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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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auch unter den Rasenhügeln empörte er die Ge¬
fühle einer zartsinnigeren Menschheit. Hatte der
Verstorbene, nach einigen Tagen, die untrüg¬
lichen Kennzeichen des Todes, schafften ihn die
Verwandten in ein Leichenhaus, wo durch einen
chemischen Prozeß alle Flüssigkeiten verflüchtigt,
und die festen Theile in Erde aufgelöset wurden.
Diese kam in die mitgebrachte Urne, und die
Leidtragenden brachten sie nach dem Todtengar¬
ten, den die Städte mit Baumpflanzungen und
Blumen zu schmücken, wetteiferten, um sie dort
einzusenken. Ein Denkmal aber durfte auch dann
nur die Stelle bezeichnen, wenn die Mitbürger
des Ortes, durch Stimmenmehrheit, den Verstor¬
benen dieser Ehre würdig achteten. Den Wohn¬
platz der Ruhe sollten nicht Lügen entheiligen.
Personen, welche dem Gesetz widerstrebend gelebt
hatten, kamen auf ein gesondertes entferntes Grä¬
berfeld, öde, ohne Strauch und Blumen, und
die Städte fanden einen Stolz darin, kein sol¬
ches Feld auf ihrem Gebiete zu wissen.

Das Bundesgericht meldete noch am Mor¬
gen, durch den Telegraphen, seinen Ausspruch
nach Rom. Am Abend langte die Antwort an.
Der Kaiser ließ durch die akkustischen Röhre zu¬

auch unter den Raſenhuͤgeln empoͤrte er die Ge¬
fuͤhle einer zartſinnigeren Menſchheit. Hatte der
Verſtorbene, nach einigen Tagen, die untruͤg¬
lichen Kennzeichen des Todes, ſchafften ihn die
Verwandten in ein Leichenhaus, wo durch einen
chemiſchen Prozeß alle Fluͤſſigkeiten verfluͤchtigt,
und die feſten Theile in Erde aufgeloͤſet wurden.
Dieſe kam in die mitgebrachte Urne, und die
Leidtragenden brachten ſie nach dem Todtengar¬
ten, den die Staͤdte mit Baumpflanzungen und
Blumen zu ſchmuͤcken, wetteiferten, um ſie dort
einzuſenken. Ein Denkmal aber durfte auch dann
nur die Stelle bezeichnen, wenn die Mitbuͤrger
des Ortes, durch Stimmenmehrheit, den Verſtor¬
benen dieſer Ehre wuͤrdig achteten. Den Wohn¬
platz der Ruhe ſollten nicht Luͤgen entheiligen.
Perſonen, welche dem Geſetz widerſtrebend gelebt
hatten, kamen auf ein geſondertes entferntes Graͤ¬
berfeld, oͤde, ohne Strauch und Blumen, und
die Staͤdte fanden einen Stolz darin, kein ſol¬
ches Feld auf ihrem Gebiete zu wiſſen.

Das Bundesgericht meldete noch am Mor¬
gen, durch den Telegraphen, ſeinen Ausſpruch
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[199/0211] auch unter den Raſenhuͤgeln empoͤrte er die Ge¬ fuͤhle einer zartſinnigeren Menſchheit. Hatte der Verſtorbene, nach einigen Tagen, die untruͤg¬ lichen Kennzeichen des Todes, ſchafften ihn die Verwandten in ein Leichenhaus, wo durch einen chemiſchen Prozeß alle Fluͤſſigkeiten verfluͤchtigt, und die feſten Theile in Erde aufgeloͤſet wurden. Dieſe kam in die mitgebrachte Urne, und die Leidtragenden brachten ſie nach dem Todtengar¬ ten, den die Staͤdte mit Baumpflanzungen und Blumen zu ſchmuͤcken, wetteiferten, um ſie dort einzuſenken. Ein Denkmal aber durfte auch dann nur die Stelle bezeichnen, wenn die Mitbuͤrger des Ortes, durch Stimmenmehrheit, den Verſtor¬ benen dieſer Ehre wuͤrdig achteten. Den Wohn¬ platz der Ruhe ſollten nicht Luͤgen entheiligen. Perſonen, welche dem Geſetz widerſtrebend gelebt hatten, kamen auf ein geſondertes entferntes Graͤ¬ berfeld, oͤde, ohne Strauch und Blumen, und die Staͤdte fanden einen Stolz darin, kein ſol¬ ches Feld auf ihrem Gebiete zu wiſſen. Das Bundesgericht meldete noch am Mor¬ gen, durch den Telegraphen, ſeinen Ausſpruch nach Rom. Am Abend langte die Antwort an. Der Kaiſer ließ durch die akkuſtiſchen Roͤhre zu¬

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/211>, abgerufen am 16.04.2024.