Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

nen Krug voll Wein auf den Tisch. Dann ent-
fernte sie sich wieder.

Wir sprachen noch einige Stunden. Dann
wies mir der Greis ein Zimmer an, drückte mir
herzlich die Hand und schied. Jch setzte mich an's
Fenster. Der Mond blickte in seinem blassen Licht
zwischen zwey Felsen, die ihre Riesenschatten weit
über die Fläche warfen. Unerklärbare Schauer zo-
gen durch meine Brust. Der wunderbare Greis
mit seinem Feuer und das Gefühl meiner Bestim-
mung lag feyerlich vor meiner Seele, wie die
schlummernde Natur. Das Bild des zarten Mäd-
chens umschwebte mich, wie eine stille lindernde
Ahnung, und spielte mir heiter, wie das Mond-
licht, um die gekühlten Wangen. So schlummert'
ich ein.

Kaum war die Sonne aufgegangen, da stand
Hilarion -- so hieß der Alte -- an meinem Lager
und sagte: Wir wollen nach Sparta wandeln.

Wir giengen. Unterwegs sagte Hilarion: Aus
den Kampfspielen hohlten uns're Väter ihre Stärke.
Aus ihm entsprang jene Vollkraft, jene erhabene
Gesinnung, jene Großheit und Fülle des Lebens,
jene Harmonie des Geistes und Körpers. Da galt

nen Krug voll Wein auf den Tiſch. Dann ent-
fernte ſie ſich wieder.

Wir ſprachen noch einige Stunden. Dann
wies mir der Greis ein Zimmer an, druͤckte mir
herzlich die Hand und ſchied. Jch ſetzte mich an’s
Fenſter. Der Mond blickte in ſeinem blaſſen Licht
zwiſchen zwey Felſen, die ihre Rieſenſchatten weit
uͤber die Flaͤche warfen. Unerklaͤrbare Schauer zo-
gen durch meine Bruſt. Der wunderbare Greis
mit ſeinem Feuer und das Gefuͤhl meiner Beſtim-
mung lag feyerlich vor meiner Seele, wie die
ſchlummernde Natur. Das Bild des zarten Maͤd-
chens umſchwebte mich, wie eine ſtille lindernde
Ahnung, und ſpielte mir heiter, wie das Mond-
licht, um die gekuͤhlten Wangen. So ſchlummert’
ich ein.

Kaum war die Sonne aufgegangen, da ſtand
Hilarion — ſo hieß der Alte — an meinem Lager
und ſagte: Wir wollen nach Sparta wandeln.

Wir giengen. Unterwegs ſagte Hilarion: Aus
den Kampfſpielen hohlten unſ’re Vaͤter ihre Staͤrke.
Aus ihm entſprang jene Vollkraft, jene erhabene
Geſinnung, jene Großheit und Fuͤlle des Lebens,
jene Harmonie des Geiſtes und Koͤrpers. Da galt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="36"/>
nen Krug voll Wein auf den Ti&#x017F;ch. Dann ent-<lb/>
fernte &#x017F;ie &#x017F;ich wieder.</p><lb/>
        <p>Wir &#x017F;prachen noch einige Stunden. Dann<lb/>
wies mir der Greis ein Zimmer an, dru&#x0364;ckte mir<lb/>
herzlich die Hand und &#x017F;chied. Jch &#x017F;etzte mich an&#x2019;s<lb/>
Fen&#x017F;ter. Der Mond blickte in &#x017F;einem bla&#x017F;&#x017F;en Licht<lb/>
zwi&#x017F;chen zwey Fel&#x017F;en, die ihre Rie&#x017F;en&#x017F;chatten weit<lb/>
u&#x0364;ber die Fla&#x0364;che warfen. Unerkla&#x0364;rbare Schauer zo-<lb/>
gen durch meine Bru&#x017F;t. Der wunderbare Greis<lb/>
mit &#x017F;einem Feuer und das Gefu&#x0364;hl meiner Be&#x017F;tim-<lb/>
mung lag feyerlich vor meiner Seele, wie die<lb/>
&#x017F;chlummernde Natur. Das Bild des zarten Ma&#x0364;d-<lb/>
chens um&#x017F;chwebte mich, wie eine &#x017F;tille lindernde<lb/>
Ahnung, und &#x017F;pielte mir heiter, wie das Mond-<lb/>
licht, um die geku&#x0364;hlten Wangen. So &#x017F;chlummert&#x2019;<lb/>
ich ein.</p><lb/>
        <p>Kaum war die Sonne aufgegangen, da &#x017F;tand<lb/>
Hilarion &#x2014; &#x017F;o hieß der Alte &#x2014; an meinem Lager<lb/>
und &#x017F;agte: Wir wollen nach Sparta wandeln.</p><lb/>
        <p>Wir giengen. Unterwegs &#x017F;agte Hilarion: Aus<lb/>
den Kampf&#x017F;pielen hohlten un&#x017F;&#x2019;re Va&#x0364;ter ihre Sta&#x0364;rke.<lb/>
Aus ihm ent&#x017F;prang jene Vollkraft, jene erhabene<lb/>
Ge&#x017F;innung, jene Großheit und Fu&#x0364;lle des Lebens,<lb/>
jene Harmonie des Gei&#x017F;tes und Ko&#x0364;rpers. Da galt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0036] nen Krug voll Wein auf den Tiſch. Dann ent- fernte ſie ſich wieder. Wir ſprachen noch einige Stunden. Dann wies mir der Greis ein Zimmer an, druͤckte mir herzlich die Hand und ſchied. Jch ſetzte mich an’s Fenſter. Der Mond blickte in ſeinem blaſſen Licht zwiſchen zwey Felſen, die ihre Rieſenſchatten weit uͤber die Flaͤche warfen. Unerklaͤrbare Schauer zo- gen durch meine Bruſt. Der wunderbare Greis mit ſeinem Feuer und das Gefuͤhl meiner Beſtim- mung lag feyerlich vor meiner Seele, wie die ſchlummernde Natur. Das Bild des zarten Maͤd- chens umſchwebte mich, wie eine ſtille lindernde Ahnung, und ſpielte mir heiter, wie das Mond- licht, um die gekuͤhlten Wangen. So ſchlummert’ ich ein. Kaum war die Sonne aufgegangen, da ſtand Hilarion — ſo hieß der Alte — an meinem Lager und ſagte: Wir wollen nach Sparta wandeln. Wir giengen. Unterwegs ſagte Hilarion: Aus den Kampfſpielen hohlten unſ’re Vaͤter ihre Staͤrke. Aus ihm entſprang jene Vollkraft, jene erhabene Geſinnung, jene Großheit und Fuͤlle des Lebens, jene Harmonie des Geiſtes und Koͤrpers. Da galt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/36
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/36>, abgerufen am 28.03.2024.