühnervogels gleicht. Die Zehen ſind lang, kräftig, mit ſcharfen Nägeln verſehen, die Hinterzehe gehörig ausgebildet und oft mit einem ſtarken Sporn bewaffnet, der zuweilen ſelbſt unverhältnißmäßig lang und dünn iſt. Der Flügel iſt bei einigen Gattungen an der Armecke mit einem ſtarken ſpitzen Dorne bewaffnet, die Zehen bei anderen in

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/372>, abgerufen am 29.03.2024.