Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Meinen Weg wandt' ich auf Arkadien zu.
Bald umfiengen mich die Thäler des schönen Hir-
tenlandes. Jch streifte Tagelang durch die rauhen
waldbewachsenen Gebirge, wo ungeheure Felsen-
klüfte wechseln mit wild emporstarrendem Geklippe,
und um die kahlen Riesenstirnen nur einsam Moos
und Farrenkraut sich ranket. Dann stieg ich wieder
hinab in die grünen, lachenden Thale.

Da setzt' ich mich dann auf ein altes Säulen-
stück am Abend, wann zarte volle Wölkchen im glü-
hendreinen Gold des Himmels sich badeten, und
sah, wie die Bienen um duftende Blumen, um
Lorbeer und Myrthe schwebten, und die raschen,
muthigen Rosse an den lachenden Ufern des klaren
Flusses sprangen: dann flog mein trunkener Blick
hinweg über die fetten Gründe mit ihren Platanen
und Maulbeerbäumen, und irrte um dunkelgrüne
Hügel, wo die weißen Schaafe hüpften und ihren
Quendel und Thymian suchten. Und weiter hinaus
schweifte mein Auge, wo auf den breiten Höhen
Tannen, Fichten und Therebinthen ihre unermeßli-
chen Wälder bilden, und über hundertjähr'ge Eichen-
stämme die Felsen ihre grauen Häupter thürmen,
und blieb endlich stehen auf dem hohen Pholoe,
der über den grünen Thälern mit seinem ehrwür-

Meinen Weg wandt’ ich auf Arkadien zu.
Bald umfiengen mich die Thaͤler des ſchoͤnen Hir-
tenlandes. Jch ſtreifte Tagelang durch die rauhen
waldbewachſenen Gebirge, wo ungeheure Felſen-
kluͤfte wechſeln mit wild emporſtarrendem Geklippe,
und um die kahlen Rieſenſtirnen nur einſam Moos
und Farrenkraut ſich ranket. Dann ſtieg ich wieder
hinab in die gruͤnen, lachenden Thale.

Da ſetzt’ ich mich dann auf ein altes Saͤulen-
ſtuͤck am Abend, wann zarte volle Woͤlkchen im gluͤ-
hendreinen Gold des Himmels ſich badeten, und
ſah, wie die Bienen um duftende Blumen, um
Lorbeer und Myrthe ſchwebten, und die raſchen,
muthigen Roſſe an den lachenden Ufern des klaren
Fluſſes ſprangen: dann flog mein trunkener Blick
hinweg uͤber die fetten Gruͤnde mit ihren Platanen
und Maulbeerbaͤumen, und irrte um dunkelgruͤne
Huͤgel, wo die weißen Schaafe huͤpften und ihren
Quendel und Thymian ſuchten. Und weiter hinaus
ſchweifte mein Auge, wo auf den breiten Hoͤhen
Tannen, Fichten und Therebinthen ihre unermeßli-
chen Waͤlder bilden, und uͤber hundertjaͤhr’ge Eichen-
ſtaͤmme die Felſen ihre grauen Haͤupter thuͤrmen,
und blieb endlich ſtehen auf dem hohen Pholoë,
der uͤber den gruͤnen Thaͤlern mit ſeinem ehrwuͤr-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0025" n="25"/>
        <p>Meinen Weg wandt&#x2019; ich auf Arkadien zu.<lb/>
Bald umfiengen mich die Tha&#x0364;ler des &#x017F;cho&#x0364;nen Hir-<lb/>
tenlandes. Jch &#x017F;treifte Tagelang durch die rauhen<lb/>
waldbewach&#x017F;enen Gebirge, wo ungeheure Fel&#x017F;en-<lb/>
klu&#x0364;fte wech&#x017F;eln mit wild empor&#x017F;tarrendem Geklippe,<lb/>
und um die kahlen Rie&#x017F;en&#x017F;tirnen nur ein&#x017F;am Moos<lb/>
und Farrenkraut &#x017F;ich ranket. Dann &#x017F;tieg ich wieder<lb/>
hinab in die gru&#x0364;nen, lachenden Thale.</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;etzt&#x2019; ich mich dann auf ein altes Sa&#x0364;ulen-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;ck am Abend, wann zarte volle Wo&#x0364;lkchen im glu&#x0364;-<lb/>
hendreinen Gold des Himmels &#x017F;ich badeten, und<lb/>
&#x017F;ah, wie die Bienen um duftende Blumen, um<lb/>
Lorbeer und Myrthe &#x017F;chwebten, und die ra&#x017F;chen,<lb/>
muthigen Ro&#x017F;&#x017F;e an den lachenden Ufern des klaren<lb/>
Flu&#x017F;&#x017F;es &#x017F;prangen: dann flog mein trunkener Blick<lb/>
hinweg u&#x0364;ber die fetten Gru&#x0364;nde mit ihren Platanen<lb/>
und Maulbeerba&#x0364;umen, und irrte um dunkelgru&#x0364;ne<lb/>
Hu&#x0364;gel, wo die weißen Schaafe hu&#x0364;pften und ihren<lb/>
Quendel und Thymian &#x017F;uchten. Und weiter hinaus<lb/>
&#x017F;chweifte mein Auge, wo auf den breiten Ho&#x0364;hen<lb/>
Tannen, Fichten und Therebinthen ihre unermeßli-<lb/>
chen Wa&#x0364;lder bilden, und u&#x0364;ber hundertja&#x0364;hr&#x2019;ge Eichen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;mme die Fel&#x017F;en ihre grauen Ha&#x0364;upter thu&#x0364;rmen,<lb/>
und blieb endlich &#x017F;tehen auf dem hohen Pholo<hi rendition="#aq">ë</hi>,<lb/>
der u&#x0364;ber den gru&#x0364;nen Tha&#x0364;lern mit &#x017F;einem ehrwu&#x0364;r-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0025] Meinen Weg wandt’ ich auf Arkadien zu. Bald umfiengen mich die Thaͤler des ſchoͤnen Hir- tenlandes. Jch ſtreifte Tagelang durch die rauhen waldbewachſenen Gebirge, wo ungeheure Felſen- kluͤfte wechſeln mit wild emporſtarrendem Geklippe, und um die kahlen Rieſenſtirnen nur einſam Moos und Farrenkraut ſich ranket. Dann ſtieg ich wieder hinab in die gruͤnen, lachenden Thale. Da ſetzt’ ich mich dann auf ein altes Saͤulen- ſtuͤck am Abend, wann zarte volle Woͤlkchen im gluͤ- hendreinen Gold des Himmels ſich badeten, und ſah, wie die Bienen um duftende Blumen, um Lorbeer und Myrthe ſchwebten, und die raſchen, muthigen Roſſe an den lachenden Ufern des klaren Fluſſes ſprangen: dann flog mein trunkener Blick hinweg uͤber die fetten Gruͤnde mit ihren Platanen und Maulbeerbaͤumen, und irrte um dunkelgruͤne Huͤgel, wo die weißen Schaafe huͤpften und ihren Quendel und Thymian ſuchten. Und weiter hinaus ſchweifte mein Auge, wo auf den breiten Hoͤhen Tannen, Fichten und Therebinthen ihre unermeßli- chen Waͤlder bilden, und uͤber hundertjaͤhr’ge Eichen- ſtaͤmme die Felſen ihre grauen Haͤupter thuͤrmen, und blieb endlich ſtehen auf dem hohen Pholoë, der uͤber den gruͤnen Thaͤlern mit ſeinem ehrwuͤr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/25
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/25>, abgerufen am 28.03.2024.