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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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gung zeigte, es auch unempfindlich gegen An¬
rühren mit spitzigen Instrumenten war.

Doch eine Feder, vor den Mund gelegt, flog
weg, alle, welche an die Pulsader griffen, be¬
zeugten, ein leises Klopfen wahrzunehmen.

Dabei blieb es aber wohl sechs Stunden,
so daß der Zweifel wieder die Stimme erhob,
und jene Anzeigen Täuschung nannte. Dann
schrie aber alles plötzlich auf! Das eine Auge
hatte sich geöffnet und wieder geschlossen. Nicht
lange, so geschah das Nämliche mit dem zweiten,
eine Stunde noch, und das erste Wort floh von
den Lippen, die funfzigjährige Erstarrung ge¬
schlossen hatte.

Niemand mied den Saal. Man vergaß über
die Neugier die gewohnte Nahrung zu nehmen,
immer das Auge auf den Körper geheftet. Die
ganze Nacht verstrich so, während hin und wie¬
der die Sprache, doch verwirrt, hörbar wurde.
Am andern Morgen aber war die Besonnenheit
vollkommen da, der wieder Lebende sprach von
seinem Verbrechen, seiner Reue, flehte um
Erbarmen.

Man sagte es zu, schonte seiner auf alle
Weise, pflegte, stärkte. Er besann sich in ein

gung zeigte, es auch unempfindlich gegen An¬
ruͤhren mit ſpitzigen Inſtrumenten war.

Doch eine Feder, vor den Mund gelegt, flog
weg, alle, welche an die Pulsader griffen, be¬
zeugten, ein leiſes Klopfen wahrzunehmen.

Dabei blieb es aber wohl ſechs Stunden,
ſo daß der Zweifel wieder die Stimme erhob,
und jene Anzeigen Taͤuſchung nannte. Dann
ſchrie aber alles ploͤtzlich auf! Das eine Auge
hatte ſich geoͤffnet und wieder geſchloſſen. Nicht
lange, ſo geſchah das Naͤmliche mit dem zweiten,
eine Stunde noch, und das erſte Wort floh von
den Lippen, die funfzigjaͤhrige Erſtarrung ge¬
ſchloſſen hatte.

Niemand mied den Saal. Man vergaß uͤber
die Neugier die gewohnte Nahrung zu nehmen,
immer das Auge auf den Koͤrper geheftet. Die
ganze Nacht verſtrich ſo, waͤhrend hin und wie¬
der die Sprache, doch verwirrt, hoͤrbar wurde.
Am andern Morgen aber war die Beſonnenheit
vollkommen da, der wieder Lebende ſprach von
ſeinem Verbrechen, ſeiner Reue, flehte um
Erbarmen.

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[270/0282] gung zeigte, es auch unempfindlich gegen An¬ ruͤhren mit ſpitzigen Inſtrumenten war. Doch eine Feder, vor den Mund gelegt, flog weg, alle, welche an die Pulsader griffen, be¬ zeugten, ein leiſes Klopfen wahrzunehmen. Dabei blieb es aber wohl ſechs Stunden, ſo daß der Zweifel wieder die Stimme erhob, und jene Anzeigen Taͤuſchung nannte. Dann ſchrie aber alles ploͤtzlich auf! Das eine Auge hatte ſich geoͤffnet und wieder geſchloſſen. Nicht lange, ſo geſchah das Naͤmliche mit dem zweiten, eine Stunde noch, und das erſte Wort floh von den Lippen, die funfzigjaͤhrige Erſtarrung ge¬ ſchloſſen hatte. Niemand mied den Saal. Man vergaß uͤber die Neugier die gewohnte Nahrung zu nehmen, immer das Auge auf den Koͤrper geheftet. Die ganze Nacht verſtrich ſo, waͤhrend hin und wie¬ der die Sprache, doch verwirrt, hoͤrbar wurde. Am andern Morgen aber war die Beſonnenheit vollkommen da, der wieder Lebende ſprach von ſeinem Verbrechen, ſeiner Reue, flehte um Erbarmen. Man ſagte es zu, ſchonte ſeiner auf alle Weiſe, pflegte, ſtaͤrkte. Er beſann ſich in ein

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/282>, abgerufen am 24.04.2024.