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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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ze, bald welkende Hülle schloß sich um unser un-
vergängliches Wesen.

Atalanta! wir liebten einst das Schöne, das
Gute, ganz, wie es ist, göttlich und übermensch-
lich. Wie ein belebender' Saft quoll es stärkend
und kräftigend durch unser Jnnerstes und tränkte
die wachsenden Flügelkeime, -- Aber wir liebten
das Böse und fielen!

Ach! das eine Roß, das meine Seele lenkt an
ihrem Wagen, will wohl hinan, will über den
Kreis des Himmels, will zur Anschauung der Gott-
heit, aber das andere hält mich schnaubend an der
Erde. Jch ringe, kämpfe, aber die Schwungkraft
meiner Flügel ist gelähmt.

Einst schwammen, webten und wirkten wir in
Gott und sahen die Schönheit, wie trunk'ne Ein-
geweihte, im Wogen und Wallen ihres lauteren
Lichtes. Nun wandeln wir, in einen Körper ge-
hüllt, wir göttlichen Wesen, getrennt von unserer
Mutter, der Gottheit, ewig uns sehnend nach ihr,
auf einem Planeten, den wir einst kaum kannten
als bleich-dämmerndes Lichtbild. So klein war er
uns im Anschau'n der Gottheit.

ze, bald welkende Huͤlle ſchloß ſich um unſer un-
vergaͤngliches Weſen.

Atalanta! wir liebten einſt das Schoͤne, das
Gute, ganz, wie es iſt, goͤttlich und uͤbermenſch-
lich. Wie ein belebender’ Saft quoll es ſtaͤrkend
und kraͤftigend durch unſer Jnnerſtes und traͤnkte
die wachſenden Fluͤgelkeime, — Aber wir liebten
das Boͤſe und fielen!

Ach! das eine Roß, das meine Seele lenkt an
ihrem Wagen, will wohl hinan, will uͤber den
Kreis des Himmels, will zur Anſchauung der Gott-
heit, aber das andere haͤlt mich ſchnaubend an der
Erde. Jch ringe, kaͤmpfe, aber die Schwungkraft
meiner Fluͤgel iſt gelaͤhmt.

Einſt ſchwammen, webten und wirkten wir in
Gott und ſahen die Schoͤnheit, wie trunk’ne Ein-
geweihte, im Wogen und Wallen ihres lauteren
Lichtes. Nun wandeln wir, in einen Koͤrper ge-
huͤllt, wir goͤttlichen Weſen, getrennt von unſerer
Mutter, der Gottheit, ewig uns ſehnend nach ihr,
auf einem Planeten, den wir einſt kaum kannten
als bleich-daͤmmerndes Lichtbild. So klein war er
uns im Anſchau’n der Gottheit.

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[117/0117] ze, bald welkende Huͤlle ſchloß ſich um unſer un- vergaͤngliches Weſen. Atalanta! wir liebten einſt das Schoͤne, das Gute, ganz, wie es iſt, goͤttlich und uͤbermenſch- lich. Wie ein belebender’ Saft quoll es ſtaͤrkend und kraͤftigend durch unſer Jnnerſtes und traͤnkte die wachſenden Fluͤgelkeime, — Aber wir liebten das Boͤſe und fielen! Ach! das eine Roß, das meine Seele lenkt an ihrem Wagen, will wohl hinan, will uͤber den Kreis des Himmels, will zur Anſchauung der Gott- heit, aber das andere haͤlt mich ſchnaubend an der Erde. Jch ringe, kaͤmpfe, aber die Schwungkraft meiner Fluͤgel iſt gelaͤhmt. Einſt ſchwammen, webten und wirkten wir in Gott und ſahen die Schoͤnheit, wie trunk’ne Ein- geweihte, im Wogen und Wallen ihres lauteren Lichtes. Nun wandeln wir, in einen Koͤrper ge- huͤllt, wir goͤttlichen Weſen, getrennt von unſerer Mutter, der Gottheit, ewig uns ſehnend nach ihr, auf einem Planeten, den wir einſt kaum kannten als bleich-daͤmmerndes Lichtbild. So klein war er uns im Anſchau’n der Gottheit.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/117>, abgerufen am 25.04.2024.