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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

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welche sie dort trafen. Das erste Bedürfniß war, zu sammeln, auf-
zubewahren und den Bewohnern der Heimath jene staunenswerthen
Seltenheiten zu zeigen. So entstanden gegen das Ende des Mittel-
alters die ersten Sammlungen und jene Werke, welche unter dem Titel
Raritätenkammer, Weltschatz u. s. w. die Seltenheiten der neu ent-
deckten Gegenden den Bewohnern des alten Continentes in Kupfern
vor Augen führten. Man darf wohl sagen, daß der neu erwachte
Eifer für die Naturwissenschaften sich wesentlich mit an diesen Gegen-
ständen der Neugierde entzündete und daß so nach und nach mit der
Kenntniß dieser Gegenstände auch zugleich das Bewußtsein eingepflanzt
wurde, daß verschiedene Erdzonen sich völlig durch die Verschiedenheit
ihrer Bewohner charakterisiren ließen. Aber erst nach und nach wurde
man auf die Wichtigkeit dieses neuen Zweiges der Wissenschaft auf-
merksam und erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts begann
man das Material kritisch zu sichten und nach wissenschaftlichen Grund-
sätzen zu ordnen.

Der Schwierigkeiten einer solchen Bearbeitung sind viele. Die
meisten Reisenden und Sammler hatten gar keine Idee von der Wich-
tigkeit der genauen Notirung eines Wohnortes und es kam ihnen
wenig darauf an, ob der Balg oder die Muschel, welche sie mit-
brachten, aus Ost- oder Westindien stammte. Viele suchten auch im
Interesse höheren Gewinnstes absichtlich zu täuschen, indem sie den
Arten andere, selten besuchte Wohnorte anwiesen. Eine große Ver-
wirrung wurde endlich durch diejenigen Reisenden herbeigebracht,
welche den ähnlichen Thieren, die sie in fremden Ländern fanden,
die in der Heimath gebräuchlichen Namen gaben. So wie die älteren
Römer in den Elephanten nur Ochsen sahen, so fanden die ersten
Eroberer in Amerika den Löwen und den Tiger, den Eber und das
Schaf und man hatte lang Mühe und Noth, bis man aus mehr
oder minder verworrenen Angaben dieser Art das Richtige ausscheiden
konnte. Noch heute herrscht über viele Arten, die seit langer Zeit
her wohl bekannt sind, hinsichtlich ihrer Verbreitung Zweifel, der erst
nach und nach durch solche Beobachter, welche die Wichtigkeit dieser
Bestimmungen kennen, gelöst werden kann. Zu diesen Schwierigkeiten,
die aus der Unvollkommenheit der Beobachtung und dem Mangel
der Genauigkeit der Beobachter hervorgehen, gesellen sich noch andere,
welche in dem Gegenstande selbst begründet sind. Viele, namentlich
gesellige Thiere unternehmen oft weite Wanderungen, deren Ursachen
gewöhnlich in der mangelnden Nahrung an ihrem bisherigen Wohn-

welche ſie dort trafen. Das erſte Bedürfniß war, zu ſammeln, auf-
zubewahren und den Bewohnern der Heimath jene ſtaunenswerthen
Seltenheiten zu zeigen. So entſtanden gegen das Ende des Mittel-
alters die erſten Sammlungen und jene Werke, welche unter dem Titel
Raritätenkammer, Weltſchatz u. ſ. w. die Seltenheiten der neu ent-
deckten Gegenden den Bewohnern des alten Continentes in Kupfern
vor Augen führten. Man darf wohl ſagen, daß der neu erwachte
Eifer für die Naturwiſſenſchaften ſich weſentlich mit an dieſen Gegen-
ſtänden der Neugierde entzündete und daß ſo nach und nach mit der
Kenntniß dieſer Gegenſtände auch zugleich das Bewußtſein eingepflanzt
wurde, daß verſchiedene Erdzonen ſich völlig durch die Verſchiedenheit
ihrer Bewohner charakteriſiren ließen. Aber erſt nach und nach wurde
man auf die Wichtigkeit dieſes neuen Zweiges der Wiſſenſchaft auf-
merkſam und erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts begann
man das Material kritiſch zu ſichten und nach wiſſenſchaftlichen Grund-
ſätzen zu ordnen.

Der Schwierigkeiten einer ſolchen Bearbeitung ſind viele. Die
meiſten Reiſenden und Sammler hatten gar keine Idee von der Wich-
tigkeit der genauen Notirung eines Wohnortes und es kam ihnen
wenig darauf an, ob der Balg oder die Muſchel, welche ſie mit-
brachten, aus Oſt- oder Weſtindien ſtammte. Viele ſuchten auch im
Intereſſe höheren Gewinnſtes abſichtlich zu täuſchen, indem ſie den
Arten andere, ſelten beſuchte Wohnorte anwieſen. Eine große Ver-
wirrung wurde endlich durch diejenigen Reiſenden herbeigebracht,
welche den ähnlichen Thieren, die ſie in fremden Ländern fanden,
die in der Heimath gebräuchlichen Namen gaben. So wie die älteren
Römer in den Elephanten nur Ochſen ſahen, ſo fanden die erſten
Eroberer in Amerika den Löwen und den Tiger, den Eber und das
Schaf und man hatte lang Mühe und Noth, bis man aus mehr
oder minder verworrenen Angaben dieſer Art das Richtige ausſcheiden
konnte. Noch heute herrſcht über viele Arten, die ſeit langer Zeit
her wohl bekannt ſind, hinſichtlich ihrer Verbreitung Zweifel, der erſt
nach und nach durch ſolche Beobachter, welche die Wichtigkeit dieſer
Beſtimmungen kennen, gelöſt werden kann. Zu dieſen Schwierigkeiten,
die aus der Unvollkommenheit der Beobachtung und dem Mangel
der Genauigkeit der Beobachter hervorgehen, geſellen ſich noch andere,
welche in dem Gegenſtande ſelbſt begründet ſind. Viele, namentlich
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[573/0579] welche ſie dort trafen. Das erſte Bedürfniß war, zu ſammeln, auf- zubewahren und den Bewohnern der Heimath jene ſtaunenswerthen Seltenheiten zu zeigen. So entſtanden gegen das Ende des Mittel- alters die erſten Sammlungen und jene Werke, welche unter dem Titel Raritätenkammer, Weltſchatz u. ſ. w. die Seltenheiten der neu ent- deckten Gegenden den Bewohnern des alten Continentes in Kupfern vor Augen führten. Man darf wohl ſagen, daß der neu erwachte Eifer für die Naturwiſſenſchaften ſich weſentlich mit an dieſen Gegen- ſtänden der Neugierde entzündete und daß ſo nach und nach mit der Kenntniß dieſer Gegenſtände auch zugleich das Bewußtſein eingepflanzt wurde, daß verſchiedene Erdzonen ſich völlig durch die Verſchiedenheit ihrer Bewohner charakteriſiren ließen. Aber erſt nach und nach wurde man auf die Wichtigkeit dieſes neuen Zweiges der Wiſſenſchaft auf- merkſam und erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts begann man das Material kritiſch zu ſichten und nach wiſſenſchaftlichen Grund- ſätzen zu ordnen. Der Schwierigkeiten einer ſolchen Bearbeitung ſind viele. Die meiſten Reiſenden und Sammler hatten gar keine Idee von der Wich- tigkeit der genauen Notirung eines Wohnortes und es kam ihnen wenig darauf an, ob der Balg oder die Muſchel, welche ſie mit- brachten, aus Oſt- oder Weſtindien ſtammte. Viele ſuchten auch im Intereſſe höheren Gewinnſtes abſichtlich zu täuſchen, indem ſie den Arten andere, ſelten beſuchte Wohnorte anwieſen. Eine große Ver- wirrung wurde endlich durch diejenigen Reiſenden herbeigebracht, welche den ähnlichen Thieren, die ſie in fremden Ländern fanden, die in der Heimath gebräuchlichen Namen gaben. So wie die älteren Römer in den Elephanten nur Ochſen ſahen, ſo fanden die erſten Eroberer in Amerika den Löwen und den Tiger, den Eber und das Schaf und man hatte lang Mühe und Noth, bis man aus mehr oder minder verworrenen Angaben dieſer Art das Richtige ausſcheiden konnte. Noch heute herrſcht über viele Arten, die ſeit langer Zeit her wohl bekannt ſind, hinſichtlich ihrer Verbreitung Zweifel, der erſt nach und nach durch ſolche Beobachter, welche die Wichtigkeit dieſer Beſtimmungen kennen, gelöſt werden kann. Zu dieſen Schwierigkeiten, die aus der Unvollkommenheit der Beobachtung und dem Mangel der Genauigkeit der Beobachter hervorgehen, geſellen ſich noch andere, welche in dem Gegenſtande ſelbſt begründet ſind. Viele, namentlich geſellige Thiere unternehmen oft weite Wanderungen, deren Urſachen gewöhnlich in der mangelnden Nahrung an ihrem bisherigen Wohn-

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/579>, abgerufen am 19.04.2024.