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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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einer niedlichen Turteltaube setzten sich auf den
Schlag nieder. Das zahme Thier ließ sich willig
ergreifen. An Guido, stand auf dem Briefchen.
Hurtig ward es abgenommen und geöffnet.

Ini schrieb, wie sie von ihrer Mutter mit
froher Zärtlichkeit aufgenommen sei, und diese
Mutter, die ganz still auf einem Landhause bei
Neu-Karthago lebe, auch ihre Liebe im reichen
Maaße verdiene. Sie setzte hinzu wie sie nicht
begreife, daß diese Mutter, bei einem so warmen
Herzen, ihre Erziehung der Fremden habe über¬
tragen können, und wie hier ein Grund vor¬
handen sei, bedeutende Geheimnisse zu ver¬
muthen, um deren Aufschluß sie vergebens
gefleht habe. Noch folgten begeisterte Schilde¬
rungen der vorzüglichen Eigenschaften dieser
edlen Frau.

Guido, wie unendlich ihn der Empfang des
Schreibens erfreute, ward tief bestürzt, daß
darin von keiner Wiederkunft die Rede war.
Er fürchtete, Mutterliebe werde die Tochter
nicht wieder scheiden lassen, und Inis Herz --
von dem er doch täglich mehr für sich hoffte --
von ihm wenden.

Nach einigen Tagen langte ein zweiter Brief

einer niedlichen Turteltaube ſetzten ſich auf den
Schlag nieder. Das zahme Thier ließ ſich willig
ergreifen. An Guido, ſtand auf dem Briefchen.
Hurtig ward es abgenommen und geoͤffnet.

Ini ſchrieb, wie ſie von ihrer Mutter mit
froher Zaͤrtlichkeit aufgenommen ſei, und dieſe
Mutter, die ganz ſtill auf einem Landhauſe bei
Neu-Karthago lebe, auch ihre Liebe im reichen
Maaße verdiene. Sie ſetzte hinzu wie ſie nicht
begreife, daß dieſe Mutter, bei einem ſo warmen
Herzen, ihre Erziehung der Fremden habe uͤber¬
tragen koͤnnen, und wie hier ein Grund vor¬
handen ſei, bedeutende Geheimniſſe zu ver¬
muthen, um deren Aufſchluß ſie vergebens
gefleht habe. Noch folgten begeiſterte Schilde¬
rungen der vorzuͤglichen Eigenſchaften dieſer
edlen Frau.

Guido, wie unendlich ihn der Empfang des
Schreibens erfreute, ward tief beſtuͤrzt, daß
darin von keiner Wiederkunft die Rede war.
Er fuͤrchtete, Mutterliebe werde die Tochter
nicht wieder ſcheiden laſſen, und Inis Herz —
von dem er doch taͤglich mehr fuͤr ſich hoffte —
von ihm wenden.

Nach einigen Tagen langte ein zweiter Brief

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[29/0041] einer niedlichen Turteltaube ſetzten ſich auf den Schlag nieder. Das zahme Thier ließ ſich willig ergreifen. An Guido, ſtand auf dem Briefchen. Hurtig ward es abgenommen und geoͤffnet. Ini ſchrieb, wie ſie von ihrer Mutter mit froher Zaͤrtlichkeit aufgenommen ſei, und dieſe Mutter, die ganz ſtill auf einem Landhauſe bei Neu-Karthago lebe, auch ihre Liebe im reichen Maaße verdiene. Sie ſetzte hinzu wie ſie nicht begreife, daß dieſe Mutter, bei einem ſo warmen Herzen, ihre Erziehung der Fremden habe uͤber¬ tragen koͤnnen, und wie hier ein Grund vor¬ handen ſei, bedeutende Geheimniſſe zu ver¬ muthen, um deren Aufſchluß ſie vergebens gefleht habe. Noch folgten begeiſterte Schilde¬ rungen der vorzuͤglichen Eigenſchaften dieſer edlen Frau. Guido, wie unendlich ihn der Empfang des Schreibens erfreute, ward tief beſtuͤrzt, daß darin von keiner Wiederkunft die Rede war. Er fuͤrchtete, Mutterliebe werde die Tochter nicht wieder ſcheiden laſſen, und Inis Herz — von dem er doch taͤglich mehr fuͤr ſich hoffte — von ihm wenden. Nach einigen Tagen langte ein zweiter Brief

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/41>, abgerufen am 28.03.2024.