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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Dritter Gesang.
Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkünde.
Lügen wird er nicht reden; denn er ist viel zu verständig!20

Und der verständige Jüngling Tälemachos sagte dagegen:
Mentor, wie geh ich doch, und wie begrüß' ich den König?
Unerfahren bin ich in wohlgeordneten Worten;
Und ich scheue mich auch, als Jüngling den Greis zu befragen!

Drauf antwortete Zeus blauäugichte Tochter Athänä: 25
Einiges wird dein Herz dir selber sagen, o Jüngling;
Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du bist nicht
Ohne waltende Götter geboren oder erzogen.

Als sie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athänä
Eilend voran; und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin. 30
Und sie ereichten die Size der pülischen Männer, wo Nestor
Saß mit seinen Söhnen, und rings die Freunde zur Mahlzeit
Eilten das Fleisch zu braten, und andres an Spieße zu stecken.
Als sie die Fremdlinge sahn, da kamen sie alle bei Haufen,
Reichten grüßend die Händ', und nöthigten beide zum Size. 35
Nestors Sohn vor allen, Peisistratos, nahte sich ihnen,
Nahm sie beid' an der Hand, und hieß sie sizen am Mahle,
Auf dickwollichten Fellen, im Kieselsande des Meeres,
Seinem Vater zur Seit' und Thrasümädäs dem Bruder;
Legte vor jeden ein Theil der Eingeweide, und schenkte 40
Wein in den goldenen Becher, und reicht' ihn mit herzlichem Handschlag
Pallas Athänen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes:

Bete jezt, o Fremdling, zum Meerbeherscher Poseidon,
Denn ihr findet uns hier an seinem heiligen Mahle.
Hast du, der Sitte gemäß, dein Opfer gebracht und gebetet, 45
Dann gieb diesem den Becher mit herzerfreuendem Weine

Dritter Geſang.
Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkuͤnde.
Luͤgen wird er nicht reden; denn er iſt viel zu verſtaͤndig!20

Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:
Mentor, wie geh ich doch, und wie begruͤß' ich den Koͤnig?
Unerfahren bin ich in wohlgeordneten Worten;
Und ich ſcheue mich auch, als Juͤngling den Greis zu befragen!

Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: 25
Einiges wird dein Herz dir ſelber ſagen, o Juͤngling;
Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du biſt nicht
Ohne waltende Goͤtter geboren oder erzogen.

Alſ ſie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athaͤnaͤ
Eilend voran; und er folgte den Schritten der wandelnden Goͤttin. 30
Und ſie ereichten die Size der puͤliſchen Maͤnner, wo Neſtor
Saß mit ſeinen Soͤhnen, und rings die Freunde zur Mahlzeit
Eilten das Fleiſch zu braten, und andres an Spieße zu ſtecken.
Als ſie die Fremdlinge ſahn, da kamen ſie alle bei Haufen,
Reichten gruͤßend die Haͤnd', und noͤthigten beide zum Size. 35
Neſtors Sohn vor allen, Peiſiſtratos, nahte ſich ihnen,
Nahm ſie beid' an der Hand, und hieß ſie ſizen am Mahle,
Auf dickwollichten Fellen, im Kieſelſande des Meeres,
Seinem Vater zur Seit' und Thraſuͤmaͤdaͤs dem Bruder;
Legte vor jeden ein Theil der Eingeweide, und ſchenkte 40
Wein in den goldenen Becher, und reicht' ihn mit herzlichem Handſchlag
Pallas Athaͤnen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes:

Bete jezt, o Fremdling, zum Meerbeherſcher Poſeidon,
Denn ihr findet uns hier an ſeinem heiligen Mahle.
Haſt du, der Sitte gemaͤß, dein Opfer gebracht und gebetet, 45
Dann gieb dieſem den Becher mit herzerfreuendem Weine

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[45/0051] Dritter Geſang. Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkuͤnde. Luͤgen wird er nicht reden; denn er iſt viel zu verſtaͤndig! 20 Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Mentor, wie geh ich doch, und wie begruͤß' ich den Koͤnig? Unerfahren bin ich in wohlgeordneten Worten; Und ich ſcheue mich auch, als Juͤngling den Greis zu befragen! Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Einiges wird dein Herz dir ſelber ſagen, o Juͤngling; Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du biſt nicht Ohne waltende Goͤtter geboren oder erzogen. 25 Alſ ſie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athaͤnaͤ Eilend voran; und er folgte den Schritten der wandelnden Goͤttin. Und ſie ereichten die Size der puͤliſchen Maͤnner, wo Neſtor Saß mit ſeinen Soͤhnen, und rings die Freunde zur Mahlzeit Eilten das Fleiſch zu braten, und andres an Spieße zu ſtecken. Als ſie die Fremdlinge ſahn, da kamen ſie alle bei Haufen, Reichten gruͤßend die Haͤnd', und noͤthigten beide zum Size. Neſtors Sohn vor allen, Peiſiſtratos, nahte ſich ihnen, Nahm ſie beid' an der Hand, und hieß ſie ſizen am Mahle, Auf dickwollichten Fellen, im Kieſelſande des Meeres, Seinem Vater zur Seit' und Thraſuͤmaͤdaͤs dem Bruder; Legte vor jeden ein Theil der Eingeweide, und ſchenkte Wein in den goldenen Becher, und reicht' ihn mit herzlichem Handſchlag Pallas Athaͤnen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes: 30 35 40 Bete jezt, o Fremdling, zum Meerbeherſcher Poſeidon, Denn ihr findet uns hier an ſeinem heiligen Mahle. Haſt du, der Sitte gemaͤß, dein Opfer gebracht und gebetet, Dann gieb dieſem den Becher mit herzerfreuendem Weine 45

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/51>, abgerufen am 25.04.2024.