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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Hierauf sezte sich dann der geliebte Sohn von Odüßeus.
Und nun tischte vor ihnen der Sauhirt Schüßeln gebratnes
Fleisches auf, die sie lezt von der Mahlzeit übrig gelaßen; 50
Eilte hinweg, und brachte gehäufte Körbe mit Kuchen,
Mischte dann süßen Wein im großen hölzernen Becher;
Hierauf sezt' er sich gegen den göttergleichen Odüßeus.
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Jezo war die Begierde des Tranks und der Speise gestillet; 55
Und Tälemachos sprach zu dem edlen Hüter der Schweine:

Vater, woher kam dieser Gast? Wie brachten die Schiffer
Ihn nach Ithaka her? Was rühmen sich jene vor Leute?
Denn unmöglich ist er doch hier zu Fuße gekommen!

Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine: 60
Dieses will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzählen.
Aus dem weiten Gefilde von Kräta stammet der Fremdling;
Viele Städte, sagt er, der Sterblichen sei er durchwandert,
Seit ihn der Himmlischen einer, die Welt zu durchflüchten, verurtheilt.
Jezo entrann er vom Schiffe thesprotischer Männer, und eilte 65
Her in mein Hirtengeheg'. Ich geb' ihn dir in die Hände:
Thue mit ihm, wie du willst; denn deiner Gnade vertraut er.

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Was du mir jezo gesagt, Eumaios, kümmert mich herzlich!
Denn wie kann ich den Fremdling in meinem Hause bewirten 70
Sieh, ich selber bin jung, und Stärke fehlet den Händen,
Abzuwehren den Mann, der ihn zu beleidigen wagte.
Aber der Mutter Herz wankt zwischen beiden Entschlüßen:
Ob sie noch weile bei mir, und meine Güter bewahre,
Scheuend das Lager des Ehegemahls, und die Stimme des Volkes; 75

Oduͤßee.
Hierauf ſezte ſich dann der geliebte Sohn von Oduͤßeus.
Und nun tiſchte vor ihnen der Sauhirt Schuͤßeln gebratnes
Fleiſches auf, die ſie lezt von der Mahlzeit uͤbrig gelaßen; 50
Eilte hinweg, und brachte gehaͤufte Koͤrbe mit Kuchen,
Miſchte dann ſuͤßen Wein im großen hoͤlzernen Becher;
Hierauf ſezt' er ſich gegen den goͤttergleichen Oduͤßeus.
Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle.
Jezo war die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillet; 55
Und Taͤlemachos ſprach zu dem edlen Huͤter der Schweine:

Vater, woher kam dieſer Gaſt? Wie brachten die Schiffer
Ihn nach Ithaka her? Was ruͤhmen ſich jene vor Leute?
Denn unmoͤglich iſt er doch hier zu Fuße gekommen!

Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine: 60
Dieſes will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzaͤhlen.
Aus dem weiten Gefilde von Kraͤta ſtammet der Fremdling;
Viele Staͤdte, ſagt er, der Sterblichen ſei er durchwandert,
Seit ihn der Himmliſchen einer, die Welt zu durchfluͤchten, verurtheilt.
Jezo entrann er vom Schiffe thesprotiſcher Maͤnner, und eilte 65
Her in mein Hirtengeheg'. Ich geb' ihn dir in die Haͤnde:
Thue mit ihm, wie du willſt; denn deiner Gnade vertraut er.

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Was du mir jezo geſagt, Eumaios, kuͤmmert mich herzlich!
Denn wie kann ich den Fremdling in meinem Hauſe bewirten 70
Sieh, ich ſelber bin jung, und Staͤrke fehlet den Haͤnden,
Abzuwehren den Mann, der ihn zu beleidigen wagte.
Aber der Mutter Herz wankt zwiſchen beiden Entſchluͤßen:
Ob ſie noch weile bei mir, und meine Guͤter bewahre,
Scheuend das Lager des Ehegemahls, und die Stimme des Volkes; 75

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[306/0312] Oduͤßee. Hierauf ſezte ſich dann der geliebte Sohn von Oduͤßeus. Und nun tiſchte vor ihnen der Sauhirt Schuͤßeln gebratnes Fleiſches auf, die ſie lezt von der Mahlzeit uͤbrig gelaßen; Eilte hinweg, und brachte gehaͤufte Koͤrbe mit Kuchen, Miſchte dann ſuͤßen Wein im großen hoͤlzernen Becher; Hierauf ſezt' er ſich gegen den goͤttergleichen Oduͤßeus. Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle. Jezo war die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillet; Und Taͤlemachos ſprach zu dem edlen Huͤter der Schweine: 50 55 Vater, woher kam dieſer Gaſt? Wie brachten die Schiffer Ihn nach Ithaka her? Was ruͤhmen ſich jene vor Leute? Denn unmoͤglich iſt er doch hier zu Fuße gekommen! Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine: Dieſes will ich dir, Sohn, und nach der Wahrheit erzaͤhlen. Aus dem weiten Gefilde von Kraͤta ſtammet der Fremdling; Viele Staͤdte, ſagt er, der Sterblichen ſei er durchwandert, Seit ihn der Himmliſchen einer, die Welt zu durchfluͤchten, verurtheilt. Jezo entrann er vom Schiffe thesprotiſcher Maͤnner, und eilte Her in mein Hirtengeheg'. Ich geb' ihn dir in die Haͤnde: Thue mit ihm, wie du willſt; denn deiner Gnade vertraut er. 60 65 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Was du mir jezo geſagt, Eumaios, kuͤmmert mich herzlich! Denn wie kann ich den Fremdling in meinem Hauſe bewirten Sieh, ich ſelber bin jung, und Staͤrke fehlet den Haͤnden, Abzuwehren den Mann, der ihn zu beleidigen wagte. Aber der Mutter Herz wankt zwiſchen beiden Entſchluͤßen: Ob ſie noch weile bei mir, und meine Guͤter bewahre, Scheuend das Lager des Ehegemahls, und die Stimme des Volkes; 70 75

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/312>, abgerufen am 24.04.2024.