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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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Entfernung einen dunkeln Strich auf dem lich¬
ten Schnee, er nahte, es war eine menschliche
Gestalt er kam hinan -- es war Gelinos
Leichnam!

Er sank daran nieder in wildem Ungestüm,
über den neuen Schmerz den alten Jammer ver¬
gessend, küßte das kalte Antlitz mit heißen Thrä¬
nen, dann riß er den Körper auf, lud ihn auf
die Schulter, trug ihn an den Ofen des Schlit¬
tens, hoffte noch Leben in ihm zu wecken.

Wie man denken mag, war dies Streben ei¬
tel, auch kein Sturm der Klagen rüttelte den
Todten auf. Doch mochte die traurige Auffin¬
dung glücklich für Guido sein, die regsame
Mühe gab seinem doppelt schreckenerstarrten
Blute wieder Umlauf und zerstreute den Blick
auf sein Elend, auch sah er zu dem Feuer im
Ofen, das er vielleicht sonst hätte erlöschen
lassen.

Mit einem Schlummer aus Entkräftung
mußte dies Treiben zu Ende gehn. Neben dem
Entseelten, den Arm um ihn geschlungen, un¬
ter den nämlichen Fellen womit jener bedeckt
war, schlief Guido fest ein.

Da ging ein Traumgesicht an seiner inneren

Entfernung einen dunkeln Strich auf dem lich¬
ten Schnee, er nahte, es war eine menſchliche
Geſtalt er kam hinan — es war Gelinos
Leichnam!

Er ſank daran nieder in wildem Ungeſtuͤm,
uͤber den neuen Schmerz den alten Jammer ver¬
geſſend, kuͤßte das kalte Antlitz mit heißen Thraͤ¬
nen, dann riß er den Koͤrper auf, lud ihn auf
die Schulter, trug ihn an den Ofen des Schlit¬
tens, hoffte noch Leben in ihm zu wecken.

Wie man denken mag, war dies Streben ei¬
tel, auch kein Sturm der Klagen ruͤttelte den
Todten auf. Doch mochte die traurige Auffin¬
dung gluͤcklich fuͤr Guido ſein, die regſame
Muͤhe gab ſeinem doppelt ſchreckenerſtarrten
Blute wieder Umlauf und zerſtreute den Blick
auf ſein Elend, auch ſah er zu dem Feuer im
Ofen, das er vielleicht ſonſt haͤtte erloͤſchen
laſſen.

Mit einem Schlummer aus Entkraͤftung
mußte dies Treiben zu Ende gehn. Neben dem
Entſeelten, den Arm um ihn geſchlungen, un¬
ter den naͤmlichen Fellen womit jener bedeckt
war, ſchlief Guido feſt ein.

Da ging ein Traumgeſicht an ſeiner inneren

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[322/0334] Entfernung einen dunkeln Strich auf dem lich¬ ten Schnee, er nahte, es war eine menſchliche Geſtalt er kam hinan — es war Gelinos Leichnam! Er ſank daran nieder in wildem Ungeſtuͤm, uͤber den neuen Schmerz den alten Jammer ver¬ geſſend, kuͤßte das kalte Antlitz mit heißen Thraͤ¬ nen, dann riß er den Koͤrper auf, lud ihn auf die Schulter, trug ihn an den Ofen des Schlit¬ tens, hoffte noch Leben in ihm zu wecken. Wie man denken mag, war dies Streben ei¬ tel, auch kein Sturm der Klagen ruͤttelte den Todten auf. Doch mochte die traurige Auffin¬ dung gluͤcklich fuͤr Guido ſein, die regſame Muͤhe gab ſeinem doppelt ſchreckenerſtarrten Blute wieder Umlauf und zerſtreute den Blick auf ſein Elend, auch ſah er zu dem Feuer im Ofen, das er vielleicht ſonſt haͤtte erloͤſchen laſſen. Mit einem Schlummer aus Entkraͤftung mußte dies Treiben zu Ende gehn. Neben dem Entſeelten, den Arm um ihn geſchlungen, un¬ ter den naͤmlichen Fellen womit jener bedeckt war, ſchlief Guido feſt ein. Da ging ein Traumgeſicht an ſeiner inneren

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/334>, abgerufen am 28.03.2024.