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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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von dem Körper nicht abgesetzt, aber mit dick aufgewulsteten fleischigen
Lippen versehen, die mit starken Bartborsten besetzt sind. Die ge-
trennten Nasenlöcher stehen vorn auf der Spitze der Schnauze und
die Nasengänge zeigen keine Spur jenes Spritzapparates, der die
Walthiere so auszeichnet; die beiden Hälften des Herzens sind so tief
von einander getrennt, daß dasselbe fast aus zwei nur an einer Stelle
mit einander verwachsenen Herzen zu bestehen scheint. Die Bezah-
nung ist sehr verschieden, namentlich in Bezug auf die Vorder- und
Eckzähne; überall sind aber Mahlzähne vorhanden, welche auf das
deutlichste auf Pflanzennahrung hinweisen. Die beiden Zitzen liegen
vorn an der Brust, nicht hinten am After; die Haut ist meistens mit
einsam stehenden Borsten besetzt; der Gesichtstheil des Kopfes ist be-
deutend kürzer im Verhältniß zum Schädel als bei den Walen, der
Unterkiefer meist kräftig und hoch und mit einem wohlentwickelten auf-
steigenden Aste versehen. Die Thiere dieser Unterordnung leben stets
nur an den Küsten und namentlich in den Mündungen großer Flüsse,
an deren Ufern sie sich von Gewächsen nähren.

Die Familie der Borkenthiere (Rytinida) lebte noch bis in die
Mitte des vorigen Jahrhunderts etwa an den Küsten Kamtschatka's
und der Kurilen, ist aber seitdem gänzlich ausgestorben. Die einzige
Art, von welcher nur wenige Fragmente und eine sehr genaue Be-
schreibung eines Augenzeugen übrig sind, der sie zehn Monate lang
beobachtete, war ein plumpes Thier von etwa zwanzig Fuß Länge,
dessen Haut eine Art dicker rissiger Borke darstellte, welche aus mit-
einander verwachsenen, senkrechten Hornröhren oder Haaren gebildet
ist. In jeder Kieferhälfte fand sich oben und unten nur eine einzige
breite Zahnplatte ohne Wurzel, die eine zungenförmige Gestalt besitzt
und aus senkrechten Schmelzcylindern oder Zahnröhren zusammengesetzt
ist, welche mit einander verschmolzen sind. Rytine.

Die eigentlichen Seekühe (Manatida) besitzen stets eine dünne
behaarte Haut und unterscheiden sich wesentlich durch ihre Bezahnung
von der vorigen Familie. In der Oberkinnlade besitzen sie zwei Schnei-
dezähne, welche bei der einen Gattung (Manatus) frühzeitig ausfallen,
bei der anderen (Halicore) aber, wo Ober- und Unterkiefer plötzlich
sich nach unten biegen, sich zu hakenförmigen Stoßzähnen entwickeln;
im Unterkiefer fehlen diese Vorderzähne stets; immer finden sich bei
den jungen Thieren wenigstens fünf Mahlzähne in jedem Kiefer, die
eine elliptische Gestalt und quergefaltete Kronen besitzen, deren Leisten

von dem Körper nicht abgeſetzt, aber mit dick aufgewulſteten fleiſchigen
Lippen verſehen, die mit ſtarken Bartborſten beſetzt ſind. Die ge-
trennten Naſenlöcher ſtehen vorn auf der Spitze der Schnauze und
die Naſengänge zeigen keine Spur jenes Spritzapparates, der die
Walthiere ſo auszeichnet; die beiden Hälften des Herzens ſind ſo tief
von einander getrennt, daß daſſelbe faſt aus zwei nur an einer Stelle
mit einander verwachſenen Herzen zu beſtehen ſcheint. Die Bezah-
nung iſt ſehr verſchieden, namentlich in Bezug auf die Vorder- und
Eckzähne; überall ſind aber Mahlzähne vorhanden, welche auf das
deutlichſte auf Pflanzennahrung hinweiſen. Die beiden Zitzen liegen
vorn an der Bruſt, nicht hinten am After; die Haut iſt meiſtens mit
einſam ſtehenden Borſten beſetzt; der Geſichtstheil des Kopfes iſt be-
deutend kürzer im Verhältniß zum Schädel als bei den Walen, der
Unterkiefer meiſt kräftig und hoch und mit einem wohlentwickelten auf-
ſteigenden Aſte verſehen. Die Thiere dieſer Unterordnung leben ſtets
nur an den Küſten und namentlich in den Mündungen großer Flüſſe,
an deren Ufern ſie ſich von Gewächſen nähren.

Die Familie der Borkenthiere (Rytinida) lebte noch bis in die
Mitte des vorigen Jahrhunderts etwa an den Küſten Kamtſchatka’s
und der Kurilen, iſt aber ſeitdem gänzlich ausgeſtorben. Die einzige
Art, von welcher nur wenige Fragmente und eine ſehr genaue Be-
ſchreibung eines Augenzeugen übrig ſind, der ſie zehn Monate lang
beobachtete, war ein plumpes Thier von etwa zwanzig Fuß Länge,
deſſen Haut eine Art dicker riſſiger Borke darſtellte, welche aus mit-
einander verwachſenen, ſenkrechten Hornröhren oder Haaren gebildet
iſt. In jeder Kieferhälfte fand ſich oben und unten nur eine einzige
breite Zahnplatte ohne Wurzel, die eine zungenförmige Geſtalt beſitzt
und aus ſenkrechten Schmelzcylindern oder Zahnröhren zuſammengeſetzt
iſt, welche mit einander verſchmolzen ſind. Rytine.

Die eigentlichen Seekühe (Manatida) beſitzen ſtets eine dünne
behaarte Haut und unterſcheiden ſich weſentlich durch ihre Bezahnung
von der vorigen Familie. In der Oberkinnlade beſitzen ſie zwei Schnei-
dezähne, welche bei der einen Gattung (Manatus) frühzeitig ausfallen,
bei der anderen (Halicore) aber, wo Ober- und Unterkiefer plötzlich
ſich nach unten biegen, ſich zu hakenförmigen Stoßzähnen entwickeln;
im Unterkiefer fehlen dieſe Vorderzähne ſtets; immer finden ſich bei
den jungen Thieren wenigſtens fünf Mahlzähne in jedem Kiefer, die
eine elliptiſche Geſtalt und quergefaltete Kronen beſitzen, deren Leiſten

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[453/0459] von dem Körper nicht abgeſetzt, aber mit dick aufgewulſteten fleiſchigen Lippen verſehen, die mit ſtarken Bartborſten beſetzt ſind. Die ge- trennten Naſenlöcher ſtehen vorn auf der Spitze der Schnauze und die Naſengänge zeigen keine Spur jenes Spritzapparates, der die Walthiere ſo auszeichnet; die beiden Hälften des Herzens ſind ſo tief von einander getrennt, daß daſſelbe faſt aus zwei nur an einer Stelle mit einander verwachſenen Herzen zu beſtehen ſcheint. Die Bezah- nung iſt ſehr verſchieden, namentlich in Bezug auf die Vorder- und Eckzähne; überall ſind aber Mahlzähne vorhanden, welche auf das deutlichſte auf Pflanzennahrung hinweiſen. Die beiden Zitzen liegen vorn an der Bruſt, nicht hinten am After; die Haut iſt meiſtens mit einſam ſtehenden Borſten beſetzt; der Geſichtstheil des Kopfes iſt be- deutend kürzer im Verhältniß zum Schädel als bei den Walen, der Unterkiefer meiſt kräftig und hoch und mit einem wohlentwickelten auf- ſteigenden Aſte verſehen. Die Thiere dieſer Unterordnung leben ſtets nur an den Küſten und namentlich in den Mündungen großer Flüſſe, an deren Ufern ſie ſich von Gewächſen nähren. Die Familie der Borkenthiere (Rytinida) lebte noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts etwa an den Küſten Kamtſchatka’s und der Kurilen, iſt aber ſeitdem gänzlich ausgeſtorben. Die einzige Art, von welcher nur wenige Fragmente und eine ſehr genaue Be- ſchreibung eines Augenzeugen übrig ſind, der ſie zehn Monate lang beobachtete, war ein plumpes Thier von etwa zwanzig Fuß Länge, deſſen Haut eine Art dicker riſſiger Borke darſtellte, welche aus mit- einander verwachſenen, ſenkrechten Hornröhren oder Haaren gebildet iſt. In jeder Kieferhälfte fand ſich oben und unten nur eine einzige breite Zahnplatte ohne Wurzel, die eine zungenförmige Geſtalt beſitzt und aus ſenkrechten Schmelzcylindern oder Zahnröhren zuſammengeſetzt iſt, welche mit einander verſchmolzen ſind. Rytine. Die eigentlichen Seekühe (Manatida) beſitzen ſtets eine dünne behaarte Haut und unterſcheiden ſich weſentlich durch ihre Bezahnung von der vorigen Familie. In der Oberkinnlade beſitzen ſie zwei Schnei- dezähne, welche bei der einen Gattung (Manatus) frühzeitig ausfallen, bei der anderen (Halicore) aber, wo Ober- und Unterkiefer plötzlich ſich nach unten biegen, ſich zu hakenförmigen Stoßzähnen entwickeln; im Unterkiefer fehlen dieſe Vorderzähne ſtets; immer finden ſich bei den jungen Thieren wenigſtens fünf Mahlzähne in jedem Kiefer, die eine elliptiſche Geſtalt und quergefaltete Kronen beſitzen, deren Leiſten

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/459>, abgerufen am 25.04.2024.