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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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einmüthig flehend, dem Staube ihres Monar¬
chen den Tempel der Unsterblichkeit zu bewil¬
ligen.

Euer Flehen ehrt den Verstorbenen, ant¬
wortete der hohe Senat, allein es darf uns nicht
bestechen. Wo liegen die Beweise, daß euer
König das Grab des Ruhmes verdiene?

Nun drängten sich besondere Sendungen der
Räthe in den Staaten des Todten hervor. Sie
reichten Schriften ein, worin die Zunahme der
Volkzahl während seiner Regierung berechnet
stand, in welchen dargethan wurde, daß sich die
Klagen in den Tempeln des Rechtes, während eben
diesem Zeitraume, ungemein vermindert hatten;
ferner, daß auch nicht eine Ehe getrennt wor¬
den sei. Die Papiere wurden laut verlesen.
Bedächtig horchten die Greise, rührende Blicke
auf die Urne wendend. Nach den Berathungen
einer Stunde sprachen sie einmüthig aus: Seine
Regierung war gut, da diese Erfolge Zeugniß
ablegen. Dem Staube werde des Ruhmes Grab,
wenn der Kaiser das Urtheil heiligt.

Die Todten wurden jetzt überhaupt nicht als
Leichname begraben. Man wollte den schauder¬
haften Zustand der Verwesung nirgend wissen,

einmuͤthig flehend, dem Staube ihres Monar¬
chen den Tempel der Unſterblichkeit zu bewil¬
ligen.

Euer Flehen ehrt den Verſtorbenen, ant¬
wortete der hohe Senat, allein es darf uns nicht
beſtechen. Wo liegen die Beweiſe, daß euer
Koͤnig das Grab des Ruhmes verdiene?

Nun draͤngten ſich beſondere Sendungen der
Raͤthe in den Staaten des Todten hervor. Sie
reichten Schriften ein, worin die Zunahme der
Volkzahl waͤhrend ſeiner Regierung berechnet
ſtand, in welchen dargethan wurde, daß ſich die
Klagen in den Tempeln des Rechtes, waͤhrend eben
dieſem Zeitraume, ungemein vermindert hatten;
ferner, daß auch nicht eine Ehe getrennt wor¬
den ſei. Die Papiere wurden laut verleſen.
Bedaͤchtig horchten die Greiſe, ruͤhrende Blicke
auf die Urne wendend. Nach den Berathungen
einer Stunde ſprachen ſie einmuͤthig aus: Seine
Regierung war gut, da dieſe Erfolge Zeugniß
ablegen. Dem Staube werde des Ruhmes Grab,
wenn der Kaiſer das Urtheil heiligt.

Die Todten wurden jetzt uͤberhaupt nicht als
Leichname begraben. Man wollte den ſchauder¬
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[198/0210] einmuͤthig flehend, dem Staube ihres Monar¬ chen den Tempel der Unſterblichkeit zu bewil¬ ligen. Euer Flehen ehrt den Verſtorbenen, ant¬ wortete der hohe Senat, allein es darf uns nicht beſtechen. Wo liegen die Beweiſe, daß euer Koͤnig das Grab des Ruhmes verdiene? Nun draͤngten ſich beſondere Sendungen der Raͤthe in den Staaten des Todten hervor. Sie reichten Schriften ein, worin die Zunahme der Volkzahl waͤhrend ſeiner Regierung berechnet ſtand, in welchen dargethan wurde, daß ſich die Klagen in den Tempeln des Rechtes, waͤhrend eben dieſem Zeitraume, ungemein vermindert hatten; ferner, daß auch nicht eine Ehe getrennt wor¬ den ſei. Die Papiere wurden laut verleſen. Bedaͤchtig horchten die Greiſe, ruͤhrende Blicke auf die Urne wendend. Nach den Berathungen einer Stunde ſprachen ſie einmuͤthig aus: Seine Regierung war gut, da dieſe Erfolge Zeugniß ablegen. Dem Staube werde des Ruhmes Grab, wenn der Kaiſer das Urtheil heiligt. Die Todten wurden jetzt uͤberhaupt nicht als Leichname begraben. Man wollte den ſchauder¬ haften Zuſtand der Verweſung nirgend wiſſen,

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/210>, abgerufen am 25.04.2024.