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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

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schaft erinnert, das reine menschliche Gepräge
stand da, doch von erhabner Liebe und festem
Götterwillen unaussprechlich heilig beseelt. Das:
"Stehe auf!" gebot sein hohes Auge mit ruhiger
Majestät, mild lächelte die männliche durch An¬
muth bewegende Wange. Der Uebergang vom
Tod ins Leben war an dem Mädchen mit be¬
zaubernder Kunst ausgeführt. Ein leichter Ro¬
senhauch goß sich über das noch starre Antlitz.
Der Augenaufschlag war frommer Lichtgruß,
kindlicher Engelsinn. Die kaum wieder regen
Hände strebten, sich zum Gebet zu erheben. Ihr
Vater, ihr Geliebter, sanken neben dem Sarge
aufs Knie. Die ganze siegende Haltung des
Gemäldes zwang jeden Zuschauer, der fühlenden
Sinn mitbrachte, die Anbetung in der nehmli¬
chen Lage zu theilen. So geboten hier die Ma¬
ler dem Herzen. Guido nahm von dieser Staf¬
felei einen noch weit erhabneren Begriff von Tu¬
gend mit sich, als er bisher in ihm gelegen
hatte.

Noch viele andere meisterhafte Werke wurden
ihm gezeigt, von denen er schwelgende Erinne¬
rungen bewahrte. Er schrieb durch ein Täub¬
chen an Ini von seinem Entzücken, setzte aber

ſchaft erinnert, das reine menſchliche Gepraͤge
ſtand da, doch von erhabner Liebe und feſtem
Goͤtterwillen unausſprechlich heilig beſeelt. Das:
„Stehe auf!“ gebot ſein hohes Auge mit ruhiger
Majeſtaͤt, mild laͤchelte die maͤnnliche durch An¬
muth bewegende Wange. Der Uebergang vom
Tod ins Leben war an dem Maͤdchen mit be¬
zaubernder Kunſt ausgefuͤhrt. Ein leichter Ro¬
ſenhauch goß ſich uͤber das noch ſtarre Antlitz.
Der Augenaufſchlag war frommer Lichtgruß,
kindlicher Engelſinn. Die kaum wieder regen
Haͤnde ſtrebten, ſich zum Gebet zu erheben. Ihr
Vater, ihr Geliebter, ſanken neben dem Sarge
aufs Knie. Die ganze ſiegende Haltung des
Gemaͤldes zwang jeden Zuſchauer, der fuͤhlenden
Sinn mitbrachte, die Anbetung in der nehmli¬
chen Lage zu theilen. So geboten hier die Ma¬
ler dem Herzen. Guido nahm von dieſer Staf¬
felei einen noch weit erhabneren Begriff von Tu¬
gend mit ſich, als er bisher in ihm gelegen
hatte.

Noch viele andere meiſterhafte Werke wurden
ihm gezeigt, von denen er ſchwelgende Erinne¬
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[68/0080] ſchaft erinnert, das reine menſchliche Gepraͤge ſtand da, doch von erhabner Liebe und feſtem Goͤtterwillen unausſprechlich heilig beſeelt. Das: „Stehe auf!“ gebot ſein hohes Auge mit ruhiger Majeſtaͤt, mild laͤchelte die maͤnnliche durch An¬ muth bewegende Wange. Der Uebergang vom Tod ins Leben war an dem Maͤdchen mit be¬ zaubernder Kunſt ausgefuͤhrt. Ein leichter Ro¬ ſenhauch goß ſich uͤber das noch ſtarre Antlitz. Der Augenaufſchlag war frommer Lichtgruß, kindlicher Engelſinn. Die kaum wieder regen Haͤnde ſtrebten, ſich zum Gebet zu erheben. Ihr Vater, ihr Geliebter, ſanken neben dem Sarge aufs Knie. Die ganze ſiegende Haltung des Gemaͤldes zwang jeden Zuſchauer, der fuͤhlenden Sinn mitbrachte, die Anbetung in der nehmli¬ chen Lage zu theilen. So geboten hier die Ma¬ ler dem Herzen. Guido nahm von dieſer Staf¬ felei einen noch weit erhabneren Begriff von Tu¬ gend mit ſich, als er bisher in ihm gelegen hatte. Noch viele andere meiſterhafte Werke wurden ihm gezeigt, von denen er ſchwelgende Erinne¬ rungen bewahrte. Er ſchrieb durch ein Taͤub¬ chen an Ini von ſeinem Entzuͤcken, ſetzte aber

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Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/80>, abgerufen am 25.04.2024.