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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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Sohnes vor drei Jahren, und faßte kaum die
so hoch gereifte Liebenswürdigktei.

Indem aber die Künstler vergleichend fort¬
fuhren, das todte Muster und seine lebende Nach¬
ahmung zu prüfen, behaupteten sie: Nicht ganz,
nur beinahe ward das Ideal erreicht. Noch ir¬
gend ein geringes Etwas, das wir nicht zu nen¬
nen vermögen, irgend ein vollendender Zug
fehlt noch.

Dieser Meinung traten alle bei, auch der
Kaiser. Letzterer fragte: Welcher Maler entwarf
dein Urbild?

Guido rief: Kein Maler! Die Liebe! Ein
Mädchen, unendlich schöner noch durch eigenen
Geistes Streben. O Vater! ihre Hand war der
Preis meines Ringens, soll er mir grausam ent¬
zogen werden?

Er sank vor ihm nieder. Die flehende Ge¬
berde sprach nur noch, sprach zu den Grei¬
sen im Rath, Fürworte erbittend, als der Mo¬
narch ernst und düster schwieg.

Diese fanden des Jünglings Wunsch gerecht.
Lohn der Liebe, meinten sie, müsse das große
Geschenk für die Menschheit, ihr eigen Werk, ver¬
gelten. Guido hatte auch die Schönheit seiner

Sohnes vor drei Jahren, und faßte kaum die
ſo hoch gereifte Liebenswuͤrdigktei.

Indem aber die Kuͤnſtler vergleichend fort¬
fuhren, das todte Muſter und ſeine lebende Nach¬
ahmung zu pruͤfen, behaupteten ſie: Nicht ganz,
nur beinahe ward das Ideal erreicht. Noch ir¬
gend ein geringes Etwas, das wir nicht zu nen¬
nen vermoͤgen, irgend ein vollendender Zug
fehlt noch.

Dieſer Meinung traten alle bei, auch der
Kaiſer. Letzterer fragte: Welcher Maler entwarf
dein Urbild?

Guido rief: Kein Maler! Die Liebe! Ein
Maͤdchen, unendlich ſchoͤner noch durch eigenen
Geiſtes Streben. O Vater! ihre Hand war der
Preis meines Ringens, ſoll er mir grauſam ent¬
zogen werden?

Er ſank vor ihm nieder. Die flehende Ge¬
berde ſprach nur noch, ſprach zu den Grei¬
ſen im Rath, Fuͤrworte erbittend, als der Mo¬
narch ernſt und duͤſter ſchwieg.

Dieſe fanden des Juͤnglings Wunſch gerecht.
Lohn der Liebe, meinten ſie, muͤſſe das große
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[361/0373] Sohnes vor drei Jahren, und faßte kaum die ſo hoch gereifte Liebenswuͤrdigktei. Indem aber die Kuͤnſtler vergleichend fort¬ fuhren, das todte Muſter und ſeine lebende Nach¬ ahmung zu pruͤfen, behaupteten ſie: Nicht ganz, nur beinahe ward das Ideal erreicht. Noch ir¬ gend ein geringes Etwas, das wir nicht zu nen¬ nen vermoͤgen, irgend ein vollendender Zug fehlt noch. Dieſer Meinung traten alle bei, auch der Kaiſer. Letzterer fragte: Welcher Maler entwarf dein Urbild? Guido rief: Kein Maler! Die Liebe! Ein Maͤdchen, unendlich ſchoͤner noch durch eigenen Geiſtes Streben. O Vater! ihre Hand war der Preis meines Ringens, ſoll er mir grauſam ent¬ zogen werden? Er ſank vor ihm nieder. Die flehende Ge¬ berde ſprach nur noch, ſprach zu den Grei¬ ſen im Rath, Fuͤrworte erbittend, als der Mo¬ narch ernſt und duͤſter ſchwieg. Dieſe fanden des Juͤnglings Wunſch gerecht. Lohn der Liebe, meinten ſie, muͤſſe das große Geſchenk fuͤr die Menſchheit, ihr eigen Werk, ver¬ gelten. Guido hatte auch die Schoͤnheit ſeiner

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/373>, abgerufen am 19.04.2024.