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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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Guido ward verlegen, da ihm nichts über
seine Herkunft bekannt war.

Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang
spricht aus deiner Gestalt, die Kunst würde nichts
zuzugeben vermögen, wenn sie dich in Marmor
darstellte, nur am Haupte, an der Stirn, an
Mund und Wange, bleiben einige Umrisse, einige
Linien zu wünschen übrig.

Guido erröthete, gab aber doch mit unbe¬
fangenem Selbstgefühl die Antwort: Ich zähle
noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung ist
unvollendet. Wer weiß --

Dann bat er den Künstler, sein Profil so zu
zeichnen, wie es die Forderung der höheren
Wissenschaft verlange.

Es geschah. Neugierig gespannt blickte Guido
hin. Es dünkte ihm jedoch, der Mann stände in
seinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da.
So überfliegt denn der Liebe Genius weit die
Lehren der Kunsterfahrung, sagte er sich mit
geheimen Entzücken.

Während dieser Unterhaltung bemerkte er,
daß viele Schüler umher saßen, die ihn zeich¬
neten, und geschmeichelt, weilte er länger. Bei
dem allen pflanzte sich Eitelkeit nicht in seine

Guido ward verlegen, da ihm nichts uͤber
ſeine Herkunft bekannt war.

Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang
ſpricht aus deiner Geſtalt, die Kunſt wuͤrde nichts
zuzugeben vermoͤgen, wenn ſie dich in Marmor
darſtellte, nur am Haupte, an der Stirn, an
Mund und Wange, bleiben einige Umriſſe, einige
Linien zu wuͤnſchen uͤbrig.

Guido erroͤthete, gab aber doch mit unbe¬
fangenem Selbſtgefuͤhl die Antwort: Ich zaͤhle
noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung iſt
unvollendet. Wer weiß —

Dann bat er den Kuͤnſtler, ſein Profil ſo zu
zeichnen, wie es die Forderung der hoͤheren
Wiſſenſchaft verlange.

Es geſchah. Neugierig geſpannt blickte Guido
hin. Es duͤnkte ihm jedoch, der Mann ſtaͤnde in
ſeinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da.
So uͤberfliegt denn der Liebe Genius weit die
Lehren der Kunſterfahrung, ſagte er ſich mit
geheimen Entzuͤcken.

Waͤhrend dieſer Unterhaltung bemerkte er,
daß viele Schuͤler umher ſaßen, die ihn zeich¬
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[62/0074] Guido ward verlegen, da ihm nichts uͤber ſeine Herkunft bekannt war. Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang ſpricht aus deiner Geſtalt, die Kunſt wuͤrde nichts zuzugeben vermoͤgen, wenn ſie dich in Marmor darſtellte, nur am Haupte, an der Stirn, an Mund und Wange, bleiben einige Umriſſe, einige Linien zu wuͤnſchen uͤbrig. Guido erroͤthete, gab aber doch mit unbe¬ fangenem Selbſtgefuͤhl die Antwort: Ich zaͤhle noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung iſt unvollendet. Wer weiß — Dann bat er den Kuͤnſtler, ſein Profil ſo zu zeichnen, wie es die Forderung der hoͤheren Wiſſenſchaft verlange. Es geſchah. Neugierig geſpannt blickte Guido hin. Es duͤnkte ihm jedoch, der Mann ſtaͤnde in ſeinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da. So uͤberfliegt denn der Liebe Genius weit die Lehren der Kunſterfahrung, ſagte er ſich mit geheimen Entzuͤcken. Waͤhrend dieſer Unterhaltung bemerkte er, daß viele Schuͤler umher ſaßen, die ihn zeich¬ neten, und geſchmeichelt, weilte er laͤnger. Bei dem allen pflanzte ſich Eitelkeit nicht in ſeine

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/74>, abgerufen am 25.04.2024.