Mein Schicksal will ich euch enthüllen, Kinder, sagte Caton freundlich-ernst und setzte sich oben an das Haupt des Sarkophages: zu beyden Seiten saß- en wir auf schwarzen blumenüberhang'nen Stüh- len. Hört, sprach er endlich, aber unterbrecht mich nie.
Darauf begann er:
Jch bin ein Nachkomme der alten Spartaner, und ward geboren in einem der Thäler des Tayge- tos. Mein Vater war ein wilder Maniate. Die Freyheit liebt' er, wie die andern rauhen Männer in den Schluchten des Gebirges, und vertheidigte sie kühn im Kampfe mit dem Passa.
Von Jugend auf ward ich gewöhnt, die Waf- fen zu führen. Schon als ein Knabe kniet' ich mit den großen Hunden an den lohen Feuern, wann sie brannten durch die schwarze Nacht, den Muselmann von unserm Dorf zu schrecken. Meine Mutter war mir früh gestorben, und bald fiel auch mein Vater im Gefecht. So war ich früh allein auf der Welt.
Jch kam nach Misitra. Hier ward mein Geist genährt mit den Riesenbildern des alten Sparta.
Mein Schickſal will ich euch enthuͤllen, Kinder, ſagte Caton freundlich-ernſt und ſetzte ſich oben an das Haupt des Sarkophages: zu beyden Seiten ſaß- en wir auf ſchwarzen blumenuͤberhang’nen Stuͤh- len. Hoͤrt, ſprach er endlich, aber unterbrecht mich nie.
Darauf begann er:
Jch bin ein Nachkomme der alten Spartaner, und ward geboren in einem der Thaͤler des Tayge- tos. Mein Vater war ein wilder Maniate. Die Freyheit liebt’ er, wie die andern rauhen Maͤnner in den Schluchten des Gebirges, und vertheidigte ſie kuͤhn im Kampfe mit dem Paſſa.
Von Jugend auf ward ich gewoͤhnt, die Waf- fen zu fuͤhren. Schon als ein Knabe kniet’ ich mit den großen Hunden an den lohen Feuern, wann ſie brannten durch die ſchwarze Nacht, den Muſelmann von unſerm Dorf zu ſchrecken. Meine Mutter war mir fruͤh geſtorben, und bald fiel auch mein Vater im Gefecht. So war ich fruͤh allein auf der Welt.
Jch kam nach Miſitra. Hier ward mein Geiſt genaͤhrt mit den Rieſenbildern des alten Sparta.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0022"n="22"/><p>Mein Schickſal will ich euch enthuͤllen, Kinder,<lb/>ſagte Caton freundlich-ernſt und ſetzte ſich oben an<lb/>
das Haupt des Sarkophages: zu beyden Seiten ſaß-<lb/>
en wir auf ſchwarzen blumenuͤberhang’nen Stuͤh-<lb/>
len. Hoͤrt, ſprach er endlich, aber unterbrecht mich<lb/>
nie.</p><lb/><p>Darauf begann er:</p><lb/><p>Jch bin ein Nachkomme der alten Spartaner,<lb/>
und ward geboren in einem der Thaͤler des Tayge-<lb/>
tos. Mein Vater war ein wilder Maniate. Die<lb/>
Freyheit liebt’ er, wie die andern rauhen Maͤnner<lb/>
in den Schluchten des Gebirges, und vertheidigte<lb/>ſie kuͤhn im Kampfe mit dem Paſſa.</p><lb/><p>Von Jugend auf ward ich gewoͤhnt, die Waf-<lb/>
fen zu fuͤhren. Schon als ein Knabe kniet’ ich<lb/>
mit den großen Hunden an den lohen Feuern,<lb/>
wann ſie brannten durch die ſchwarze Nacht, den<lb/>
Muſelmann von unſerm Dorf zu ſchrecken. Meine<lb/>
Mutter war mir fruͤh geſtorben, und bald fiel auch<lb/>
mein Vater im Gefecht. So war ich fruͤh allein<lb/>
auf der Welt.</p><lb/><p>Jch kam nach Miſitra. Hier ward mein Geiſt<lb/>
genaͤhrt mit den Rieſenbildern des alten Sparta.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[22/0022]
Mein Schickſal will ich euch enthuͤllen, Kinder,
ſagte Caton freundlich-ernſt und ſetzte ſich oben an
das Haupt des Sarkophages: zu beyden Seiten ſaß-
en wir auf ſchwarzen blumenuͤberhang’nen Stuͤh-
len. Hoͤrt, ſprach er endlich, aber unterbrecht mich
nie.
Darauf begann er:
Jch bin ein Nachkomme der alten Spartaner,
und ward geboren in einem der Thaͤler des Tayge-
tos. Mein Vater war ein wilder Maniate. Die
Freyheit liebt’ er, wie die andern rauhen Maͤnner
in den Schluchten des Gebirges, und vertheidigte
ſie kuͤhn im Kampfe mit dem Paſſa.
Von Jugend auf ward ich gewoͤhnt, die Waf-
fen zu fuͤhren. Schon als ein Knabe kniet’ ich
mit den großen Hunden an den lohen Feuern,
wann ſie brannten durch die ſchwarze Nacht, den
Muſelmann von unſerm Dorf zu ſchrecken. Meine
Mutter war mir fruͤh geſtorben, und bald fiel auch
mein Vater im Gefecht. So war ich fruͤh allein
auf der Welt.
Jch kam nach Miſitra. Hier ward mein Geiſt
genaͤhrt mit den Rieſenbildern des alten Sparta.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/22>, abgerufen am 29.05.2023.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2023. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.