Die Sonne stieg blutroth am Osten empor und erhellte die Welt, die so fürchterlich mir war in die- ser Nacht. Die schwarzen Berge glühen in Morgen- roth, aber durch meine Seele ist noch kein Licht gebrochen.
Mein Busen brennt, wie die glutrothe Feuerlilie.
Wo sollt' ich Trost finden? O dieser Schmerz, es ist eine Wollust, dieser Schmerz! Eure stoische Apathie ist der Gräuel höchster. Bruder! wenige war- en glücklich wie ich, warum sollt' ich nicht auch un- glücklicher seyn als and're. Aber warum mußt' ich glücklich seyn, eh' ich unglücklich wurde?
Was hilft mir nun all' mein Wissen? Meinst du, es lind're diese kämpfende Brust?
Die Sonne lächelt wieder freundlich drauffen, aber ich mag nicht in die Natur. Glaubst du, ich wolle allein durch Wies' und Aue streifen, wie eine
Phaethon an Theodor.
Die Sonne ſtieg blutroth am Oſten empor und erhellte die Welt, die ſo fuͤrchterlich mir war in die- ſer Nacht. Die ſchwarzen Berge gluͤhen in Morgen- roth, aber durch meine Seele iſt noch kein Licht gebrochen.
Mein Buſen brennt, wie die glutrothe Feuerlilie.
Wo ſollt’ ich Troſt finden? O dieſer Schmerz, es iſt eine Wolluſt, dieſer Schmerz! Eure ſtoiſche Apathie iſt der Graͤuel hoͤchſter. Bruder! wenige war- en gluͤcklich wie ich, warum ſollt’ ich nicht auch un- gluͤcklicher ſeyn als and’re. Aber warum mußt’ ich gluͤcklich ſeyn, eh’ ich ungluͤcklich wurde?
Was hilft mir nun all’ mein Wiſſen? Meinſt du, es lind’re dieſe kaͤmpfende Bruſt?
Die Sonne laͤchelt wieder freundlich drauffen, aber ich mag nicht in die Natur. Glaubſt du, ich wolle allein durch Wies’ und Aue ſtreifen, wie eine
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Phaethon an Theodor.
Die Sonne ſtieg blutroth am Oſten empor und
erhellte die Welt, die ſo fuͤrchterlich mir war in die-
ſer Nacht. Die ſchwarzen Berge gluͤhen in Morgen-
roth, aber durch meine Seele iſt noch kein Licht
gebrochen.
Mein Buſen brennt, wie die glutrothe Feuerlilie.
Wo ſollt’ ich Troſt finden? O dieſer Schmerz,
es iſt eine Wolluſt, dieſer Schmerz! Eure ſtoiſche
Apathie iſt der Graͤuel hoͤchſter. Bruder! wenige war-
en gluͤcklich wie ich, warum ſollt’ ich nicht auch un-
gluͤcklicher ſeyn als and’re. Aber warum mußt’ ich
gluͤcklich ſeyn, eh’ ich ungluͤcklich wurde?
Was hilft mir nun all’ mein Wiſſen? Meinſt
du, es lind’re dieſe kaͤmpfende Bruſt?
Die Sonne laͤchelt wieder freundlich drauffen,
aber ich mag nicht in die Natur. Glaubſt du, ich
wolle allein durch Wies’ und Aue ſtreifen, wie eine
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/11>, abgerufen am 29.05.2023.
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