Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

mein Aug' in den Aether, verschwimm' ich nun
ganz in sein ewiges Blau, wie eine Thräne!

Meine Hülle wird sinken, aber mein unsterb-
licher Geist steigt aus dem welkenden Körper, wie
ewiger Duft aus dem Kelche der sterblichen Blume.

Jch werde sterben!

Zittre nicht, bebe nicht! Nur weinen darfst du,
weinen mit einem Auge voll Glauben und Him-
mel.

O Phaethon! Gott stärke deinen Muth. Die
du liebtest, wirst du verlieren!

Ach freylich bin ich noch jung. Jch hätte noch
lange, lange leben können, in deinen Armen! Aber
das wollte mein liebender Vater nicht.

Jch stand noch da, wie die aufgehende Rose.
Das Morgenroth sandte seine Lichtwogen auf mich,
und spielte mit seinem unsterblichen Strahl um
meine kindlichen Wangen. Alles glühte, webte,
regte sich am Busen der warmen Sonne! Alles
war Eins! Ein unendlicher Schauer der Wonne!

mein Aug’ in den Aether, verſchwimm’ ich nun
ganz in ſein ewiges Blau, wie eine Thraͤne!

Meine Huͤlle wird ſinken, aber mein unſterb-
licher Geiſt ſteigt aus dem welkenden Koͤrper, wie
ewiger Duft aus dem Kelche der ſterblichen Blume.

Jch werde ſterben!

Zittre nicht, bebe nicht! Nur weinen darfſt du,
weinen mit einem Auge voll Glauben und Him-
mel.

O Phaethon! Gott ſtaͤrke deinen Muth. Die
du liebteſt, wirſt du verlieren!

Ach freylich bin ich noch jung. Jch haͤtte noch
lange, lange leben koͤnnen, in deinen Armen! Aber
das wollte mein liebender Vater nicht.

Jch ſtand noch da, wie die aufgehende Roſe.
Das Morgenroth ſandte ſeine Lichtwogen auf mich,
und ſpielte mit ſeinem unſterblichen Strahl um
meine kindlichen Wangen. Alles gluͤhte, webte,
regte ſich am Buſen der warmen Sonne! Alles
war Eins! Ein unendlicher Schauer der Wonne!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0135" n="135"/>
mein Aug&#x2019; in den Aether, ver&#x017F;chwimm&#x2019; ich nun<lb/>
ganz in &#x017F;ein ewiges Blau, wie eine Thra&#x0364;ne!</p><lb/>
        <p>Meine Hu&#x0364;lle wird &#x017F;inken, aber mein un&#x017F;terb-<lb/>
licher Gei&#x017F;t &#x017F;teigt aus dem welkenden Ko&#x0364;rper, wie<lb/>
ewiger Duft aus dem Kelche der &#x017F;terblichen Blume.</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#g">Jch werde &#x017F;terben!</hi> </p><lb/>
        <p>Zittre nicht, bebe nicht! Nur weinen darf&#x017F;t du,<lb/>
weinen mit einem Auge voll Glauben und Him-<lb/>
mel.</p><lb/>
        <p>O Phaethon! Gott &#x017F;ta&#x0364;rke deinen Muth. Die<lb/>
du liebte&#x017F;t, wir&#x017F;t du verlieren!</p><lb/>
        <p>Ach freylich bin ich noch jung. Jch ha&#x0364;tte noch<lb/>
lange, lange leben ko&#x0364;nnen, in deinen Armen! Aber<lb/>
das wollte mein liebender Vater nicht.</p><lb/>
        <p>Jch &#x017F;tand noch da, wie die aufgehende Ro&#x017F;e.<lb/>
Das Morgenroth &#x017F;andte &#x017F;eine Lichtwogen auf mich,<lb/>
und &#x017F;pielte mit &#x017F;einem un&#x017F;terblichen Strahl um<lb/>
meine kindlichen Wangen. Alles glu&#x0364;hte, webte,<lb/>
regte &#x017F;ich am Bu&#x017F;en der warmen Sonne! Alles<lb/>
war Eins! Ein unendlicher Schauer der Wonne!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0135] mein Aug’ in den Aether, verſchwimm’ ich nun ganz in ſein ewiges Blau, wie eine Thraͤne! Meine Huͤlle wird ſinken, aber mein unſterb- licher Geiſt ſteigt aus dem welkenden Koͤrper, wie ewiger Duft aus dem Kelche der ſterblichen Blume. Jch werde ſterben! Zittre nicht, bebe nicht! Nur weinen darfſt du, weinen mit einem Auge voll Glauben und Him- mel. O Phaethon! Gott ſtaͤrke deinen Muth. Die du liebteſt, wirſt du verlieren! Ach freylich bin ich noch jung. Jch haͤtte noch lange, lange leben koͤnnen, in deinen Armen! Aber das wollte mein liebender Vater nicht. Jch ſtand noch da, wie die aufgehende Roſe. Das Morgenroth ſandte ſeine Lichtwogen auf mich, und ſpielte mit ſeinem unſterblichen Strahl um meine kindlichen Wangen. Alles gluͤhte, webte, regte ſich am Buſen der warmen Sonne! Alles war Eins! Ein unendlicher Schauer der Wonne!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/135
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/135>, abgerufen am 25.04.2024.