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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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schon bekannt, prüft, schlägt vor, entscheidet
über einzelne Fälle, theils allein, theils nach¬
dem der Kaiser bestätigte. Der Kaiser ist auch
Vorsitzer des Bundesgerichts, und hat seine
Aussprüche zu sankzioniren, insofern von Strei¬
tigkeiten der Könige gegen einander, oder von
Wiederbesetzung eines erledigten Thrones die
Rede ist. Wenn dies Gericht nicht in Rom sei¬
nen Aufenthalt hat, so liegt auch die Absicht zum
Grunde, daß es nicht dem Kaiser unbedingt un¬
terworfen werden soll. Die Telegraphenlinie
kann ihm zudem in wenigen Stunden von den
Verhandlungen Nachricht senden. Der Kaiser
hat auch sein Königreich, und zwar das größere,
aus welchem seine Einkünfte ihm zufließen.
Seine Vorfahren hätten bei ihrem großen Waf¬
fenglück leicht ganz Europa sich unbedingt un¬
terwerfen können, sie wollten es aber nur durch die
gegenwärtige Verfassung bedungen, wodurch
das weite Reich bequemer regiert, und der im¬
mer fortgehenden Entwickelung eine freiere Bahn
gelassen wird."

Guido dachte, als sein Lehrer geendet hatte
viel über die Verfassung von Europa nach, es
drängten sich ihm manche Ideen auf, wie sie

ſchon bekannt, pruͤft, ſchlaͤgt vor, entſcheidet
uͤber einzelne Faͤlle, theils allein, theils nach¬
dem der Kaiſer beſtaͤtigte. Der Kaiſer iſt auch
Vorſitzer des Bundesgerichts, und hat ſeine
Ausſpruͤche zu ſankzioniren, inſofern von Strei¬
tigkeiten der Koͤnige gegen einander, oder von
Wiederbeſetzung eines erledigten Thrones die
Rede iſt. Wenn dies Gericht nicht in Rom ſei¬
nen Aufenthalt hat, ſo liegt auch die Abſicht zum
Grunde, daß es nicht dem Kaiſer unbedingt un¬
terworfen werden ſoll. Die Telegraphenlinie
kann ihm zudem in wenigen Stunden von den
Verhandlungen Nachricht ſenden. Der Kaiſer
hat auch ſein Koͤnigreich, und zwar das groͤßere,
aus welchem ſeine Einkuͤnfte ihm zufließen.
Seine Vorfahren haͤtten bei ihrem großen Waf¬
fengluͤck leicht ganz Europa ſich unbedingt un¬
terwerfen koͤnnen, ſie wollten es aber nur durch die
gegenwaͤrtige Verfaſſung bedungen, wodurch
das weite Reich bequemer regiert, und der im¬
mer fortgehenden Entwickelung eine freiere Bahn
gelaſſen wird.“

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[196/0208] ſchon bekannt, pruͤft, ſchlaͤgt vor, entſcheidet uͤber einzelne Faͤlle, theils allein, theils nach¬ dem der Kaiſer beſtaͤtigte. Der Kaiſer iſt auch Vorſitzer des Bundesgerichts, und hat ſeine Ausſpruͤche zu ſankzioniren, inſofern von Strei¬ tigkeiten der Koͤnige gegen einander, oder von Wiederbeſetzung eines erledigten Thrones die Rede iſt. Wenn dies Gericht nicht in Rom ſei¬ nen Aufenthalt hat, ſo liegt auch die Abſicht zum Grunde, daß es nicht dem Kaiſer unbedingt un¬ terworfen werden ſoll. Die Telegraphenlinie kann ihm zudem in wenigen Stunden von den Verhandlungen Nachricht ſenden. Der Kaiſer hat auch ſein Koͤnigreich, und zwar das groͤßere, aus welchem ſeine Einkuͤnfte ihm zufließen. Seine Vorfahren haͤtten bei ihrem großen Waf¬ fengluͤck leicht ganz Europa ſich unbedingt un¬ terwerfen koͤnnen, ſie wollten es aber nur durch die gegenwaͤrtige Verfaſſung bedungen, wodurch das weite Reich bequemer regiert, und der im¬ mer fortgehenden Entwickelung eine freiere Bahn gelaſſen wird.“ Guido dachte, als ſein Lehrer geendet hatte viel uͤber die Verfaſſung von Europa nach, es draͤngten ſich ihm manche Ideen auf, wie ſie

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/208>, abgerufen am 24.04.2024.