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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Die Vorwelt stieg, wie ein Schatten, aus den
Gräbern: ich ward mit ihr befreundet, und fühlte
meinen Busen auschwellen von großen erhabenen
Entwürfen.

Mein Mausoleum ist ein Bild des Hauses,
worin ich wohnte. Es hob sich dunkel aus Plata-
nen und Orangen, wie ein alter, schauriger Geist
aus der jungen blumenvollen Erde. Doch mir war
es immer zu eng' im Hause; hinaus trieb's mich
mit ungestümmer Kraft, wo ich die große Natur in
ihrer Fülle sah und die mütterliche Erde, und wei-
nend dankt' ich oft meinem Gott, daß er mich wer-
den ließ in Griechenland.

Die Spiele meiner Kindheit waren die Spiele
der alten griechischen Jugend. Um die Zeit, als
der erste Flaum noch um mein Kinn blühte, war
ich immer Sieger im Wettlauf und beneidete die
Aeltern, die schon den Diskus werfen oder den Geg-
ner im Ringen zu Boden werfen konnten. Auf
meinen wilden Sinn wirkte bey den Tänzen wenig
die Hymne, wann die Leyer erklang am Fest und
die baskische Trommel, aber da glühte meine Brust,
wann im Pyrrichischen Tanz die Männer, wie
starke Löwen, mit den Waffen sich entgegenschritten.

Die Vorwelt ſtieg, wie ein Schatten, aus den
Graͤbern: ich ward mit ihr befreundet, und fuͤhlte
meinen Buſen auſchwellen von großen erhabenen
Entwuͤrfen.

Mein Mauſoleum iſt ein Bild des Hauſes,
worin ich wohnte. Es hob ſich dunkel aus Plata-
nen und Orangen, wie ein alter, ſchauriger Geiſt
aus der jungen blumenvollen Erde. Doch mir war
es immer zu eng’ im Hauſe; hinaus trieb’s mich
mit ungeſtuͤmmer Kraft, wo ich die große Natur in
ihrer Fuͤlle ſah und die muͤtterliche Erde, und wei-
nend dankt’ ich oft meinem Gott, daß er mich wer-
den ließ in Griechenland.

Die Spiele meiner Kindheit waren die Spiele
der alten griechiſchen Jugend. Um die Zeit, als
der erſte Flaum noch um mein Kinn bluͤhte, war
ich immer Sieger im Wettlauf und beneidete die
Aeltern, die ſchon den Diſkus werfen oder den Geg-
ner im Ringen zu Boden werfen konnten. Auf
meinen wilden Sinn wirkte bey den Taͤnzen wenig
die Hymne, wann die Leyer erklang am Feſt und
die baskiſche Trommel, aber da gluͤhte meine Bruſt,
wann im Pyrrichiſchen Tanz die Maͤnner, wie
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[23/0023] Die Vorwelt ſtieg, wie ein Schatten, aus den Graͤbern: ich ward mit ihr befreundet, und fuͤhlte meinen Buſen auſchwellen von großen erhabenen Entwuͤrfen. Mein Mauſoleum iſt ein Bild des Hauſes, worin ich wohnte. Es hob ſich dunkel aus Plata- nen und Orangen, wie ein alter, ſchauriger Geiſt aus der jungen blumenvollen Erde. Doch mir war es immer zu eng’ im Hauſe; hinaus trieb’s mich mit ungeſtuͤmmer Kraft, wo ich die große Natur in ihrer Fuͤlle ſah und die muͤtterliche Erde, und wei- nend dankt’ ich oft meinem Gott, daß er mich wer- den ließ in Griechenland. Die Spiele meiner Kindheit waren die Spiele der alten griechiſchen Jugend. Um die Zeit, als der erſte Flaum noch um mein Kinn bluͤhte, war ich immer Sieger im Wettlauf und beneidete die Aeltern, die ſchon den Diſkus werfen oder den Geg- ner im Ringen zu Boden werfen konnten. Auf meinen wilden Sinn wirkte bey den Taͤnzen wenig die Hymne, wann die Leyer erklang am Feſt und die baskiſche Trommel, aber da gluͤhte meine Bruſt, wann im Pyrrichiſchen Tanz die Maͤnner, wie ſtarke Loͤwen, mit den Waffen ſich entgegenſchritten.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/23>, abgerufen am 28.03.2024.