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Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776.

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Fr. Humbrecht. Das hat er nun eben nicht ge-
scheut gemacht, Herr Vetter! ich förcht er hat es
jetzt wieder auf lange Zeit bey meinem Mann ver-
dorben.
Magister. Solls wohl sein Ernst seyn?
Fr. Humbrecht. Freilich ist ers? er ist noch
ganz von der alten Welt; er kann sichs nicht vor-
stellen, wie ich mein Kreuz mit ihm hab! -- Vor
zwey Jahren zu Anfang des Winters hätten wir uns
bey einem Haar von Tisch und Bett, Gott ver-
zeih mirs! geschieden, weil ich mein martern Pa-
ladin, daß er von seiner Grosmutter geerbt hatte,
gegen ein neumodischers vertauschte; und noch erst
vor acht Tagen sollte mein Evchen ein Kind heben,
da bestand er mit Leib und Seel darauf, sie müßte
die goldne Haube aufsetzen, und doch sieht man sie
keinem Menschen mehr auf haben als höchstens Gärt-
ners und Leinwebers Töchtern. -- -- Nein! das
hätt er pfeifen sollen, Herr Vetter Magister! aber
nicht sagen.
Magister. Sobald ich mir keinen Vorwurf ma-
che etwas gethan zu haben, so kann ichs auch sa-
gen. Freilich mit Unterschied! meinen Vorgesetz-
ten, zum Beyspiel, die um den Misbrauch zu ver-
hindern, manche Dinge ganz verbieten müssen, das
sie nicht thun würden, wenn jener nicht zu befürch-
ten wäre, so etwas auf die Nase zu hängen, ver-
bietet die Klugheit; sonst aber mach ich so wenig
ein Geheimniß daraus, daß ichs vielmehr für
Pflicht halte alles zu sehn, alles zu prüfen um selbst
davon


Fr. Humbrecht. Das hat er nun eben nicht ge-
ſcheut gemacht, Herr Vetter! ich foͤrcht er hat es
jetzt wieder auf lange Zeit bey meinem Mann ver-
dorben.
Magiſter. Solls wohl ſein Ernſt ſeyn?
Fr. Humbrecht. Freilich iſt ers? er iſt noch
ganz von der alten Welt; er kann ſichs nicht vor-
ſtellen, wie ich mein Kreuz mit ihm hab! — Vor
zwey Jahren zu Anfang des Winters haͤtten wir uns
bey einem Haar von Tiſch und Bett, Gott ver-
zeih mirs! geſchieden, weil ich mein martern Pa-
ladin, daß er von ſeiner Grosmutter geerbt hatte,
gegen ein neumodiſchers vertauſchte; und noch erſt
vor acht Tagen ſollte mein Evchen ein Kind heben,
da beſtand er mit Leib und Seel darauf, ſie muͤßte
die goldne Haube aufſetzen, und doch ſieht man ſie
keinem Menſchen mehr auf haben als hoͤchſtens Gaͤrt-
ners und Leinwebers Toͤchtern. — — Nein! das
haͤtt er pfeifen ſollen, Herr Vetter Magiſter! aber
nicht ſagen.
Magiſter. Sobald ich mir keinen Vorwurf ma-
che etwas gethan zu haben, ſo kann ichs auch ſa-
gen. Freilich mit Unterſchied! meinen Vorgeſetz-
ten, zum Beyſpiel, die um den Misbrauch zu ver-
hindern, manche Dinge ganz verbieten muͤſſen, das
ſie nicht thun wuͤrden, wenn jener nicht zu befuͤrch-
ten waͤre, ſo etwas auf die Naſe zu haͤngen, ver-
bietet die Klugheit; ſonſt aber mach ich ſo wenig
ein Geheimniß daraus, daß ichs vielmehr fuͤr
Pflicht halte alles zu ſehn, alles zu pruͤfen um ſelbſt
davon
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[30/0032] Fr. Humbrecht. Das hat er nun eben nicht ge- ſcheut gemacht, Herr Vetter! ich foͤrcht er hat es jetzt wieder auf lange Zeit bey meinem Mann ver- dorben. Magiſter. Solls wohl ſein Ernſt ſeyn? Fr. Humbrecht. Freilich iſt ers? er iſt noch ganz von der alten Welt; er kann ſichs nicht vor- ſtellen, wie ich mein Kreuz mit ihm hab! — Vor zwey Jahren zu Anfang des Winters haͤtten wir uns bey einem Haar von Tiſch und Bett, Gott ver- zeih mirs! geſchieden, weil ich mein martern Pa- ladin, daß er von ſeiner Grosmutter geerbt hatte, gegen ein neumodiſchers vertauſchte; und noch erſt vor acht Tagen ſollte mein Evchen ein Kind heben, da beſtand er mit Leib und Seel darauf, ſie muͤßte die goldne Haube aufſetzen, und doch ſieht man ſie keinem Menſchen mehr auf haben als hoͤchſtens Gaͤrt- ners und Leinwebers Toͤchtern. — — Nein! das haͤtt er pfeifen ſollen, Herr Vetter Magiſter! aber nicht ſagen. Magiſter. Sobald ich mir keinen Vorwurf ma- che etwas gethan zu haben, ſo kann ichs auch ſa- gen. Freilich mit Unterſchied! meinen Vorgeſetz- ten, zum Beyſpiel, die um den Misbrauch zu ver- hindern, manche Dinge ganz verbieten muͤſſen, das ſie nicht thun wuͤrden, wenn jener nicht zu befuͤrch- ten waͤre, ſo etwas auf die Naſe zu haͤngen, ver- bietet die Klugheit; ſonſt aber mach ich ſo wenig ein Geheimniß daraus, daß ichs vielmehr fuͤr Pflicht halte alles zu ſehn, alles zu pruͤfen um ſelbſt davon

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Zitationshilfe: Wagner, Heinrich Leopold: Die Kindermörderinn. Leipzig, 1776, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_kindermoerderin_1776/32>, abgerufen am 28.03.2024.