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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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stand ein Heiligthum der Maria, durch seine
geschmackvolle Pracht weit berühmt. Die Jung¬
frauen im Lande hatten es aus ihren Mitteln
erbaut, und sich dafür das Recht vorbehalten,
hier allein zu beten, und Feiergesang anzu¬
stimmen.

Sie nahmen dann Platz auf dem Marmor¬
boden, doch die Erhöhungen welche der Rotunde
Innenwände umliefen, konnten Männer bestei¬
gen und Niemand mag zweifeln, daß sie nicht
angefüllt gewesen wären.

Gelino hätte es vielleicht nicht unumgänglich
nöthig gefunden, seinen Zögling dahin zu füh¬
ren; doch dieser hatte davon viel gehört, und
bewies sehr redselig, man müsse die Reisekunde
auf jede Art bereichern.

Es war das Frühlingsfest der Maria, der
Kultus hatte einige Aehnlichkeit mit den Flora¬
lien der Alten. Im weißen Gewand, blendend
wie Schnee, fein wie die Schleier der Arachne,
die Sandale mit bunten Bändern an den bloßen
Fuß geknüpft, die Locken mit jungen Blumen
durchflochten, zogen die Jungfrauen in den
Tempel.

Guido befand sich im Gedränge auf der Er¬

ſtand ein Heiligthum der Maria, durch ſeine
geſchmackvolle Pracht weit beruͤhmt. Die Jung¬
frauen im Lande hatten es aus ihren Mitteln
erbaut, und ſich dafuͤr das Recht vorbehalten,
hier allein zu beten, und Feiergeſang anzu¬
ſtimmen.

Sie nahmen dann Platz auf dem Marmor¬
boden, doch die Erhoͤhungen welche der Rotunde
Innenwaͤnde umliefen, konnten Maͤnner beſtei¬
gen und Niemand mag zweifeln, daß ſie nicht
angefuͤllt geweſen waͤren.

Gelino haͤtte es vielleicht nicht unumgaͤnglich
noͤthig gefunden, ſeinen Zoͤgling dahin zu fuͤh¬
ren; doch dieſer hatte davon viel gehoͤrt, und
bewies ſehr redſelig, man muͤſſe die Reiſekunde
auf jede Art bereichern.

Es war das Fruͤhlingsfeſt der Maria, der
Kultus hatte einige Aehnlichkeit mit den Flora¬
lien der Alten. Im weißen Gewand, blendend
wie Schnee, fein wie die Schleier der Arachne,
die Sandale mit bunten Baͤndern an den bloßen
Fuß geknuͤpft, die Locken mit jungen Blumen
durchflochten, zogen die Jungfrauen in den
Tempel.

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[152/0164] ſtand ein Heiligthum der Maria, durch ſeine geſchmackvolle Pracht weit beruͤhmt. Die Jung¬ frauen im Lande hatten es aus ihren Mitteln erbaut, und ſich dafuͤr das Recht vorbehalten, hier allein zu beten, und Feiergeſang anzu¬ ſtimmen. Sie nahmen dann Platz auf dem Marmor¬ boden, doch die Erhoͤhungen welche der Rotunde Innenwaͤnde umliefen, konnten Maͤnner beſtei¬ gen und Niemand mag zweifeln, daß ſie nicht angefuͤllt geweſen waͤren. Gelino haͤtte es vielleicht nicht unumgaͤnglich noͤthig gefunden, ſeinen Zoͤgling dahin zu fuͤh¬ ren; doch dieſer hatte davon viel gehoͤrt, und bewies ſehr redſelig, man muͤſſe die Reiſekunde auf jede Art bereichern. Es war das Fruͤhlingsfeſt der Maria, der Kultus hatte einige Aehnlichkeit mit den Flora¬ lien der Alten. Im weißen Gewand, blendend wie Schnee, fein wie die Schleier der Arachne, die Sandale mit bunten Baͤndern an den bloßen Fuß geknuͤpft, die Locken mit jungen Blumen durchflochten, zogen die Jungfrauen in den Tempel. Guido befand ſich im Gedraͤnge auf der Er¬

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/164>, abgerufen am 29.03.2024.