Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite
Phaethon an Theodor.

Gestern waren wir auf der Burg. Atalanta und
ich giengen voraus. Caton und Cäcilie folgten. Es
war ein heiterer Herbsttag.

Wir wandelten den Waldpfad hinauf, und hat-
ten bald den schlanken Berg erstiegen. Wir irrten
durch's verwitterte Burggemäuer, durch's zerbrök-
kelte, moosbewachsene Ruingestein, das innig, wie
Geist und Gemüth, mit jungem traurig einsamem
Buschwerk sich verwob.

Durch halbzerfall'ne Mauerbögen und Fenster-
öffnungen blickte der blaue Himmel und die versil-
berten Fernen, und der Blick suchte oft vergebens
die äussersten Berge von der gleichfarbigen Luft zu
trennen.

Das weiße, rosenbekränzte Mädchen lag an
meiner Brust. Jch sah mit stummer Wonne auf

4 *
Phaethon an Theodor.

Geſtern waren wir auf der Burg. Atalanta und
ich giengen voraus. Caton und Caͤcilie folgten. Es
war ein heiterer Herbſttag.

Wir wandelten den Waldpfad hinauf, und hat-
ten bald den ſchlanken Berg erſtiegen. Wir irrten
durch’s verwitterte Burggemaͤuer, durch’s zerbroͤk-
kelte, moosbewachſene Ruingeſtein, das innig, wie
Geiſt und Gemuͤth, mit jungem traurig einſamem
Buſchwerk ſich verwob.

Durch halbzerfall’ne Mauerboͤgen und Fenſter-
oͤffnungen blickte der blaue Himmel und die verſil-
berten Fernen, und der Blick ſuchte oft vergebens
die aͤuſſerſten Berge von der gleichfarbigen Luft zu
trennen.

Das weiße, roſenbekraͤnzte Maͤdchen lag an
meiner Bruſt. Jch ſah mit ſtummer Wonne auf

4 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0051" n="51"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#g">Phaethon an Theodor.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">G</hi>e&#x017F;tern waren wir auf der Burg. Atalanta und<lb/>
ich giengen voraus. Caton und Ca&#x0364;cilie folgten. Es<lb/>
war ein heiterer Herb&#x017F;ttag.</p><lb/>
        <p>Wir wandelten den Waldpfad hinauf, und hat-<lb/>
ten bald den &#x017F;chlanken Berg er&#x017F;tiegen. Wir irrten<lb/>
durch&#x2019;s verwitterte Burggema&#x0364;uer, durch&#x2019;s zerbro&#x0364;k-<lb/>
kelte, moosbewach&#x017F;ene Ruinge&#x017F;tein, das innig, wie<lb/>
Gei&#x017F;t und Gemu&#x0364;th, mit jungem traurig ein&#x017F;amem<lb/>
Bu&#x017F;chwerk &#x017F;ich verwob.</p><lb/>
        <p>Durch halbzerfall&#x2019;ne Mauerbo&#x0364;gen und Fen&#x017F;ter-<lb/>
o&#x0364;ffnungen blickte der blaue Himmel und die ver&#x017F;il-<lb/>
berten Fernen, und der Blick &#x017F;uchte oft vergebens<lb/>
die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Berge von der gleichfarbigen Luft zu<lb/>
trennen.</p><lb/>
        <p>Das weiße, ro&#x017F;enbekra&#x0364;nzte Ma&#x0364;dchen lag an<lb/>
meiner Bru&#x017F;t. Jch &#x017F;ah mit &#x017F;tummer Wonne auf<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0051] Phaethon an Theodor. Geſtern waren wir auf der Burg. Atalanta und ich giengen voraus. Caton und Caͤcilie folgten. Es war ein heiterer Herbſttag. Wir wandelten den Waldpfad hinauf, und hat- ten bald den ſchlanken Berg erſtiegen. Wir irrten durch’s verwitterte Burggemaͤuer, durch’s zerbroͤk- kelte, moosbewachſene Ruingeſtein, das innig, wie Geiſt und Gemuͤth, mit jungem traurig einſamem Buſchwerk ſich verwob. Durch halbzerfall’ne Mauerboͤgen und Fenſter- oͤffnungen blickte der blaue Himmel und die verſil- berten Fernen, und der Blick ſuchte oft vergebens die aͤuſſerſten Berge von der gleichfarbigen Luft zu trennen. Das weiße, roſenbekraͤnzte Maͤdchen lag an meiner Bruſt. Jch ſah mit ſtummer Wonne auf 4 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/51
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/51>, abgerufen am 24.04.2024.